Mitteilung
EuGH: Sektorenvergaberecht bei Beschaffung einer Kläranlage anwendbar
Der EuGH hat mit Urteil vom 05.06.2025 | Rs. C-82/24 festgestellt, dass ein öffentlicher Bauauftrag eines städtischen Wasser- und Abwasserunternehmens zur Erweiterung einer Kläranlage nach den Vorgaben des Sektorenvergaberechts zu beurteilen ist.
Sachverhalt/Entscheidung
In dem zugrundeliegenden Verfahren geht es um einen Rechtsstreit des Städtischen Wasser- und Abwasserunternehmens der Hauptstadt Warschau mit einem Unternehmenskonsortium über die Zahlung von Vertragsstrafen sowie eine Entschädigung für die mangelhafte Ausführung eines öffentlichen Bauauftrags über die Modernisierung und Erweiterung der Kläranlage. Der im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens mit der Sache befasste EuGH kommt dabei zu folgendem Ergebnis:
„Der Grundsatz der Gleichbehandlung und das Transparenzgebot im Sinne von Art. 10 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste sind dahin auszulegen, dass sie es verbieten, auf einen Vertrag über Bauleistungen durch gerichtliche Auslegung analog nationale Rechtsvorschriften über die Garantie im Bereich von Kaufverträgen anzuwenden, deren Inhalt weder in den Ausschreibungsunterlagen noch in diesem Vertrag über Bauleistungen ausdrücklich angegeben wurde, wenn die Anwendbarkeit dieser Bestimmungen für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt nicht hinreichend klar und vorhersehbar ist.“
Für kommunale Unternehmen, die sowohl in den Bereichen der Wasserversorgung als auch der Abwasserbeseitigung tätig sind, enthält das Urteil einen wichtigen Aspekt. Denn der EuGH entscheidet sich im vorliegenden Fall ausdrücklich dafür, die Beurteilung des konkreten Beschaffungsvorgangs nach Sektorenvergaberecht und nicht nach den allgemeinen Vergabevorgaben durchzuführen.
Der EuGH hält im vorliegenden Fall das Sektorenvergaberecht bereits aufgrund des Auftragsgegenstands (Bau einer thermischen Behandlungsanlage für Klärschlamm, die zwei Rekuperatoren an zwei voneinander unabhängigen Müllverbrennungslinien umfasst) für anwendbar (vgl. Rdnr. 13, 25). Gem. Art 12 der Vergaberichtlinie (alt) gelte diese Richtlinie nicht für öffentliche Aufträge im Bereich der Richtlinie 2004/17/EG, die von öffentlichen Auftraggebern vergeben werden, die eine oder mehrere Tätigkeiten gemäß Artikel 3 bis 7 der genannten Richtlinie ausüben, und die der Durchführung dieser Tätigkeiten dienen“. (Kurz: Sektorenaufträge sind nicht nach allgemeinem Vergaberecht zu regeln.) Art. 4 der Richtlinie 2004/17 wiederum sehe u. a. vor, dass diese Richtlinie für Aufträge gilt, die die Bereitstellung und das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Fortleitung und der Abgabe von Trinkwasser betreffen (vgl. Rdnr. 26). In der Argumentation des EuGH fehlt allerdings der Hinweis auf Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2004/17. Diese Norm lautet:
(2) Diese Richtlinie findet auch auf die Vergabe von Aufträgen und die Durchführung von Wettbewerben durch Auftraggeber Anwendung, die eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 ausüben, wenn diese Aufträge
a) mit Wasserbauvorhaben sowie Bewässerungs- und Entwässerungsvorhaben im Zusammenhang stehen, sofern die zur Trinkwasserversorgung bestimmte Wassermenge mehr als 20 % der mit den entsprechenden Vorhaben bzw. Bewässerungs- oder Entwässerungsanlagen zur Verfügung gestellten Gesamtwassermenge ausmacht, oder
b) mit der Ableitung oder Klärung von Abwässern im Zusammenhang stehen.
Einzige Voraussetzung für die Einstufung von Aufträgen im Zusammenhang mit der Ableitung oder Klärung von Abwässern als Sektorenauftrag ist somit, dass der betreffende Auftraggeber auch eine Tätigkeit gem. Absatz 1 durchführt, d. h. im Bereich der Wasserversorgung tätig ist.
Einordnung/Bewertung:
Die Möglichkeit, künftig ebenfalls das Sektorenvergaberecht zu nutzen, sieht der EuGH ausdrücklich auch für solche Abwasserentsorgungsunternehmen, die auch im Bereich der Trinkwasserversorgung tätig sind. Eine solche Betätigung erfordert den Betrieb eines Trinkwasserversorgungsnetzes oder zumindest das Einspeisen von Trinkwasser in ein solches Netz.
Betriebe, die lediglich im Bereich der Abwasserbeseitigung tätig sind, werden mithin nach dem Urteil des EuGH nicht nach Sektorenvergaberecht ausschreiben können.
In Deutschland ist die Definition der Sektorentätigkeit der Wasserversorgung allerdings in einem Detail ungenau umgesetzt. Der § 102 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) regelt, dass auch solche Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Trinkwassernetzes oder der Einspeisung von Trinkwasser Sektorentätigkeiten sind, die im Zusammenhang mit der Abwasserbeseitigung oder -behandlung stehen. Anders als die maßgeblichen EU-Vorgaben sehen die Vorgaben im GWB vor, dass die Tätigkeit selbst sowohl mit der Trinkwasserversorgung i.e.S. als auch mit der Abwasserbeseitigung im Zusammenhang stehen müssen. Diese doppelte Bezugnahme ist strenger als die entsprechende EU-Vorgabe. Ob somit Unternehmen in Deutschland, die sowohl in der Trinkwasserversorgung als auch in der Abwasserbeseitigung tätig sind, bei entsprechenden Aufträgen im Zusammenhang mit der Abwasserbeseitigung oder -behandlung bereits jetzt nach Sektorenvergaberecht ausschreiben können, ist angesichts des Wortlauts des § 102 Abs. 1 S. 1 und 2 GWB fraglich.
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) hat bereits mitgeteilt, dass eine entsprechende Anpassung der GWB-Regelung im Zuge der angekündigten Vergaberechtsnovelle des BMWE vorgenommen werden sollte. Der DStGB unterstützt diese Forderung, um eine korrekte EU-Rechtsumsetzung sicherzustellen und für Rechtsklarheit zu sorgen. Ziel ist es somit, dass Unternehmen, die in den Bereichen Wasser und Abwasser tätig sind, grundsätzlich und für alle Beschaffungen in diesen Bereichen Sektorenvergaberecht anwenden können.