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Hauptausschuss 2024
Heft Juli-August 2004
Gemeinden können Einzelhandel beschränken
Die Gemeinden können zum Schutz und zur Stärkung der Attraktivität ihrer Zentren in anderen Bereichen des Gemeindegebiets Maßnahmen zur Beschränkung des Einzelhandels treffen. Der Schutz und die Stärkung der Attraktivität und Einzelhandelsfunktion der Innenstadt ist eine legitime Zielsetzung gemeindlicher Planung (nichtamtliche Leitsätze).
OVG NRW, Urteil vom 22. April 2004
- Az.: 7a D 142/02.NE
Der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat entschieden, dass Gemeinden zum Schutz und zur Stärkung der Attraktivität ihrer Zentren in anderen Bereichen des Gemeindegebiets Maßnahmen zur Beschränkung des Einzelhandels treffen können.
Die Stadt Sundern im Hochsauerlandkreis hatte in einem Bebauungsplan für einen an die Kernzone ihres Zentrums angrenzenden Bereich den Einzelhandel mit bestimmten Warengruppen (z. B. Bücher, Bekleidung, Unterhaltungselektronik, Elektrohaushaltswaren, Lebensmittel, Getränke, Apotheke, Drogerie) verboten. Hiergegen wandten sich in einem Normenkontrollverfahren Grundeigentümer, die wegen des Einzelhandelsausschlusses einen Wertverlust ihrer Grundstücke befürchteten. Ihren Normenkontrollantrag hat das OVG mit dem o. g. Urteil abgelehnt.
Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Schutz und die Stärkung der Attraktivität und Einzelhandelsfunktion der Innenstadt sei eine legitime Zielsetzung gemeindlicher Planung. Die Gemeinde könne zur Verfolgung dieses Ziels in Bereichen, die nach ihrer Einschätzung nicht zur schützenswerten Kernzone der Innenstadt gehören, den Einzelhandel mit bestimmten Sortimenten ausschließen. Der Ausschluss könne alle Sortimente erfassen, deren Verkauf typischerweise in einem Stadtzentrum erfolge und der auch in der konkreten örtlichen Situation für das Stadtzentrum von erheblicher Bedeutung sei. Die Ausschlüsse dürften die betroffenen Grundeigentümer allerdings nicht unvertretbar belasten. Im konkreten Fall seien sie allerdings gerechtfertigt, weil den betroffenen Eigentümern nur untersagt werde, neue Geschäfte anzusiedeln. Für die im Plangebiet vereinzelt bereits vorhandenen Einzelhandelsgeschäfte habe die Gemeinde Sonderregelungen getroffen, die den Betrieben die Möglichkeit zu Anpassungen und bestimmten Erweiterungen ihres an sich unzulässigen Warenangebots einräumten.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen.
Zulässigkeit von Wahlwerbung
Ob sich die Wahlplakatierung im Rahmen der erteilten Sondernutzungserlaubnis hält, bemisst sich nach einer großzügigen Gesamtbetrachtung. Die Erlaubnis für eine Sondernutzung öffentlicher Verkehrsflächen durch Plakatwerbung einer politischen Partei zur Europawahl 2004 ist erst dann überschritten, wenn die Plakatierung keinen Bezug zur Europawahl mehr hat (nichtamtliche Leitsätze).
OVG NRW, Beschluss vom 12. Mai 2004
- Az.: 11 B 952/04
Der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat entschieden, dass die Aufforderung der Stadt Krefeld, die SPD solle ihre Wahlplakate beseitigen oder überkleben, rechtswidrig ist.
Im April 2004 hatte die SPD in Krefeld von der Stadt die straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis erhalten, an bestimmten Standorten im Stadtgebiet Wahlplakate für die Europawahl 2004 aufstellen zu dürfen. Daraufhin erschienen Wahlplakate mit dem Bild des Oberbürgermeister-Kandidaten der SPD für die Kommunalwahl 2004 und der Aufschrift „Europawahl am 13. Juni 2004: Bitte gehen Sie zur Wahl!“, „Meine Heimat Krefeld in Europa“, „Ulrich Hahnen Oberbürgermeister für Krefeld“, „Mehr Gewicht für Krefeld. SPD“. Die Stadt Krefeld sah darin eine Wahlwerbung bereits für die Kommunalwahl 2004 und gab der SPD mit Bescheid vom 3. Mai 2004 auf, die Plakate bis zum 6. Mai 2004 zu beseitigen oder zu überkleben. Außerdem ordnete sie die sofortige Vollziehung dieses Bescheids an.
Dagegen legte die SPD Widerspruch ein und beantragte zugleich beim Verwaltungsgericht Düsseldorf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Das VG Düsseldorf lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 6. Mai 2004 ab, weil die Plakate Wahlwerbung auch für die Kommunalwahl 2004 enthielten und insoweit keine Sondernutzungserlaubnis erteilt worden sei.
Gegen diesen Beschluss hat die SPD Beschwerde eingelegt, der das OVG nunmehr mit dem o. g. Beschluss stattgegeben hat. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die SPD habe die Erlaubnis für eine Sondernutzung öffentlicher Verkehrsflächen durch Plakatwerbung einer politischen Partei zur Europawahl 2004 erhalten. Die SPD halte sich mit den von ihr aufgestellten Plakaten im Rahmen dieser Nutzung. Insofern komme es - straßenrechtlich - nicht darauf an, ob und ggf. inwieweit ein potenzieller Wähler durch einzelne Aussagen des fraglichen Plakats über die eigentliche Werbung für die Europawahl hinaus politischer Beeinflussung ausgesetzt werde. Es sei in erster Linie Sache der Parteien, Art und Stil ihrer Wahlpropaganda zu bestimmen. Ob sich die Wahlplakatierung im Rahmen der erteilten Sondernutzungserlaubnis halte, bemesse sich nach einer großzügigen Gesamtbetrachtung. Die isolierte Würdigung einzelner textlicher oder bildlicher Elemente des Plakats verbiete sich. Die Nutzung wäre erst dann eine unerlaubte andere, wenn die Plakatierung keinen Bezug zur Europawahl mehr hätte. Davon gehe aber auch die Stadt Krefeld nicht aus.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Aussetzung der Altersteilzeit
Die angespannte Haushaltslage des Landes Schleswig-Holstein gestattet es nicht, die durch Altersteilzeit frei werdenden Beamtenstellen nachzubesetzen. Erfordert demgegenüber der Dienstbetrieb im Bereich der jeweiligen Landesverwaltung, die Stellen fortlaufend zu besetzen, so stellt dies einen dringenden dienstlichen Belang dar, der die Gewährung von Altersteilzeit ausschließt (nichtamtlicher Leitsatz).
BVerwG, Urteile vom 29. April 2004
- Az.: 2 C 21.03 und 22.03
Die Kläger sind Beamte des Landes Schleswig-Holstein und haben Altersteilzeit nach dem so genannten Blockmodell beantragt. Das Land hat dies mit der Begründung abgelehnt, die Haushaltslage lasse es seit Juni 2001 nicht mehr zu, Beamte im Wege der Altersteilzeit vorzeitig in den Ruhestand zu entlassen. Ausgenommen seien Schwerbehinderte und Fälle des Stellenabbaus.
Das Bundesverwaltungsgericht hat dies gebilligt. Altersteilzeit kann nach Landesrecht nur gewährt werden, wenn dringende dienstliche Belange nicht entgegenstehen. Die angespannte Haushaltslage des Landes Schleswig-Holstein gestatte es nicht, die durch Altersteilzeit frei werdenden Beamtenstellen nachzubesetzen. Erfordere demgegenüber der Dienstbetrieb im Bereich der jeweiligen Landesverwaltung, die Stellen fortlaufend zu besetzen, so stelle dies einen dringenden dienstlichen Belang dar, der die Gewährung von Altersteilzeit ausschließe. Die Entscheidung der Landesregierung, die Altersteilzeit weitgehend auszusetzen, ist bei dieser Sachlage vom Gesetz gedeckt.
Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung
Das Gegenseitigkeitserfordernis aus § 87 Abs. 2 Ausländergesetz bezieht sich lediglich auf die Hinnahme der Mehrstaatigkeit in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten. Es verlangt hingegen nicht auch eine Übereinstimmung der übrigen Voraussetzungen und Folgen der Einbürgerung (nichtamtliche Leitsätze).
BVerwG, Urteil vom 20. April 2004
- Az.: 1 C 13.03
Nach den Einbürgerungsvorschriften des Ausländergesetzes wird eine doppelte Staatsangehörigkeit hingenommen, wenn der Einbürgerungsbewerber die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union besitzt und Gegenseitigkeit besteht. Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig hat zugunsten des Klägers entschieden, dass Gegenseitigkeit dann gegeben ist, wenn der Herkunftsstaat seinerseits bei der Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger eine doppelte Staatsangehörigkeit hinnimmt.
Der Kläger, ein seit 1980 in Deutschland lebender Grieche, hatte in Bayern seine Einbürgerung beantragt und erklärt, dass er zur Aufgabe seiner griechischen Staatsangehörigkeit nicht bereit sei. Daraufhin lehnte die beklagte Stadt die Einbürgerung ab, weil es an der erforderlichen Gegenseitigkeit fehle. Dies sei schon deshalb der Fall, weil Griechenland anders als Deutschland keinen zwingenden Anspruch auf Einbürgerung vorsehe, sondern Einbürgerung nur nach Ermessen gewähre. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Erfolg.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision der Landesanwaltschaft Bayern zurückgewiesen. Es hat maßgebend darauf abgestellt, dass sich das Gegenseitigkeitserfordernis (§ 87 Abs. 2 Ausländergesetz) auf die Hinnahme der Mehrstaatigkeit in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten bezieht. Es verlangt hingegen nicht auch eine Übereinstimmung der übrigen Voraussetzungen und Folgen der Einbürgerung. Der Gesetzgeber habe mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 1999 die Einbürgerung für EU-Staatsangehörige erleichtern wollen. Diese Erleichterung würde nicht erreicht, wenn man für die Gegenseitigkeit verlangte, dass auch andere EU-Staaten die im Wesentlichen nur in Deutschland verankerte Anspruchseinbürgerung vorsehen. Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts muss nicht nur das Einbürgerungsrecht, sondern auch die Einbürgerungspraxis dem Gegenseitigkeitserfordernis gerecht werden. Das ist in Bezug auf Griechenland vom Verwaltungsgerichtshof festgestellt worden.
Einzelne Bundesländer haben bisher weiter gehende Anforderungen an die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit gestellt. Der Vertreter des Bundesinteresses hatte darauf hingewiesen, dass die Bundesrepublik Deutschland wegen der restriktiven Einbürgerungspraxis dieser Bundesländer im Ausland kritisiert worden sei. Durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde nun die Rechtsauffassung des Bundes bestätigt und dem Kläger ein Anspruch auf Einbürgerung zuerkannt.
© StGB NRW 2004