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StGB NRW-Mitteilung 194/2001 vom 05.04.2001
20 Punkte zur Zukunft der Sparkassen
Resolution von Hauptausschuss und Gewährträgergemeinden des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen
1. Im Dezember 1999 hat die Europäische Bankenvereinigung bei der EU-Kom-mission eine Wettbewerbsbeschwerde gegen Anstaltslast und Gewährträgerhaftung bei öffentlichen Kreditinstituten in Deutschland eingelegt. Mit Ihrer Beschwerde greift die Europäische Bankenvereinigung das gesetzliche Haftungssystem der öffentlichen Kreditinstitute in Deutschland an. Die Haftung der Gewährträger in Form von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung sei eine unerlaubte Beihilfe, die mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar und mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzufordern sei. Der Hauptvorwurf der privaten Banken besteht darin, öffentliche Kreditinstitute hätten durch Anstaltslast und Gewährträgerhaftung Vorteile bei der Refinanzierung im Vergleich zu ihren Wettbewerbern. Zum anderen wird behauptet, ein öffentlicher Auftrag von Sparkassen und Landesbanken sei heute nicht mehr erkennbar. Damit werden die Grundlagen der gesamten öffentlichen Kreditwirtschaft in Deutschland in Frage gestellt.
Am 26.01.2001 hat die Kommission der Bundesregierung ihre vorläufige Auffassung mitgeteilt, wonach sie die bestehenden Haftungsverpflichtungen grundsätzlich als staatliche Beihilfen betrachte, die nicht mit dem Gemeinschaftsrecht zu vereinbaren seien.
Anstaltslast und Gewährträgerhaftung europakonform
2. Die Beschwerde der Europäischen Bankenvereinigung soll ersichtlich bezwecken, dem neben den Genossenschaftsbanken und den privaten Banken dritten Pfeiler der deutschen Bankenlandschaft, den öffentlichen Kreditinstituten, seine Grundlage zu entziehen. Dies soll dadurch erfolgen, indem die Haftungsprinzipien der Anstaltslast und der Gewährträgerhaftung angegriffen werden. Ziel ist eine Marktbereinigung der deutschen Bankenlandschaft zugunsten der großen privaten Geschäftsbanken.
3. Seit Inkrafttreten der Beihilferegeln des EG-Vertrages im Jahre 1958 sind die Haftungsprinzipien der Anstaltslast und der Gewährträgerhaftung allgemein bekannt gewesen, und zwar auch der Kommission und den deutschen und europäischen privaten Geschäftsbanken. Rund 40 Jahre lang lag es allen Beteiligten fern, in den Strukturprinzipien von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung eine Beihilfe im Sinne von Art. 87 EG zu sehen.
4. Das Institut der Gewährträgerhaftung ist seit 1931 positiv rechtlich geregelt. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Sparkassen- und Girozentralen aus dem Gemeinde- und Staatsverband organisatorisch ausgegliedert. Sie wurden zu rechtlich selbständigen Anstalten des öffentlichen Rechts. Dementsprechend war die Gewährträgerhaftung auch bereits vor 1958 (dem Jahr des Inkrafttretens des EG-Vertrages) in den Satzungen der damals bestehenden öffentlichen Banken geregelt. Diese Regelung hat das nordrhein-westfälische Sparkassengesetz, das am 07.01.1958 in Kraft trat, übernommen. Hier handelte es sich nur um eine deklaratorische Bestätigung, nicht um die erstmalige Einführung der Gewährträgerhaftung. Dies ergibt sich eindeutig aus der Gesetzesbegründung.
5. Anstaltslast und Gewährträgerhaftung sind darüber hinaus integraler Bestandteil der durch Art. 295 EGV gewährleisteten öffentlichen Eigentumsordnung. Artikel 295 EGV trifft nämlich zwei wesentliche Aussagen:
- Die staatliche Betätigung im privatwirtschaftlichen Wettbewerb wird durch den Vertrag ausdrücklich zugelassen und sogar gewährleistet. Etwaige hiermit verbundene Auswirkungen auf den Wettbewerb werden gemeinschaftsrechtlich hingenommen.
- Die Gemeinschaft wird bei der Behandlung privater und staatlicher Unternehmen einer Neutralitätspflicht unterworfen.
6. Ob innerhalb des dreigliedrigen Bankensystems in Deutschland in Zukunft Veränderungen erfolgen oder ob an diesem effizienten und zukunftsfähigen System festgehalten werden soll, ist eine politische Frage. Es ist nicht Aufgabe des Europäischen Beihilferechts, politische Fragestellungen zu regeln. Eine grundlegende Umgestaltung des Bankenmarktes in Deutschland wäre jedoch die Folge, wenn die Grundlagen der öffentlichen Kreditwirtschaft beseitigt würden.
7. Anstaltslast und Gewährträgerhaftung sind keine Garantie oder Bürgschaft. Sie stellen keine Dritthaftung dar. Tatsächlich geht es darum, daß der Träger eines öffentlichen Kreditinstitutes nicht für ein fremdes Unternehmen haftet, sondern daß er selbst unternehmerisch mit unbeschränkter Haftung tätig wird. Er haftet also nicht für einen anderen, sondern für sich selbst. Dieses grundlegende Mißverständnis der Beschwerde führt zwangsläufig zu fehlerhaften rechtlichen Bewertungen.
Öffentlicher Auftrag der Sparkassen unverzichtbar
8. Der öffentliche Auftrag der Sparkassen läßt sich heute mit folgenden Kernbereichen umschreiben:
- Sicherung der kreditwirtschaftlichen Versorgung der gesamten Bevölkerung und des gewerblichen Mittelstandes in der Fläche ohne renditeorientierte Ausgrenzung einzelner Kundengruppen oder Standorte.
- Unterstützung der wirtschaftlichen Zielsetzung der kommunalen oder staatlichen Gewährträger insbesondere in der Regional- und Strukturpolitik.
- Versorgung der kommunalen oder staatlichen Gewährträger mit Krediten zum Zwecke der Finanzierung sonstiger gemeinwohlorientierter Aufgaben der Daseinsvorsorge.
- Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbes auf den Märkten für Finanzdienstleistungen durch Erbringung aller banküblichen Dienstleistungen am Markt (Wettbewerbsergänzungsfunktion).
Diese Zielsetzungen müssen im Sinne umfassender Finanzdienstleistungen für alle Bevölkerungsgruppen unverrückbar bleiben.
9. In Nordrhein-Westfalen verfügen die Sparkassen über mehr als 3.000 Geschäftsstellen. Mit mehr als 75.000 Beschäftigten und über 5.000 Auszubildenden stellen die Sparkassen einen wichtigen Faktor für den Arbeitsmarkt dar. Außerdem sind die Sparkassen der größte Steuerzahler im Kreditgewerbe.
10. Der Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen spricht sich mit Entschiedenheit gegen "englische Verhältnisse" im Bereich der Finanzdienstleistungen aus. Nach einer aktuellen Untersuchung im Auftrag der britischen Regierung sind etwa 3 Mio Briten sowie weite Teile des gewerblichen Mittelstandes nicht oder nur unzureichend kreditwirtschaftlich versorgt. Rund 3 Mio Briten leben ohne feste Kontoverbindung. Benachteiligt sind insbesondere kleinere und höchst innovative Unternehmen. Dies sind die praktischen Erfahrungen mit einem reinen Privatbankensystem. Inzwischen wird in Großbritannien der Staat zum Eingreifen aufgefordert, um einen funktionierenden Wettbewerb sicher- bzw. wiederherzustellen. Einer solchen Entwicklung muß in der Bundesrepublik mit allem Nachdruck vorgebeugt werden.
11. Die öffentlichen Kreditinstitute sind für die Erbringung der Leistungen der Daseinsvorsorge unverzichtbar. Konkret für die Sparkassen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 23.09.1994 ausgeführt:
"Ungeachtet der rechtlichen Verselbständigung sind die Sparkassen aufgrund der organisatorischen Verflechtung kommunale Einrichtungen geblieben, mit deren Hilfe die Gemeinden und Kreise eine Aufgabe der Daseinsvorsorge wahrnehmen. So sollen sie insbesondere den Sparsinn der Bevölkerung wecken und fördern, ihr Gelegenheit zur sicheren Geldanlage geben und der Kreditversorgung unter besonderer Berücksichtigung des Mittelstandes und der wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungskreise dienen."
In der am 20.09.2000 von der Europäischen Kommission verabschiedeten neuen Mitteilung "Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa" hat die Kommission diese Aussage bekräftigt und ausgeführt, daß in einzelnen Mitgliedstaaten bestimmte Kreditinstitute besondere öffentliche Aufgaben durch die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erfüllen.
Auch das Plenum des Ausschusses der Regionen hat anläßlich seiner Tagung am 14./15. Februar 2001 auf die wichtige Rolle der öffentlichen Kreditinstitute bei der Gewährleistung eines universellen Zugangs zu Bankdienstleistungen in Europa hingewiesen. Der AdR betrachtet Vielfalt und Pluralität als geeignete Mittel zur Förderung eines gesunden Wettbewerbs im Bankensektor. Private und öffentliche Unternehmen sollten daher unabhängig von ihren Rechtsformen und Zielvorstellungen im Rahmen des Wettbewerbs gleichberechtigt nebeneinander existieren und miteinander konkurrieren.
12. Konsequenz des öffentlichen Charakters und der kommunalen Bindung der Geschäftstätigkeit von Sparkassen ist das Regionalprinzip. So wird auch im Sparkassengesetz Nordrhein-Westfalen auf die örtliche Aufgabenerfüllung abgestellt.
Zwar ist nicht zu verkennen, daß sich z.B. durch das Internetbanking auch Gefahren für das Regionalprinzip ergeben. Aber auch diese neuen technischen Entwicklungen ändern nichts an der grundlegend regional verankerten Sparkasse. Der Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen fordert deshalb den Deutschen Sparkassen- und Giroverband auf, baldmöglichst verbindliche Spielregeln bei der Nutzung moderner Techniken für die Sparkassenorganisation festzulegen, bei denen auch in Zukunft das Regionalprinzip die dominierende Rolle spielt.
13. Konsequenz des Regionalprinzips und der damit verbundenen Beschränkung der Geschäftstätigkeit der Sparkassen ist die betriebswirtschaftlich gebotene Arbeitsteilung innerhalb des Verbundes in einzelnen Geschäftsbereichen (Verbundprinzip). An diesem Verbundprinzip wird auch in Zukunft festgehalten. Würde nämlich ein einzelnes Element in diesem arbeitsteiligen Verbund entfernt, wäre damit die Funktionsfähigkeit des gesamten Systems in Frage gestellt. Genau dieses Ziel verfolgt die Europäische Bankenvereinigung mit ihrer Beschwerde gegen Anstaltslast und Gewährträgerhaftung.
Konsequenzen von Änderungen bei der WestLB für die nordrhein-westfälischen Städte und Gemeinden sowie Sparkassen
14. In der Gewährträgerversammlung vom 27.09.2000 beschlossen die Gewährträger der WestLB, daß der Vorstand in seiner Verantwortung alternative Lösungsansätze erarbeiten soll, wie die Aufgaben als Staats- und Kommunalbank, als Sparkassenzentralbank sowie Geschäftsbank im Lichte unterschiedlicher europarechtlicher Entwicklungen erfolgreich weitergeführt werden können. Als Ergebnis dieser Überlegungen wurde der Vorschlag eines sog. "Mutter-Tochter-Modells" erarbeitet. Nach diesem Mutter-Tochter-Modell sollen u.a. folgende Punkte verwirklicht werden:
- Aufspaltung der WestLB in eine öffentlich-rechtliche Landesbank (Mutter) sowie privatrechtliche Geschäftsbank (Tochter).
- Anstaltslast und Gewährträgerhaftung bleiben für die Sparkassen und für die öffentlich-rechtliche WestLB-Muttergesellschaft bestehen.
- Nichtanwendung der Transparenzrichtlinie auf die Sparkassen und die WestLB ö.R.
- Rechtssicherheit der vorstehenden Positionen für die Zukunft.
15. Es ist davon auszugehen, daß sich aus den geplanten Änderungen bei der WestLB ein erheblicher Eigenkapitalbedarf bei der künftigen Geschäftsbank. ergibt. Aufgrund der bestehenden Eigentümerstruktur bei der WestLB wären von zusätzlichen Kapitalanforderungen nicht nur die Sparkassen, sondern auch die Städte und Gemeinden über die beiden Landschaftsverbände betroffen. Angesichts der kommunalen Finanzlage sind die Städte und Gemeinden nicht in der Lage, über die regionalen Landschaftsverbände Eigenkapital für die WestLB zur Verfügung zu stellen. Ebenfalls würden die Betriebsergebnisse der kommunalen Sparkassen bei notwendigen Eigenkapitalaufstockungen für die WestLB erheblich betroffen werden. Es müssen deshalb andere Wege für eine Lösung der Eigenkapitalproblematik bei der WestLB gefunden werden.
16. Aus diesem Grunde braucht die WestLB bei ihrem Aufspaltungsmodell eine nicht zu knapp bemessene Übergangszeit. Im Rahmen dieser Übergangszeit sind Patronatserklärungen für die neue Geschäftsbank seitens der öffentlich-rechtlichen Muttergesellschaft erforderlich. Die neue Geschäftsbank sollte sich alsdann im Rahmen einer Teilprivatisierung notwendiges Eigenkapital über einen Börsengang beschaffen.
17. Unabhängig von der Neustrukturierung der WestLB muß diese auch in Zukunft als Verbundpartner für die Sparkassen zur Verfügung stehen. Nur so wird es den Sparkassen auch in Zukunft möglich sein, die gesamte Palette von Finanzdienstleistungen für die private und gewerbliche Kundschaft sicherzustellen.
Weitere Schritte
18. Der Streit mit der Europäischen Kommission über die Beihilfeproblematik von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung muß alsbald beendet werden. Denn die Sparkassen brauchen Rechtssicherheit. Nur auf einer sicheren Rechtsgrundlage sind die Institute in der Lage, ihren öffentlichen Auftrag zu erfüllen und ihre Position im Markt zu behaupten.
19. Es ist sicherzustellen, daß die zum 01.01.2002 in Kraft tretende Transparenzrichtlinie auf die Sparkassen keine Anwendung findet. Hauptausschuß und Gewährträgergemeinden im Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen wenden sich entschieden gegen eine getrennte Bilanzierung von öffentlichen Aufgaben und reiner Geschäftsbankentätigkeit. Eine solche Aufteilung würde einen Mehraufwand verursachen, der von den Sparkassen nicht zu verkraften ist.
20. Das Verhältnis von Sparkasse und Gewährträger muß weiterentwickelt werden. Die ständige Anpassung an neue Bedingungen, der permanente gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel mit den damit verbundenen neuen Marktherausforderungen verlangen nach Auffassung von Hauptausschuß und Gewährträgergemeinden eine Weiterentwicklung des Verhältnisses zwischen Sparkasse und Kommune.
Die kommunale Bindung der Sparkassen bildet dabei die notwendige Grundlage für ein auch weiterhin dauerhaftes Vertrauensverhältnis zwischen Gewährträger und Sparkassen. Der aktive Dialog zwischen Kommune und ihrer Sparkasse muß gestärkt und intensiviert werden, damit die Sparkassenmöglichkeiten noch umfassender im kommunalen Sinne genutzt und das Vertrauen in das Markenzeichen "Sparkasse" bei allen Bevölkerungsschichten weiter gestärkt wird.
Az.: HGF