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Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft
StGB NRW-Mitteilung 301/1996 vom 20.06.1996
BMWi-Gesetzentwurf zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts
I. Inhalt des Gesetzentwurfs
Das Bundesministerium für Wirtschaft hat den kommunalen Spitzenverbänden den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts (Stand: 30. April 1996) zugeleitet, den Bundeswirtschaftsminister Dr. Rexrodt nach ausführlichen Konsultationen mit den Koalitionsfraktionen am 30.04.1996 auch der Presse vorgestellt hat. Ausgangspunkt dieses für die gemeindliche Selbstverwaltung wesentlichen Reformvorhabens ist die Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung für die 13. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, die insoweit folgende Feststellungen trifft:
"Zur Verstärkung des brancheninternen Wettbewerbs für die leitungsgebundenen Energien Strom und Gas werden das Energiewirtschaftsgesetz und das Energiekartellrecht im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen novelliert. Dabei muß den Unterschieden zwischen Strom und Gas Rechnung getragen werden. In diesem Zusammenhang halten wir eine gleichgewichtige Marktöffnung in den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union für wichtig. Wir werden bei zukünftigen Entscheidungen die Wettbewerbssituation für leitungsgebundene Energien in der Europäischen Union angemessen berücksichtigen. Die Auswirkungen der Reform auf die wirtschaftlichen Belange der Kommunen sind sorgfältig zu prüfen."
Inhaltlich knüpft der nunmehr bekanntgewordene Gesetzentwurf nahezu unverändert an vergleichbare Vorüberlegungen der abgelaufenen Legislaturperiode an. Eckpunkte dieses für die Städte und Gemeinden außerordentlich einschneidenden Reformvorhabens sind:
- Abschaffung der Ausschließlichkeit der Wegerechte und damit Aufhebung geschlossener Versorgungsgebiete durch ein Verbot herkömmlicher Konzessions- und Demarkationsverträge,
- Nutzung vorhandener Leitungen durch Dritte (Durchleitung) im Rahmen des allgemeinen Kartellrechts (§§ 22 Abs. 4, 26 Abs. 2 GWB),
- Neudefinition der Aufgabe der leitungsgebundenen Energieversorgung als "Jedermann-Recht" (keine öffentliche Aufgabe mehr!),
- Verpflichtung der Gemeinden, ihre öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen diskriminierungsfrei jedem Bewerber zur Verfügung zu stellen,
- öffentliches Transparenzverfahren und Begründungspflicht im Einzelfall für die Vergabe von einfachen Wegerechten durch die Gemeinde,
- weitgehende Deregulierung des bestehenden Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG), insbesondere durch Abschaffung der Investitionskontrolle bei Kraftwerken und Leitungen nach § 4 EnWG und Beschränkung der Genehmigungspflicht für die erstmalige Aufnahme der Energieversorgung nach § 5 EnWG auf die Elektrizitätsversorgung von Tarifabnehmern; zudem Erweiterung des Zielkatalogs des Gesetzes um den Umweltschutz: künftig soll damit der Grundsatz gelten, daß Elektrizitäts- und Gasversorgung möglichst sicher, preisgünstig und umweltverträglich sein muß.
II. Bewertung des Konzepts des Bundeswirtschaftsministeriums aus gemeindlicher Sicht
Das vorliegende Konzept des Bundeswirtschaftsministeriums ist ein ausschließlich wettbewerbspolitisch orientiertes Maximalkonzept, das sämtliche Grundlagen der bestehenden Energieversorgungswirschaft in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere das verfassungsrechtlich gewährleistete gemeindliche Recht zur Regelung der örtlichen Energieversorgung, das Energiewirtschaftsgesetz, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und das Konzessionsabgabenrecht in Frage stellt bzw. zum Teil beseitigt. Das bewährte System geschlossener Versorgungsgebiete und damit auch die zentrale Stellung der Städte und Gemeinden in der Energieversorgung wird aufgegeben und die ebenfalls bewährte arbeitsteilige, pluralistische Versorgungsstruktur, vornehmlich auch der Fortbestand einer eigenständigen kommunalen Versorgungsstufe, ohne zwingenden Grund aufgegeben. Dieses Konzept wird schließlich vor dem Hintergrund verfolgt, daß der durch die 4. und 5. Kartellgesetznovelle maßgeblich fortentwickelte Ordnungsrahmen für Strom und Gas in der Bundesrepublik Deutschland - insbesondere europaweit vergleichsweise - bereits jetzt nicht unbeträchtliche Wettbewerbskomponenten aufweist.
Im einzelnen wird eine Verwirklichung des BMWi-Reformvorhabens folgende Konsequenzen für die Städte und Gemeinden und ihre Bürger haben:
1. Der Bundesgesetzgeber beseitigt die - im übrigen auch durch die höchstrichterliche Rechtsprechung vielfach anerkannte und bestätigte (vgl. zuletzt: BVerwG, Urteil vom 18.5.1995 - 7 C 58.94 -, Mitt.NWStGB Heft 14/95, S. 215) - ausschließliche Entscheidungskompetenz der Gemeinden für die örtliche Versorgung der Bevölkerung mit Energie und greift damit tief in das grundgesetzlich garantierte Selbstverwaltungsrecht des Art. 28 Abs. 2 GG ein. Entscheidungen über die örtliche Energieversorgung werden zukünftig im Ergebnis nicht mehr - wie von der Verfassung vorgesehen - durch die Gemeinde getroffen, sondern durch jeden interessierten Bewerber im Wettbewerb.
2. Die Einführung von Wettbewerb durch Aufhebung des Gebietschutzes und Öffnung der Netze für Durchleitungen stellt die Konzessionsabgabe mit einem bundesweiten Gesamtvolumen in Höhe von ca. 6 Mrd DM zur Disposition. Falls die Gemeinde zukünftig nicht mehr in der Lage sein wird, die Versorgung eines geschlossenen Versorgungsgebietes einem Energieversorgungsunternehmen übertragen und zur Durchführung ausschließliche Wegebenutzungsrechte einräumen zu können, erlebt die Konzessionsabgabe aus gemeindlicher Sicht einen erheblichen "Wertverlust". Wenn sich aber damit zukünftig die Vorleistung der Gemeinde qualitativ deutlich relativiert, so wird dies - spiegelbildlich - unmittelbare Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Gegenleistung des Energieversorgungsunternehmens, also auf die Höhe der Konzessionsabgabe, haben. Das BMWi-Vorhaben beinhaltet damit letztendlich einen weiteren nachhaltigen Eingriff des Bundes in die kommunale Finanzmasse in einer Größenordnung von mindestens ca. 4 Mrd DM, wahrscheinlich aber noch darüber hinausgehend.
3. Die vorliegenden Zielvorstellungen des BMWi sind ausschließlich wettbewerbsorientiert und lassen den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und damit den gesamten Bereich der Umweltpolitik gänzlich außer acht. Ein hemmungsloser Preiswettbewerb und das nahezu alleinige Ziel, einigen wenigen Energiegroßverbrauchern besonders günstige Preise anbieten zu können, wird keinen Raum für ein Engagement der Energieversorungsunternehmen bei der Energieeinsparung, rationellen Energienutzung und der Ausschöpfung regenerativer Energiepotentiale lassen. Die Ausschöpfung der Kraft-Wärme-Kopplungspotentiale auf der Basis von Kohle oder Abfall vornehmlich durch eigenstromerzeugende kommunale Unternehmen sowie der Auf- bzw. Ausbau von Nah- und Fernwärme wird nicht mehr aufrecht zu erhalten sein.
4. Das BMWi-Wettbewerbssystem wird nur einige wenige industrielle Großabnehmer begünstigen, allerdings zugleich die Masse der Tarifabnehmer, also sowohl die Bürger als auch den gewerblichen Mittelstand, benachteiligen. Die Vorteile für die Großindustrie werden damit durch Energiepreissteigerungen der Tarifabnehmer erkauft, ein sozial unausgewogenes Wettbewerbssystem.
5. Neben dieser sozialen Schieflage birgt der BMWi-Wettbewerbsansatz auch die Gefahr einer räumlichen Disparität in sich. Benachteiligt ist insoweit im besonderen Maße die Flächenversorgung ländlicher Gebiete, da eine Konzentration des Wettbewerbs auf wenige, lukrative Absatzgebiete und Großkunden stattfinden wird.
6. Der angestrebte Wettbewerb wird sich - wenn überhaupt - allenfalls vorübergehend einstellen. Mittel- bis langfristig wird die Aufhebung jedweder Ausschließlichkeitsbindungen einem erheblichen Konzentrationsprozeß in der Energieversorgungswirtschaft Vorschub leisten. Überleben werden große Verbundunternehmen mit guter Kapitalausstattung sowie Zugang zu billigen Brennstoffen für die Stromerzeugung bzw. mit günstigen Gasbezugsmöglichkeiten, benachteiligt sind mittlere und kleinere regionale Unternehmen, sicherlich vornehmlich Stadtwerke. Am Ende der Entwicklung wird eine oligopolistische Struktur mit wenigen großen Verbundunternehmen stehen, die auch verfassungsrechtlich gewährleistete selbstverständliche Bildung und Teilhabe kommunaler Unternehmen im Bereich der leitungsgebundenen Energiewirtschaft wird unmöglich gemacht.
7. Der BMWi-Vorstoß bedeutet zum jetzigen Zeitpunkt eine einseitige nationale Vorleistung, ohne daß zugleich die notwendige Reziprozität mit der europäischen Entwicklung gewährleistet ist. Es entsteht damit im europäischen Bereich eine "Zweiklassengesellschaft": während die Energieversorgungsunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland europaweit schutzlos dem Wettbewerb ausgesetzt werden, schottet andererseits z. B. Frankreich seinen Energiemarkt gegenüber Wettbewerbern als Folge des dort favorisierten Single-Buyer-Konzepts aus anderen europäischen Staaten ab.
III. Weiteres Verfahren
Nach den Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministeriums soll der Gesetzentwurf bereits am 02.07.1996 im Kabinett verabschiedet werden. Der DStGB wird- wie bereits bislang -, gemeinsam mit den übrigen kommunalen Spitzenverbänden und auch dem VKU, alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die fatalen Auswirkungen dieser Reform für die Städte und Gemeinden herauszustellen. Darüber hinaus wird der Verband den BMWi-Bemühungen das eigene Wettbewerbsmodell "Wettbewerb um geschlossene Versorgungsgebiete" in der politischen Diskussion entgegensetzen.
Parallel zu diesen Bemühungen der kommunalen Spitzenverbände erscheint es allerdings notwendig, insgesamt den gemeindlichen Widerstand gegen das Gesetzgebungsvorhaben zu intensivieren, insbesondere auch die Entscheidungsträger in Bundestag und Bundesrat für die vielfältigen negativen Auswirkungen der Reform auf die Gemeinden und ihre Bürger zu sensibilisieren. Ein Wettbewerbssystem im Bereich der Energieversorgung, das
- partiell das kommunale Selbstverwaltungsrecht abschafft,
- einen erheblichen Einschnitt in das Konzessionsabgabenvolumen als wesentlichen Bestandteil der kommunalen Finanzmasse in einer Größenordnung von mindestens 4 Mrd DM beinhaltet,
- die Zukunft einer eigenständigen Kommunalwirtschaft und die Bildung von Stadtwerken durch einen zunehmenden Konzentrationsprozeß in der Branche erheblich erschwert,
- ökologische Belange unberücksichtigt läßt,
- eine sozial unausgewogene Benachteiligung der Bürger und gewerblichen Kleinverbraucher verursacht,
- der Aufbausituation der unter schwierigen Rahmenbedingungen gegründeten Stadtwerke in den neuen Bundesländern keinerlei Rechnung trägt und
- schließlich eine besondere Benachteiligung des ländlichen Raumes verfolgt,
muß auf energische Gegenwehr der kreisangehörigen Städte und Gemeinden stoßen. Vgl. ausführlich zur Gesamtproblematik und den konkreten Auswirkungen des BMWi-Reformvorhabens auf die Städte und Gemeinden im einzelnen: Cronauge, Energierechtsreform und kommunale Selbstverwaltung, Städte- und Gemeinderat 1995, S. 363.
Az.: V/2-811-00