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Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser
StGB NRW-Mitteilung 72/1998 vom 05.02.1998
Ansatzfähigkeit von sogenannten Leerkosten
Das Verwaltungsgericht Aachen hat mit Beschluß vom 18.12.1997 (AZ: 7 L 291/97; nicht rechtskräftig) entschieden, daß Kosten, die durch Überkapazitäten in einer Müllverbrennungsanlage entstehen unter bestimmten Voraussetzungen nicht über die Abfallgebühren abgerechnet werden können. Das VG Aachen kommt in dem entschiedenen Fall zu dem Ergebnis, daß die Müllverbrennungsanlage im Kreis Aachen eine Überkapazität von 59 % aufweist, die nicht mehr im Rahmen der Abfallgebühren abgerechnet werden kann. Das VG Aachen stellt heraus, daß sinnvolle Kapazitätsreserven etwa für Belastungsspitzen oder leichte Schwankungen in der Bedarfsentwicklung grundsätzlich nicht zu beanstanden sind. Überkapazitäten seien aber dann nicht mehr abrechnungsfähig, wenn diese im maßgeblichen Planungszeitpunkt vorhersehbar waren und eine Auslastung der Überkapazität in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei. Bei der diesbezüglichen Beurteilung der Planungsentscheidung sei dem weiten Planungsermessen des Trägers der Anlage zwar Rechnung zu tragen. Es sei aber zu prüfen, was dieser bei ordnungsgemäßer Ausübung seines Planungsermessen nach den Besonderheiten des Einzelfalles für erforderlich halten durfte. Das Planungsermessen finde seine Schranken u.a. in den Verfassungsprinzipien der Rechtstaatlichkeit und der Verhältnismäßigkeit sowie in den Grundsätzen der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung und dem Äquivalenzprinzip. Zu einer mangelnden Erforderlichkeit der durch Überkapazitäten verursachten Kosten kommt es nach dem VG Aachen erst dann, wenn auch unter Berücksichtigung des Planungsermessens für die betreffende Aufgabenerfüllung ein nicht mehr vertretbarer Verbrauch an öffentlichen Mitteln festzustellen ist und der festgelegte Gebührentarif letztlich in nennenswertem Umfang auf Kostenpositionen beruht, die durch Planungsfehler geschaffenen Kapazitäten zugerechnet werden müssen.
Die Entscheidung des VG Aachen erging nicht im Hauptsacheverfahren, sondern im Verfahren über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Gebührenbescheid. Ein Beschwerdeverfahren ist beim OVG NW eingeleitet. Es bleibt nunmehr abzuwarten, ob das OVG NW die tatsächliche und rechtliche Beurteilung des VG Aachen teilen wird.
Ergänzend weist die Geschäftsstelle darauf hin, daß die Sachlage im jeweiligen Einzelfall dafür entscheidend ist, ob Überkapazitäten bzw. sog. Leerkosten bei Abfallentsorgungsanlagen über die Abfallentsorgungsgebühren abgerechnet werden können. Dabei darf im Bereich der Abfallentsorgung nicht außer Betracht bleiben, in welchen langen Zeiträumen Müllverbrennungsanlagen oder Abfalldeponien errichtet werden. Von der Standortsuche über die ersten Planungen, den Baubeginn bis zur endgültigen Fertigstellung vergehen viele Jahre. Stellt sich heraus, daß die Abfallmengenprognosen zum Zeitpunkt der Standortwahl, im Planungsstadium, bei Abschluß der Planung und beim Baubeginn die Kapazität gerechtfertigt haben, kann die Abfallentsorgungsanlage im Zweifelsfall nicht einfach mit dem Etikett "Fehlplanung" versehen werden, nur weil sich die Abfallmengenprognosen Jahre später nicht bestätigt haben. Dies gilt um so mehr, wenn sich zwischenzeitlich auch noch die Abfallentsorgungsstandards und die abfallrechtlichen Vorgaben des Bundes und der Länder verändert haben. Ein Beispiel hierfür ist die Technische Anleitung Siedlungsabfall (TASi), die am 01.06.1993 in Kraft getreten ist und vorgibt, daß spätestens ab dem 01.06.2005 nur noch solche Abfälle auf Deponien abgelagert werden dürfen, die zuvor nach heutigem Erkenntnisstand in Müllverbrennungsanlagen vorbehandelt, sprich verbrannt, worden sind. Dadurch werden Deponien nicht in dem Umfang in Anspruch genommen wie ursprünglich geplant, weil dann nur noch Asche und Schlacke aus Müllverbrennungsanlagen abgelagert wird. Darüber hinaus ergibt sich auch aus dem vom Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen im Mai 1996 veröffentlichten "Bericht zur restriktiven Bedarfsprüfung für die Siedlungsabfallentsorgung in NRW", daß die im Jahr 2005 zu erwartende Restmüllmenge voraussichtlich zwischen 6,1 und 5,2 Mio. Tonnen liegen wird und die bestehenden sowie im Bau befindlichen Müllverbrennungsanlagen in Nordrhein-Westfalen eine Kapazität von 5 Mio. Tonnen aufweisen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß heute bestehende Auslastungsprobleme im jeweiligen Einzelfall nur eine Übergangserscheinung sind und z.Zt. bestehende Überkapazitäten gleichwohl als sog. Sicherheitsreserve angesehen werden können (vgl. zur Thematik der Abrechnungsfähigkeit von Überkapazitäten auch: OVG Schleswig, DÖV 1995, S. 474; OVG Lüneburg, DÖV 1991, S. 338; OVG Bremen, DVBL. 1988, S. 906; Bayerischer VGH, Bayerische Verwaltungsblätter 1997, S. 16).
Der Beschluß des VG Aachens wird auszugsweise in der Zeitschrift Städte- und Gemeinderat (März-Heft) veröffentlicht werden.
Az.: II/2 33-10