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Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft
StGB NRW-Mitteilung 33/2021 vom 25.01.2021
Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde - Plädoyer des Generalanwalts beim EuGH
Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) vertritt die Auffassung, dass Deutschland durch die nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Vorgaben zur Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde gegen europäisches Recht verstößt. Konkret geht es darum, dass die Bundesnetzagentur als in Deutschland für die Energieregulierung zuständige Behörde nach Auffassung des Generalanwalts nicht völlig unabhängig die Tarife zum Zugang zu Energienetzen festlegen kann. Der Ausgang des Verfahrens hat große Bedeutung für die aktuell zu klärende Frage, in welcher Höhe der Eigenkapitalzins für Strom- und Gasnetze in der kommenden Regulierungsperiode festgesetzt wird. Die kommunalen Spitzenverbände setzen sich gemeinsam mit dem VKU und dem BDEW seit geraumer Zeit für eine ausreichende Eigenkapitalverzinsung für die Investitionen der Verteilnetzbetreiber einzusetzen. Davon sind viele kommunale Netzbetreiber betroffen, die Investitionen tätigen müssen, damit die Energienetze fit für die Zukunft gemacht werden. Das Plädoyer des Generalanwalts wirft darüber hinaus die auch unter Gesichtspunkten des Demokratieprinzips sehr bedeutsame Frage auf, welche energiepolitischen Gestaltungsmöglichkeiten den Mitgliedstaaten noch verbleiben.
Sachverhalt
Die Europäische Kommission hatte Deutschland verklagt, weil sie die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur gefährdet sieht. Außerdem hat Deutschland nach Auffassung der Kommission das Unbundling der Übertragungs- und Fernleitungsnetzbetreiber nicht ausreichend umgesetzt. Damit sind nach Auffassung des Generalanwalts Vorgaben der europäischen Gas- und Stromrichtlinie aus dem dritten Energiepaket 2009 im Energiewirtschaftsgesetz nicht ordnungsgemäß in nationales Recht übertragen worden.
Zusammenfassung der wesentlichen Erwägungen
Der Generalanwalt legt die Richtlinienregelungen der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (2009/72/EG) sehr weit aus. Die Arbeit der Regulierungsbehörde dürfe danach nicht durch Gesetze des Parlaments oder materielle Gesetze wie Regierungsverordnungen eingeschränkt werden.
Konkret betrifft dies die nationalen Vorgaben zur Netzentgeltregulierung. Die Bundesnetzagentur als nationale Regulierungsbehörde in Deutschland könne nicht völlig unabhängig die Tarife für den Netzzugang festlegen, da viele Elemente hierzu in weiten Teilen in detaillierten Vorschriften der Bundesregierung geregelt seien. Dies betrifft unter anderem die in § 6a StromNEV bzw. GasNEV enthaltenen Vorgaben für die Preisindizes zur Ermittlung der Tagesneuwerte der Netzanlagen.
Aus den europäischen Vorgaben ergebe sich, dass die funktionelle Unabhängigkeit gegenüber allen politischen Stellen, also nicht nur der Regierung, sondern auch dem Parlament zu gewährleisten sei.
Zur Abgrenzung der Befugnisse von Mitgliedstaat und Regulierungsbehörde führt der Generalanwalt sodann aus, dass die Mitgliedstaaten und damit das Parlament und die Regierung, Zuständigkeiten im Bereich der Energiepolitik behielten wie allgemeine politische Leitlinien. Diese beträfen aber andere Bereiche als diejenigen, die unter den Regulierungsvorbehalt zugunsten der nationalen Regulierungsbehörde fallen.
Diese Auslegung würde auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich die Bundesrepublik Deutschland auf den Grundsatz der Demokratie aus Art. 6 Abs. 1 EUV beruft. Dieser Grundsatz bedeute nicht, dass es außerhalb des klassischen hierarchischen Verwaltungsaufbaus keine öffentlichen Stellen geben kann, die von der Regierung mehr oder weniger unabhängig sind. Das Bestehen und die Bedingungen für das Funktionieren solcher Stellen seien in den Mitgliedstaaten durch Gesetz und in einigen Mitgliedstaaten sogar in der Verfassung geregelt, und diese Stellen seien an das Gesetz gebunden und unterlägen der Kontrolle durch die zuständigen Gerichte.
Anmerkung
Das Verfahren vor dem EuGH zur Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde hat eine sehr weitreichende Bedeutung für die künftige Regulierung des deutschen Energiemarktes und damit für viele kommunale Netzbetreiber.
In den nächsten Jahren und Jahrzehnten werden erhebliche Investitionen in die Netze zur Absicherung der Energiewende in den Kommunen und Regionen erforderlich sein. Die Herausforderungen für die Energienetze nehmen stetig zu: Zur Erreichung der ambitionierten Klimaschutzziele sollen bis 2030 65 Prozent des Bruttostroms aus erneuerbaren Energien gedeckt werden, 10 Mio. Elektroautos betrieben und der Ausbau der Wasserstoffwirtschaft forciert werden.
Es besteht die Befürchtung, dass die hierfür erforderlichen Investitionen nicht mehr im ausreichenden Maß getätigt werden, wenn der Zinssatz von derzeit 6,91 Prozent unter ein bestimmtes Niveau fällt. Deshalb setzen sich die kommunalen Spitzenverbände gemeinsam mit den energiewirtschaftlichen Verbänden VKU und BDEW sowie Verdi für eine angemessene Höhe der Eigenkapitalverzinsung gegenüber Bundesregierung, Parlament und Bundesnetzagentur ein. In einem gemeinsamen Gespräch der genannten Akteure mit dem BMWi machte dieses deutlich, dass die Bundesregierung die Einlassungen des Generalanwalts sehr kritisch sehe. Darin sei ein Paradigmenwechsel enthalten, der wesentliche energiepolitische Entscheidungen auf eine Bundesbehörde – in dem Fall die Bundesnetzagentur - verlagere. Dies könne das Vertrauen in die Energiepolitik der Regierung und damit auch in die Demokratie beeinträchtigen. Damit es nicht zu diesem Ergebnis komme, verfolge die Bundesregierung mehrere Ansätze. Zum einen wolle man sich im Rahmen des Verfahrens dafür einsetzen, dass der EuGH sich nicht dem Votum des Generalanwalts anschließt. Zum anderen werde aber auch die Option geprüft, ob – auch zusammen mit anderen Mitgliedsstaaten der EU – die entsprechenden europäischen Rechtsgrundlagen wie die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie und der darin enthaltene Zuständigkeitskatalog geändert werden könnten.
Geplant sei zudem ein Planspiel der BNetzA mit exemplarischen Verteilnetzbetreibern, in dessen Rahmen die Höhe des Eigenkapitalzinssatzes und seine Auswirkung auf die Investitionen in die Netze näher untersucht werden solle. Grundsätzliches Ziel sei es, die Energienetze fit für die Zukunft zu machen. Sobald sich aus dem Planspiel eine Handlungsnotwendigkeit ergebe, werde man das Erforderliche tun. Als Optionen hierfür wurden die Anpassung der sog. Marktrisikoprämie aber auch des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors (sog. Xgen) genannt. Das BMWi werde hierbei nicht nur zusehen, sondern mit der Bundesnetzagentur Teil des Prozesses sein. Dabei sei die BNetzA Herrin des Verfahrens. Im nächsten Schritt werde es deshalb ein Gespräch zwischen dem BMWi und dem Präsidenten der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, geben.
Entscheidet der EuGH im Sinne des Generalanwalts so wäre der Bundesregierung der Weg einer Einflussnahme auf die Entscheidung der Bundesnetzagentur zur Bestimmung der Höhe des Zinssatzes sowohl auf gesetzlichem als auch auf politischen Weg weitgehend eingeengt.
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der EuGH nicht an die Rechtsauffassung des Generalanwalts gebunden ist und das Plädoyer keine präjudizielle Wirkung hat. Rein statistisch gesehen gibt es jedoch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Entscheidung des EuGH dem Schlussantrag des Generalanwalts entspricht. Mit einer Entscheidung wird bis zum Sommer 2021 gerechnet.
Die Schlussanträge sind im Internet unter folgender Adresse abrufbar: http://curia.europa.eu
Az.: 28.6.10-002/001 we