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Interview

"Wir werden mit den Kosten allein gelassen"

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Der Kanzler hat kürzlich eine kommunale Altschuldenlösung des Bundes noch vor der Neuwahl in Aussicht gestellt. Wie groß sind Ihre Hoffnungen?

Landscheidt: Minimal.

So wenig Zutrauen zum Parteifreund?

Landscheidt: Das ist keine Kritik an Olaf Scholz. Mir fehlt aber die Fantasie, warum andere Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg mitspielen sollten.

Die schwarz-grüne Landesregierung hat erklärt, dass sie die Hälfte der Altschulden übernimmt. Was würde es bedeuten, wenn es dabei bliebe?

Landscheidt: Bei all der berechtigten Kritik am Land: Hier hat Schwarz-Grün wirklich etwas Substanzielles angestoßen, ein gutes Signal – das in Berlin und den anderen Landeshauptstädten gehört werden muss. Denn ohne eine Beteiligung des Bundes, wird es schlicht nicht ausreichen.

Würden Sie so weit gehen wie CDU-Fraktionschef Schick, und die Landesregierung als eine der kommunalfreundlichsten überhaupt loben?

Landscheidt: Woher man die geradezu bewundernswerte Chuzpe für eine solche Formulierung nimmt, ist mir ein Rätsel. Für die Altschulden mag das ja vielleicht gelten. Aber ansonsten ist da wenig Kommunalfreundlichkeit zu erkennen. Das Land kennt das Ausmaß der Probleme vor Ort, wir sprechen regelmäßig miteinander. Und trotzdem befinden sich die Kommunen in einer Krise, wie ich sie in 30 Jahren Amtszeit noch nicht erlebt habe. Die Liste der Kritikpunkte ist lang.

Als da wäre?

Landscheidt: Die strukturelle Finanzausstattung der Kommunen hat sich zuletzt katastrophal verschlechtert. Das spüren die Bürger in ihrem Alltag. Das Land bringt aber bislang nichts zustande außer den empörten Fingerzeig nach Berlin. Das hilft uns aber nicht. Unser Ansprechpartner in Sachen Finanzen ist nun mal Düsseldorf. Das gilt für die Kitaausstattung, für die Grundsteuer, für die Flüchtlingsproblematik. Die Liste ließe sich beliebig erweitern.

Die geopolitische Lage lässt derzeit nichts Gutes befürchten. Räumen Sie schon wieder die Turnhallen für neue Geflüchtete frei?

Landscheidt: Nein, weil wir nicht den Rechtsextremen Munition liefern wollen. Wir investieren massiv in den Aufbau von Unterbringungsplätzen und werden dabei leider erneut mit den Kosten allein gelassen. Eigentlich benötigen wir im großen Stil eine Übernahme der Vorhaltekosten durch das Land. Das Land signalisiert Verständnis, duckt sich aber weg, sobald es konkret wird. Zumindest ein Einstieg in Gespräche ist überfällig.

Das Land hat neben dem Aufbau von mehr eigenen Plätzen zugesagt, dass nur noch diejenigen mit einer echten Bleibeperspektive auf die Städte verteilt werden. Geschieht das schon?

Landscheidt: Davon merken wir in der Realität noch nichts. Noch werden zu viele Menschen auf unsere Kommunen verteilt, bei denen völlig klar ist, dass sie wieder gehen müssen – etwa Geflüchtete aus der Türkei. Das überfordert die vielen engagierten Menschen vor Ort. Ich verstehe aber auch, dass nicht alles von heute auf morgen geht. Wir brauchen schnellere Asylverfahren und dafür mehr Verwaltungsrichter. Da hat das Land mit dem Sicherheitspaket Dinge auf den Weg gebracht. Wir benötigen aber auch mehr Personal in den Ausländerbehörden. Und dann sind wir wieder beim Ausgangspunkt. In den Kommunen fehlt schlicht das Geld.

Oppositionsführer, Jochen Ott, hat jüngst gewarnt, es fänden sich überhaupt keine Kommunalpolitiker mehr, weil niemand Lust hat, dem Nachbarn zu sagen, was alles nicht mehr geht, aber dafür die Steuern und Abgaben steigen. Deckt sich das mit Ihrem Erleben?

Landscheidt: Leider ja. Ich bewundere die Menschen, die da schon seit Jahren engagierte Politik machen und sich den schwierigen Debatten vor Ort stellen. Ich erlebe aber leider auch, dass viele gute Bürgermeister sagen. "Das tue ich mir nicht mehr an." Die wollen gestalten und eine Perspektive bieten und nicht nur den Mangel verwalten.

Wird der Ton rauer?

Landscheidt: Wir erleben zunehmend, dass in den sozialen Medien diejenigen am lautesten sind, die ein überzogenes Anspruchsdenken haben und dann schnell schreiben, die Verwaltung sei zu blöde. Das wird mitunter sehr persönlich. Auch das hilft nicht, mehr Menschen für die Kommunalpolitik zu gewinnen. Zuletzt konnten wir das sehr stark beim Thema Grundsteuer erleben.

Weil viele Kommunen darauf verzichten, unterschiedliche Hebesätze für Wohn- und Nicht-Wohn-Immobilien zu verlangen, verteuert sich dort das Wohnen tendenziell. Wie bewerten Sie das?

Landscheidt: Ich finde es bedauerlich, dass das Land all unsere Warnungen in den Wind geschlagen hat und keine einheitliche Grundsteuermesszahl gewählt hat. Das beschert uns jetzt die Diskussionen und Rechtsunsicherheiten vor Ort und am Ende leider auch den Flickenteppich.

Mit Blick auf die Kommunalwahl sind viele Kommunen zurückhaltend und bleiben unter dem aufkommensneutralen Grundsteuer-Hebesatz. Sprich: Weitere Einnahmen brechen weg.

Landscheidt: Ja. Aber ich verstehe das. Es kursierten ja schon wilde Beschuldigungen, die Kämmerer würden die Situation ausnutzen und sich die Taschen voll machen. Dass dem nicht so ist, zeigt unsere Blitzumfrage. Das werden die Städte aber auf Dauer nicht durchhalten können. Die Grundsteuer ist nun mal eine extrem wichtige Einnahmequelle.

Genau wie die Gewerbesteuer. Da droht ihnen aufgrund der Rezession auch Ungemach.

Landscheidt: Ja, und weil es sich um eine Wettbewerbsteuer handelt, wird diese erfahrungsgemäß noch seltener angefasst. Wir stehen schlicht vor einem massiven Einnahmeproblem.

In den vergangenen Jahren haben die Kommunen vielfach freiwillige Leistungen gekürzt. Ist da überhaupt noch Spielraum?

Landscheidt: Ich mag den Begriff der freiwilligen Leistungen nicht. Eine Bücherei, eine Musikschule, ein Schwimmbad, eine Stadthalle – all dies sind Dinge, die wichtig für das Zusammenleben vor Ort sind. Da wurde schon viel eingespart. Aber wir werden erleben, dass die Finanzaufsicht die NRW-Kommunen dazu zwingen wird, noch mehr zu streichen. Das ist dann ein Brandbeschleuniger, der den Wettbewerb unter den Kommunen erheblich verschärft.

Aber was ist die Lösung?

Landscheidt: Die ist eigentlich ganz einfach: Die Zuweisungen für die Kommunen müssen wieder steigen. Wir brauchen nicht die Hunderten von kleinteiligen Förderprogrammen. , die nur unnötig Kapazitäten in den Verwaltungen binden und den Kabinettsmitgliedern bei der Bescheidübergabe schöne Fotos bescheren, aber keine dauerhafte Finanzierung bieten. Die Grundausstattung der Steuerumlage muss in einem ersten Schritt von 23 auf 25 Prozent steigern – und perspektivisch wieder auf das alte Niveau von 28 Prozent zurückkehren.

Klingt nach Wunschdenken. Oder haben Sie schon einen Termin beim Ministerpräsidenten?

Landscheidt: Es gibt einen Brandbrief von mehr als 350 Bürgermeistern an Hendrik Wüst. Der blieb bislang fruchtlos. Er sollte aber nicht davon ausgehen, dass wir uns damit abfinden. Wir reden hier über nicht weniger als die Handlungsfähigkeit des Staates.

Das Land hat bislang auch nicht das geforderte Ausführungsgesetz für den OGS-Ausbau vorgelegt. Rechnen Sie damit, dass da schon vorgebaut wird, um sich bei der Finanzierung wegzuducken?

Landscheidt: Den Eindruck muss man leider bekommen. Der Webfehler ist ja eigentlich schon, dass OGS eigentlich ein Schul- und damit ein Landesthema ist, nicht aber wie derzeit Sache der Jugendämter. Wenn man kindliche Bildung ernst nimmt, so wie es Schwarz-Grün andauernd behauptet, dann sollten sie den großen Worten auch Taten folgen lassen. Wir stehen zu unserer Verantwortung, aber wenn Bund und Länder einen Rechtsanspruch beschließen, ohne ihn zu finanzieren, läuft es in den Schulen mehr auf Betreuung als auf Bildung hinaus.

Wir reden in NRW auch viel über bröckelnde Infrastruktur. Wie sieht es da in den Kommunen aus?

Landscheidt: Der Nachholbedarf an Investitionen ist gewaltig, wir hinken in NRW um schätzungsweise 50 Milliarden Euro hinterher. Wegen der Unterfinanzierung mussten die Kommunen immer wieder priorisieren. Viele haben sich auf die Bereiche Schulen, Kitas und Feuerwehr konzentriert und dafür weitere Darlehen aufnehmen müssen. Andere Dinge wie Straßen, Brücken und Kanäle, die ebenfalls fraglos wichtig sind, rückten da aber in den Hintergrund. Das darf so nicht bleiben, alles andere lässt das Vertrauen in Staat und Politik weiter erodieren.

Das Interview führt Maximilian Plück.

Zur Original-Veröffentlichung in der Rheinischen Post vom 4. Januar 2024