Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 508/2011 vom 19.10.2011

Bagatellgrenze für Wasserschwundmengen

In der Rechtsprechung des OVG NRW war bislang anerkannt, dass aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und zur Vermeidung von Personal- und Verwaltungsaufwand nicht jede noch so geringe Wasserschwundmenge an Trinkwasser (Frischwasser) bei der Erhebung der Schmutzwassergebühr nach dem Frischwasser-Maßstab (Frischwasser = Abwasser) abgezogen werden muss. Es konnte deshalb satzungsrechtlich eine sog. Bagatellgrenze für sog. Wasserschwundmengen satzungsrechtlich festgelegt werden.

Eine Bagatellgrenze von 15 m³/Jahr konnte dabei als verwaltungsgerichtsfest angesehen werden (vgl. zuletzt: OVG NRW mit Beschluss vom 09.06.2009 - Az.: 9 A 3249/07 -  ;  OVG NRW, Urteil vom 25. 4. 1997 — 9 A 4775/95 —, S. 19 f.; BVerwG, Urteil vom 28. 3. 1995 — 8 N 3.93 —, StGRat 1995 S. 313 f.; OVG NRW, Urteil vom 16. 9. 1996 — 9 A 1722/96 — StGRat 1997 S. 162 f.; OVG NRW, Urteil vom 2. 9. 1996 — 9 A 5000/94 —, S. 9.).

Dabei konnte die Bagatellgrenze von 15 Kubikmeter/Jahr für den Frischwasser-Abzug in der Weise satzungsrechtlich geregelt werden, dass grundsätzlich nur diejenigen Frischwasser-Mengen (Wasserschwundmengen) abgezogen werden können, die die 15 Kubikmeter/Jahr übersteigen. Denn anderenfalls würde sich eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung ergeben, weil derjenige der 14,99 Kubikmeter in Ansatz bringen kann, keinen Frischwasser-Abzug gewährt bekommt, während derjenige der 15,01 Kubikmeter in Abzug bringt auch die ersten 15 Kubikmeter zugestanden bekäme (vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 17. 3. 1999 — 9 A 1069/99 —). Dieses bedeutete aber zugleich, dass derjenige, der 20 Kubikmeter/Jahr in Abzug bringen möchte, lediglich 5 Kubikmeter/Jahr anerkannt erhält. Das OVG NRW hatte zuletzt mit Beschluss vom 9. 6. 2009 (Az.: 9 A 3249/07 —, abrufbar unter www.nrwe.de) abermals klargestellt, dass eine satzungsrechtliche Regelung zulässig ist, wonach Wasserschwundmengen bei der Schmutzwassergebühr erst ab dem Überschreiten einer bestimmten Kubikmeterzahl (sogenannte Bagatellgrenze) anerkannt werden. Nach dem OVG NRW waren jedenfalls die durch eine Bagatellgrenze etwaig entstehenden Ungleichbehandlungen durch das weite Organisationsermessen gerechtfertigt, welches der Gemeinde bei der Festlegung des Gebührenmaßstabes zusteht. Außerdem war die Bagatellgrenze auch deshalb gerechtfertigt, weil im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung (Artikel 3 Abs. 1 GG) ebenso der Grundsatz der Verwaltungspraktikabilität zu berücksichtigen war, d. h. die Gemeinde kann nicht jede noch so kleine Frischwasser-Abzugsmenge (Wasserschwundmenge) berücksichtigen, weil dieses einen nicht unerheblichen Personal- und Verwaltungsaufwand und damit weitere Kosten auslöst, die letzten Endes von allen gebührenpflichtigen Benutzern über die Schmutzwassergebühr zu finanzieren sind (vgl. OVG NRW, Urt. vom 21. 3. 1997 — Az.: 9 A 1921/95 —, NWVBl. 1997 S. 442).

Vor diesem Hintergrund war das OVG NRW (Beschluss vom 9. 6. 2009 - Az.: 9 A 3249/07 —, abrufbar unter www.nrwe.de) auch ausdrücklich der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (Urt. vom 19. 3. 2009 — Az.: 2 S 2650/08 ) nicht gefolgt, wonach eine Bagatellgrenze bei Frischwasser-Abzugsmengen in Baden-Württemberg unzulässig ist.

Das OVG NRW hatte mit Beschluss vom 17.05.2011 (Az.: 9 A 2021/10) die Berufung gegen ein Urteil des VG Düsseldorf vom 02.08.2010 (Az.: 5 K 1206/10) zugelassen. Nach dem OVG NRW gab die zugelassene Berufung die Möglichkeit zu klären, ob eine Bagatellregelung in einer gemeindlichen Gebührensatzung für den Abzug von nachweislich der öffentlichen Abwassereinrichtung nicht zugeführten Wassermengen (sog. Wasserschwundmengen) rechtlich noch Bestand hat. Zwar ist das vorstehende Berufungsverfahren zwischenzeitlich beendet, weil die beklagte Gemeinde den angegriffenen Bescheid aufgehoben hat. Gleichwohl hat das OVG NRW mit dem Beschluss vom 17.5.2011 (Az.: 9 A 2021/10) deutlich gemacht, dass die Zulässigkeit der Bagatellgrenze von 15 m³/Jahr bei dem Abzug von sog. Wasserschwundmengen im Zusammenhang mit der Abrechnung der Schmutzwassergebühr abermals einer grundlegenden kommunalabgabenrechtlichen Überprüfung unterzogen werden sollte.

Zurzeit ist deshalb unklar, in welche Richtung die Rechtsprechung des OVG NRW zur Bagatellgrenze in der Zukunft gehen wird. Es bleibt allerdings festzuhalten, dass sich die Bagatellgrenze in der Vergangenheit als sachgerechtes Instrument erwiesen hat, einen unnötigen Personal- und Verwaltungsaufwand zu vermeiden und die dadurch verursachten Kosten allen gebührenpflichtigen Benutzern auferlegen zu müssen. Denn ohne eine Bagatellgrenze könnten grundsätzlich alle Wasser-Schwundmengen (z.B. für das Blumen gießen, die Tränkung von Tieren wie z.B. Kaninchen, Hamster, Wellensittiche, Hunde, Katzen) als Abzugsposten geltend gemacht werden.

Im Übrigen ist der Frischwassermaßstab (Frischwasser = Abwasser) ein zulässiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Sinne des § 6 Abs. 3 Satz 2 KAG NRW. In diesem Zusammenhang wird durch die Stadt bzw. Gemeinde etwa bei der Abrechnung der Schmutzwassergebühr auch nicht ermittelt, wie viel zusätzliches Abwasser pro Jahr z.B. Urin vom gebührenpflichtigen Benutzer über die Toilette in die öffentliche Abwasseranlage befördert wird. Das Fassungsvolumen einer menschlichen Blase beträgt immerhin ca. 0,3 bis 0,5 l (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl. 2007 zur normalen Blasenfunktion S. 246). Diese zusätzlichen „Abwassermengen“ — die unzweifelhaft in die öffentliche Abwasseranlage eingeleitet werden - bleiben vollständig unberücksichtigt (vgl. hierzu: Queitsch in: Hamacher/Lenz/Queitsch, KAG NRW, Loseblatt-Kommentar, § 6 KAG NRW Rz. 151ff., 161, wonach das physiologische Fassungsvolumen einer menschlichen Blase bis zu 0,5 l betragen kann).

Sollte zukünftig eine Bagatellgrenze nicht mehr zulässig sein, so wird eine klare Systematik für die Anerkennung von sog. Wasser-Schwundmengen satzungsrechtlich festgelegt werden müssen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass derjenige Gebührenschuldner, der Wasser-Schwundmengen geltend machen will, diese Wasser-Schwundmengen auch auf eigene Kosten nachweisen muss (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 05.06.2003 — Az.: 9 A 4440/01 —; VG Münster, Urteil vom 22.01.2010 — 7 K 711/09). Außerdem dürfte es satzungsrechtlich als zulässig anzusehen sein, eine klare Reihenfolge der Nachweisführung vorzugeben. Hierzu gehört, dass sog. Wasser-Schwundmengen in erster Linie durch einen Abwassermesser nachgewiesen werden müssen. Wenn dieses z.B. technisch nicht möglich ist — muss der Nachweis alternativ durch eine geeichte Wasseruhr (Zwischenzähler) nachgewiesen werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 05.06.2003 — Az.: 9 A 4440/01 —; VG Münster, Urteil vom 22.01.2010 — 7 K 711/09). Nur im Ausnahmefall, wenn ein Abwassermesser oder ein Wasseruhr (als Zwischenzähler) nicht der Nachweisführung dienen kann, könnte dann der Nachweis durch anderweitige Unterlagen noch zugelassen werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 05.06.2003 — Az.: 9 A 4440/01 —; zur Notwendigkeit der Nachweisführung für Wassermengen zur Viehtränkung durch eine Wasseruhr). Dabei müssen diese Unterlagen geeignet sein zu belegen, aus welchem nachvollziehbaren Gründen Wassermengen der öffentlichen Abwasseranlage nicht zugeleitet worden sind und wie groß diese Mengen sind, d.h. der Grund und die Höhe des Wasserverlustes (der Wasser-Schwundmenge) müssen schlüssig und nachvollziehbar rechnerisch dargelegt werden (vgl. zuletzt: VG Münster, Urteil vom 22.01.2010 — Az.: 7 K 711/09). Anderenfalls kann eine Anerkennung im Interesse aller anderen gebührenpflichtigen  Benutzer nicht erfolgen.

Den vom OVG NRW mit Beschluss vom 17.05.2011 - Az.: 9 A 2021/10 — geäußerten Bedenken gegen die Bagatellgrenze könnte zukünftig auch dadurch Rechnung getragen werden, dass die Höhe der Nichtanerkennung von Wasserschwundmengen (15 m³ pro Jahr) herabgesetzt wird. Bereits das VG Minden hatte mit Urteil vom 9.8.2001 (Az.: 9 K 561/01) herausgestellt, dass eine Bagatellgrenze von 15 m³/Jahr dann keine finanzielle Bagatelle für den Gebührenschuldner mehr ist, wenn er mehr als 60 € pro Jahr dafür bezahlt, dass er die Leistung „Schmutzwasserbeseitigung“ gar nicht in Anspruch nicht, weil er Wassermengen nicht der öffentlichen Abwasseranlage zuführt.

In Anbetracht dessen wäre es auch möglich, die Bagatellgrenze von 15 m³/Jahr auf z.B. 5 m³/Jahr abzusenken, weil dann die sog. „finanzielle Bagatelle“ geringer würde. Grundsätzlich kann jedenfalls davon ausgegangen werden, dass eine finanzielle Bagatelle von bis zu 30 € pro Jahr einem gebührenpflichtigen Benutzer noch zugemutet werden kann, denn dieses würde einer „finanziellen Tagesbelastung“ von (30 € geteilt durch 365 Tage = 0,08 €) rund einem Cent pro Tag entsprechen. Bei einem Schmutzwasser-Gebührensatz von 3,00 € pro Kubikmeter/Jahr könnte dann eine Bagatellgrenze von sogar 10 m³ (3 x 10 = 30) satzungsrechtlich noch geregelt werden. Bei einem Gebührensatz von 5,00 € pro Kubikmeter und Jahr wäre allerdings nur noch eine Bagatellgrenze von 5 bis maximal 6 m³ (5 x 6 = 30) regelbar. Diese vorstehende „finanzielle Bagatelle“ ist auch deshalb als gerechtfertigt anzusehen, weil bestimmte Wassermengen wie z.B. die Urin-Mengen bei der Berechnung der Schmutzwassergebühr keine Berücksichtigung finden, weil der Frischwassermaßstab (Frischwasser = Abwasser) lediglich die Wassermengen zugrunde legt, die mit dem Wasserzähler gemessen worden sind.

Schließlich wäre auch vorstellbar, dass die Bagatellgrenze — satzungsrechtlich geregelt - dahin angewendet wird, dass jeder gebührenpflichtige Benutzer, der die Grenze überschreitet, alle Kubikmeter angerechnet erhält. Dennoch wird dem Grundsatz der Abgabengerechtigkeit und damit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG eher dadurch Rechnung getragen, wenn die Kubikmeter pro Jahr der Bagatellgrenze niemanden gewährt werden (vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 17. 3. 1999 — 9 A 1069/99 —), weil dann alle gebührenpflichtigen Benutzer gleich behandelt und gleich gestellt werden und zwar unabhängig davon, ob sie Bäcker, Gärtner oder lediglich Mieter in einer Mietwohnung (ohne Garten aber mit Kleintieren) sind.

 

Az.: II/2 24-21 qu-qu

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