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StGB NRW-Mitteilung 82/2004 vom 23.01.2004

Äußerung von Gemeindeorganen zu kassatorischen Bürgerbegehren

Das OVG NRW hat mit Beschluß vom 16.12.2003 (15 B 2455/03) Ausführungen dazu gemacht, ob und in welchem Umfang Gemeindeorgane befugt sind, sich zu einem kassatorischen Bürgerbegehren wertend zu äußern. Diese Befugnis erfährt Einschränkungen durch Kompetenznormen, den Grundsatz der Freiheit der Teilnahme an Bürgerbegehren und das Sachlichkeitsgebot. Dieses Urteil deckt sich mit der bisherigen Rechtsberatung der Geschäftsstelle. Im konkreten Fall hatte eine Bezirksvorsteherin die Bürger aufgerufen, daß Bürgerbegehren nicht zu unterstützen. Ferner wurden Aussagen getätigt wie: „Wer hier unterschreibt, zementiert einen unhaltbaren Zustand. Das ist keine Initiative für, sondern gegen den Stadtbezirk. Abgesehen von der optischen Scheußlichkeit ist die Zahl an Stellplätzen nur unter Inkaufnahme einer großen Verkehrsgefährdung machbar. Wenn das Bürgerbegehren kommt, herrscht Stillstand im Stadtbezirk. Dann ist der Platz im Eimer“ sowie die Äußerung „Ich werde dann die Namen derer nennen, die für den Stillstand verantwortlich sind“. Zunächst hat das OVG seine bisherige Rechtsprechung fortgeführt, wonach den Vertretern des Bürgerbegehrens weitgehende Rechte zugestanden werden. So sind sie berechtigt, die Unterlassungsansprüche zur Wahrung des Rechts auf gesetzliche Durchführung eines Bürgerbegehrens geltend zu machen. Nach dieser Entscheidung war die Bezirksvorsteherin zu den beanstandeten Äußerungen berechtigt (Nach Ansicht der Geschäftsstelle gelten die nachfolgenden Ausführungen auch zugunsten des Gemeinderates sowie des Bürgermeisters). Nach dieser Rechtsprechung unterlag die Bezirksvorsteherin anders als bei Wahlen keinem Neutralitätsgebot. Dies ergibt sich daraus, daß die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden nicht den Grundakt demokratischer Legitimation betreffen. Vielmehr geht es um die Entscheidung einer konkreten Sachfrage im Wege direkter Demokratie. Dieses setzt begrifflich voraus, daß die - vollständige oder teilweise - Beseitigung eines Rats- bzw. Bezirksvertretungsbeschlusses durch Aufhebung oder Änderung erstrebt wird. Daraus ergibt sich, daß die Organe der Gemeinde nicht zur Neutralität verpflichtet sind, sondern sogar im Gegenteil gehalten sein können, öffentlich zu dem Sachbegehren wertend Stellung zu nehmen. Die Bezirksvorsitzende als Vorsitzende der Bezirksvertretung repräsentiert die Bezirksvertretung, die den angegriffenen Beschluß gefaßt hat. Dann hat sie aber alles erforderliche zu veranlassen, um die Durchführung des Beschlusses der Bezirksvertretung durch den Bürgermeister (§ 62 Abs. 2 GO NRW) zu ermöglichen. Darüber hinaus sieht auch das Recht des Bürgerbegehrens selbst vor, daß Gemeindeorgane inhaltlich zu dem Bürgerbegehren Stellung nehmen können: Nach § 26 Abs. 6 S. 3 GO ist ein Bürgerentscheid nur durchzuführen, wenn der Rat dem zulässigen Bürgerbegehren nicht entspricht. Spätestens in diesem Stadium sieht also das Gesetz die regelmäßige inhaltliche Befassung von Gemeindeorganen mit dem sachlichen Ziel des Bürgerbegehrens in öffentlicher Sitzung vor und damit auch einen Beschlußvorschlag des Bürgermeisters in Vorbereitung des Beschlusses. Dementsprechend haben die an einem Bürgerbegehren und Bürgerentscheid teilnehmenden Bürger ebenso wenig einen Anspruch auf Neutralität der Gemeindeorgane wie es die Rats- bzw. Bezirksvertretungsmitglieder im repräsentativ-demokratischen Verfahren haben. Auch werden solchen Äußerungen nicht durch die Grundrechte Schranken gesetzt. Denn es geht hier nicht um den Schutz eines grundrechtlichen Freiheitsraums vor staatlichen Eingriffen, sondern um den Schutz der einfach gesetzlichen Gewährleistung der unmittelbaren Beteiligung der Bürger an der gemeindlichen Willensbildung. Die Grenzen des Äußerungsrechts ergeben sich vielmehr aus den Kompetenznormen für die sich äußernden Gemeindeorgane, den fachgesetzlichen Normen des betroffenen Rechtskreises, hier des Rechtes des Bürgerbegehrens, und den allgemein das hoheitliche Handeln bestimmenden Rechtsnormen, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip, hier in Form des Sachlichkeitsgebots. Nach dieser Rechtsprechung gehört es zu den Kompetenznormen einer Bezirksvorsteherin, Beschlüsse der Bezirksvertretung in der Öffentlichkeit zu vertreten und zu verteidigen. Selbstverständlich muß es den Bürgerinnen und Bürgern ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen möglich sein, von dem Unterschrifts- und Abstimmungsrecht Gebrauch machen zu können. Er soll sein Urteil in einem freien und offenen Prozeß der Meinungsbildung gewinnen können. Die von der Bezirksvorsteherin getätigten Äußerungen waren grundsätzlich dazu nicht geeignet, einen solchen Zwang zu begründen. Problematisiert hat das OVG hingegen, ob die Unterzeichnungsfreiheit dadurch beeinträchtigt wurde, weil die Bezirksvorsitzende angekündigt hatte, die Namen derer zu nennen, die für den Stillstand verantwortlich seien. Dies kann von den Unterzeichnern als Prangerwirkung verstanden werden. Darin läge ein Zwang gegenüber potenziellen Unterzeichnern des Bürgerbegehrens, der in unzulässiger Weise deren Unterzeichnungsfreiheit einschränkt. Im konkreten Fall hat das OVG NRW diese Äußerung aufgrund einer Gesamtbetrachtung der Äußerungen noch als zulässig erachtet. Die Geschäftsstelle empfiehlt im Vorfeld kritisch zu prüfen, ob dieser zuletzt genannte Aspekt geäußert werden muß.

Über diese die Unterzeichnungsfreiheit betreffenden Schranken hinaus haben sich amtliche Äußerungen an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsprinzips (auch außerhalb des grundrechtlichen Bereichs) zu orientieren. Dies bedeutet als Sachlichkeitsgebot zusammengefasst, daß mitgeteilte Tatsachen zutreffend wiedergegeben werden müssen und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürfen sowie auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen. Außerdem dürfen die Äußerungen im Hinblick auf das mit der Äußerung verfolgte sachliche Ziel im Verhältnis zur Unterzeichnungsfreiheit der Bürger nicht unverhältnismäßig sein. Dies war im vorliegenden Fall alles erfüllt, so daß der Antrag der Vertreter des Bürgerbegehrens erfolglos blieb.

Die Geschäftsstelle weist darauf hin, daß die Entscheidung ein sog. kassatorisches Bürgerbegehren betraf. Fraglich ist hingegen ob diese Rechtsprechung auch bei sog. initiierenden Bürgerbegehren anzuwenden ist. Dies ist nach Ansicht der Geschäftsstelle gegeben. Die Kompetenznorm der Gemeindeorgane zu initiierenden Bürgerbegehren Stellung zu nehmen, ergibt sich hinsichtlich des Rates daraus, daß die Ratsmitglieder ihre Tätigkeit ausschließlich im öffentlichen Wohl ausüben müssen (§ 43 Abs. 1 GO) und dementsprechend befugt sind, zu initiierenden Bürgerbegehren öffentlich nach Maßgabe der weiteren Voraussetzung des OVG Stellung zu nehmen. Diese Kompetenz steht auch dem Bürgermeister nach Ansicht der Geschäftsstelle zu. Dies ergibt sich bereits daraus, daß er im Rahmen der Vorbereitung der Beschlüsse des Rates zu solchen initiierenden Bürgerbegehren wertend Stellung nehmen muß und im übrigen auch dem allgemeinen Wohl verpflichtet ist (vgl. auch § 55 Abs. 1 S. 1 LBG).

Az.: I/2 020-08-26

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