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StGB NRW-Mitteilung 453/2021 vom 30.08.2021
Ausgestaltung eines Anschluss- und Benutzungszwangs in der Fernwärmeversorgung
Das Verwaltungsgericht Freiburg hat sich mit der Frage auseinandergesetzt unter welchen Umständen Befreiungen von einem angeordneten Anschluss- und Benutzungszwang an die Fernwärmeversorgung gewährt werden müssen. In einem aktuellen Urteil kommt das Gericht zum Ergebnis, dass eine Satzungsbestimmung gegen höherrangiges Recht (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) verstößt, wenn sie bei Befreiungsmöglichkeiten vom angeordneten Anschluss- und Benutzungszwang zwischen den im Erneuerbare-Energie-Wärmegesetz (EEWärmeG) vorgesehenen Einsatz von erneuerbaren Energien und den ebenfalls in dem Gesetz vorgesehenen Ersatzmaßnahmen differenziert, ohne dass ein sachlicher Grund dafür vorliegt.
Sachverhalt
Die Klägerin wendet sich gegen die in der beklagten Gemeinde beschlossene Satzung über die öffentliche Fernwärmeversorgung. Diese sieht einen Anschluss- und Benutzungszwang an die öffentliche Nahwärmeversorgung vor. Es ist eine Befreiungsmöglichkeit für Grundstückseigentümer vom Anschluss- und Benutzungszwang in der Satzung vorgesehen, wenn der Anschluss und die Benutzung wegen eines - die öffentlichen Belange überwiegenden - privaten Interesses an der anderweitigen Wärmeversorgung nicht zugemutet werden kann. Einen darauf gestützten Antrag des Klägers lehnte die Gemeinde ab. Sie folgte nicht der Begründung des Klägers, dass seine privat eingerichtete Wärmeversorgung einen höheren Umweltstandard aufweise als die zentrale Fernwärmeversorgung. Dieser Aspekt könne - so die Gemeinde - allenfalls Gegenstand der vorzunehmenden Interessenabwägung sein, im Rahmen derer auch der Umstand Berücksichtigung finden müsse, dass die Kommune bei Befreiung der Klägerin erhebliche Mindererlöse aus dem Verkauf von Fernwärme zu befürchten habe.
In der Folge beschloss der Gemeinderat der Beklagten eine neue Wärmeversorgungssatzung, die rückwirkend in Kraft trat. Diese sieht eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang vor, wenn und soweit der Wärmebedarf durch Heizungsanlagen auf ausschließlicher Basis von erneuerbaren Energien gemäß § 2 Abs. 1 EEWärmeG gedeckt ist. Gemäß der Satzung kann die Befreiung nur erteilt werden, wenn sie den örtlichen Stadtwerken insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die öffentliche Einrichtung Wärmeversorgung zumutbar ist. Zudem sieht die Satzung eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang aus wirtschaftlichen Gründen vor, wenn der Anschluss an die Wärmeversorgungseinrichtung oder deren Benutzung für den Verpflichteten zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und der Befreiung keine überwiegenden Gründe des öffentlichen Interesses entgegenstehen.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Gericht kommt in dem Urteil zum Ergebnis, dass die Ausgestaltung des Befreiungstatbestandes in der aktualisierten Satzung einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und damit gegen höherrangiges Recht darstellt.
Die satzungsgebenden Kommunen können nicht frei über die Festlegung von Ausnahmen und Befreiungen vom Anschluss- und Benutzungszwang in ihren Satzungen zu befinden, da solche insbesondere aus Gründen der Verhältnismäßigkeit unabdingbar seien. Bei der Ausgestaltung der Befreiungstatbestände vom Anschluss- und Benutzungszwang hat der kommunale Satzungsgeber insbesondere den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Gleichheitssatz zu beachten, wonach wesentlich Gleiches auch gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln sind.
Die aktualisierte Satzung der Gemeinde, die bei der Definition des Begriffs der „Erneuerbaren Energien” auf das EEWärmeG Bezug nimmt, berücksichtigt nicht, dass § 7 EEWärmeG zur Nutzung von Erneuerbaren Energien Verpflichteten die Möglichkeit einräumt, auf den Einsatz umwelt- und klimapolitisch vergleichbarer Alternativen (sog. Ersatzmaßnahmen) zurückzugreifen. Der Gesetzgeber hat demnach im EEWärmeG der Nutzung Erneuerbarer Energien bei der Schaffung nachhaltiger Energieversorgung keinen Vorrang vor der Durchführung geeigneter Ersatzmaßnahmen eingeräumt. Auch das mittlerweile in Kraft getretene Gebäudeenergiegesetz (GEG) ermöglicht es nach seinem § 42 den Eigentümern neu errichteter Gebäude, ihrer Pflicht zur Schaffung einer Wärmeversorgung aus Erneuerbaren Energien durch den Einsatz von Wärmepumpen oder mittels Nutzung von Abwärme nachzukommen.
Die in der Satzung vorgenommene Differenzierung zwischen dem Einsatz Erneuerbarer Energien und der Vornahme geeigneter Ersatzmaßnahmen läuft auch den vom Satzungsgeber selbst aufgestellten Erwägungen zuwider, da die von der Kommune zugrunde gelegten klimapolitischen Ziele mit Ersatzmaßnahmen im Sinne von § 7 EEWärmeG in gleicher Weise - und unter Umständen sogar besser - erreichbar sind.
Die Satzung entspricht nicht der landesrechtlich gebotenen Ausgestaltung des Anschluss- und Benutzungszwangs unter Berücksichtigung von §§ 3 Satz 3, 35 AVBFernwärmeV und der Staatszielbestimmungen in Art. 3a Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg bzw. Art. 20a GG.
Fundstelle: Das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16.06.2021 hat das Aktenzeichen 1 K 5140/18 und ist im Internet unter folgender Quelle abrufbar: https://openjur.de/u/645443.html
Az.: 28.6.1-002/006 we