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Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft
StGB NRW-Mitteilung 635/2013 vom 23.09.2013
OVG Lüneburg zur Neuvergabe von Strom- und Gaskonzessionsverträgen
Das OVG Lüneburg hat in zwei Verfahren mit zwei im Wesentlichen übereinstimmenden Beschlüssen vom 11.09.2013 (Az.: 10 ME 87/12 und 10 ME 88/12) des vorläufigen Rechtschutzes entschieden, dass die Art und Weise der beabsichtigten Neuvergabe von Konzessionen zum Betrieb des Strom- und Gasnetzes in den Gemeinden Bunde und Ostrhauderfehn rechtswidrig gewesen und deshalb zu Recht vom Landkreis Leer als Kommunalaufsichtsbehörde beanstandet worden ist.
Die Räte der Gemeinden Bunde und Ostrhauderfehn sowie weiterer Kommunen aus dem Kreis Leer beschlossen nach einem Auswahlverfahren, die Ende des Jahres 2012 ausgelaufenen Strom- und Gaskonzessionen an die von ihnen gegründete Netzgesellschaft Südliches Ostfriesland mbH (NSO) neu zu vergeben. Nach dem Konzept der NSO sollten ein noch nicht feststehender strategischer Partner sowie zusätzlich ein technischer Betreiber eingebunden werden. Der Landkreis Leer als Kommunalaufsichtsbehörde beanstandete diese Ratsbeschlüsse. Er sah neben kommunalrechtlichen Vorschriften auch energie- und kartellrechtliche Gesetze als verletzt an.
Die Gemeinden hätten die Auswahl in einem intransparenten und diskriminierenden Verfahren getroffen. Zudem könne das Vorhaben die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gemeinden übersteigen und die Sicherung der Energieversorgung gefährden. Das Verwaltungsgericht stellte auf Anträge der Gemeinden die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen gegen die sofort vollziehbaren Beanstandungen wieder her. Art. 28 GG ermächtige die Gemeinden, die Energienetze künftig in der Verantwortung einer kommunalen Netzgesellschaft unter Einbindung privater Dritter zu betreiben. Das OVG Lüneburg hat auf die Beschwerde des Landkreises Leer diese Beschlüsse geändert und die Anträge der beiden Gemeinden abgelehnt.
Energiewirtschaftsgesetz-Ziele vorrangig
Nach Auffassung des OVG gilt die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nur im Rahmen der Gesetze. Dazu gehöre nach § 46 Abs. 3 Satz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) die Verpflichtung, bei der Auswahlentscheidung über die Neuvergabe der Konzession die Ziele des § 1 EnWG zu berücksichtigen, also eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Energieversorgung zu gewährleisten. Ob eine Gemeinde daneben auch andere Ziele einschließlich der Gewinnerzielung verfolgen dürfe, sei umstritten, brauche aber nicht geklärt zu werden, denn solche ungeschriebenen Ziele dürften jedenfalls nicht vorrangig verfolgt werden.
Einen solchen Verstoß hat das OVG Lüneburg hier aber bei der Auswahlentscheidung zu Gunsten der NSO bejaht. Zudem hat es beanstandet, dass sich die NSO im Auswahlzeitpunkt noch im Gründungsstadium befunden habe. Daher habe weder verlässlich ihre Leistungsfähigkeit beurteilt werden können, noch sei der nach § 12 Abs. 1 Satz 1 der Gemeindehaushalts- und Kassenverordnung für die beteiligten Kommunen erforderliche Wirtschaftlichkeitsvergleich möglich gewesen. Die Beschlüsse des OVG Lüneburg sind unanfechtbar.
Anmerkung
Ob die Gemeinde bei ihrer Auswahlentscheidung die Ziele des § 1 Abs. 1 EnWG vorrangig oder ausschließlich zu berücksichtigen hat und in welchem Verhältnis diese Kriterien zu kommunalen Belangen bei der Auswahlentscheidung stehen dürfen, ist in der Literatur und in der Rechtsprechung umstritten. Das EnWG selbst trifft zu den inhaltlichen Anforderungen an die Auswahlkriterien im Konzessionsverfahren gem. § 46 Abs. 3 Satz 5 EnWG lediglich die Aussage, dass die Gemeinden an die Ziele des § 1 EnWG gebunden sind. Der Gesetzgeber nimmt dabei selbst keine Konkretisierung vor. Soweit ein besonders striktes Verständnis von § 46 Abs. 3 S. 5 EnWG zugrunde gelegt wird, muss es allerdings der Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung standhalten.
Im Bereich des Konzessionierungsverfahrens und des Netzbetriebes spielt neben wettbewerblichen und ökonomischen Aspekten das Recht der kommunalen Selbstverwaltung (Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 GG) eine entscheidende Rolle und darf nicht beschränkt werden. Der Gemeinde dürfte nicht versagt sein, bei der Konzessionsvergabe verfassungsgeschützte Selbstverwaltungsbelange, wie etwa die Stärkung des lokalen Arbeitsmarkts oder das Ziel, kommunale Einnahmen aus dem Netzbetrieb zu erzielen, wahrzunehmen.
So äußerte sich bereits das VG Oldenburg (vgl. StGB NRW-Mitteilungen 381/2012 und 390/2012) zu dieser Frage und stellte fest, dass für den Fall, dass sich eine Gemeinde für die Aufgabenerfüllung in eigener Regie — und sei es auch nur in Form eines Beteiligungsmodells — entscheide, diese bei der Festlegung der Auswahlkriterien und der Bewertung der Angebote einen weiten Gestaltungs-, Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum genießt. Dieser Spielraum sei - entgegen der jetzigen Ansicht des OVG Lüneburg - kommunalaufsichtsrechtlich und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar.
Vor dem Hintergrund erheblicher Rechtsunsicherheiten in der Praxis bei gemeindlichen Konzessionsvergaben sowie zahlreicher gerichtlicher Auseinandersetzungen hat sich die kommunale Seite für eine gesetzliche Klarstellung im einschlägigen § 46 EnWG ausgesprochen. Er sollte künftig so gefasst sein, dass die Gemeinde „bei der Auswahl des Unternehmens im Rahmen der Ausübung ihres Rechts auf kommunale Selbstverwaltung auch gehalten ist, die Ziele des § 1 EnWG mit in ihre Entscheidung einzubeziehen.“ Diese Forderung hatte auch der Bundesrat im Rahmen der letzten EnWG-Novelle 2012 erhoben.
Az.: II/3 818-00