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Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft
StGB NRW-Mitteilung 537/2000 vom 05.10.2000
Beschwerde gegen Anstaltslast und Gewährträgerhaftung
Die Bankenvereinigung der Europäischen Union (FBE) hat ihre Beschwerdebegründung gegen die Anstaltslast und Gewährträgerhaftung bei der Westdeutschen Landesbank, der Stadtsparkasse Köln und der Westdeutschen Immobilienbank bei der Europäischen Kommission eingereicht. Nach Ansicht der FBE stellen Anstaltslast und Gewährträgerhaftung verbotene staatliche Beihilfen dar, die nicht die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllen und daher von der Europäischen Kommission untersagt werden müssten.
In der Begründung legt die Bankenvereinigung dar, dass die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in Deutschland einen optimalen Gläubigerschutz böten; Anstaltslast und Gewährträgerhaftung schlössen Konkurse öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute de facto aus. Die dadurch begünstigten Banken hätten erhebliche finanzielle Vorteile bei der Aufnahme von Fremd- und Eigenkapital und erzielten ein exzellentes "Long-Term-Rating", das allein in Anstaltslast und Gewährträgerhaftung begründet sei. Als Beleg werden hierfür die erheblich schlechteren sog. Finanzstärken-Ratings aufgeführt, bei denen Anstaltslast und Gewährträgerhaftung unberücksichtigt blieben, und eine niedrigere Einstufung durch Rating-Agenturen, wenn Anstaltslast und Gewährträgerhaftung abgeschafft würden.
Da die Refinanzierungsinstrumente durch Ratings stark beeinflusst seien, erwachse den öffentlichen Banken ein Vorteil in Form von niedrigeren Refinanzierungskosten. Sparkassen, die selbst nicht "gerated" seien, würden mittelbar vom hervorragenden Rating der Landesbanken profitieren, die diese Refinanzierungsvorteile an die Sparkassen weiterreichten, wenn sie diesen aufgrund bestehender Verbundstrukturen Kredite zur Verfügung stellen. Diese Refinanzierungsvorteile würden den Wettbewerb zwischen den Kreditinstituten in der Europäischen Union in erheblichem Umfang verzerren.
Die durch die Anstaltslast und Gewährträgerhaftung unterstellte Begünstigung der WestLB, der Stadtsparkasse Köln und der Westdeutschen Immobilienbank sei geeignet, den Handel zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Die in der Sparkassenorganisation zusammengefassten Landesbanken und Sparkassen bildeten einen konzernähnlichen Verbund, dessen kumulative Begünstigung zu einer Marktabschottung führe, die das Eindringen ausländischer Bankeninstitute in den deutschen Markt wesentlich erschwere. Der Anteil ausländischer Banken in Deutschland stagniere in Deutschland seit Jahren bei ca. 5%; in Großbritannien betrage er bereits über 50%. Die deutschen öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute hätten darüber hinaus Vorteile bei ihrer Expansion in andere EU-Mitgliedstaaten.
Die in Anstaltslast und Gewährträgerhaftung vermuteten Begünstigungen der drei genannten Kreditinstitute stellten keine bestehenden, sondern allesamt neue Beihilfen dar. Sie seien unter Verstoß gegen die Notifizierungspflicht gewährt worden und wären somit rechtswidrig. Die Tatsache, dass die Bundesregierung mit den Ländern versucht habe, eine Kompromisslösung zu erarbeiten, zeige, dass hier Handlungsbedarf bestehe.
Reaktion des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes
Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) reagierte mit einer Presseerklärung auf die Beschwerdebegründung und stellte fest, dass die Haftungsstrukturen der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute nicht im Widerspruch zum europäischen Beihilferecht stünden. Sparkassen und Landesbanken seien Garanten für einen intensiven kreditwirtschaftlichen Wettbewerb; sie sicherten eine flächendeckende, alle Bevölkerungsschichten umfassende Versorgung mit Finanzdienstleistungen. Den privaten Großbankkonzernen warf der Präsident des DSGV, Dietrich Hoppenstedt, vor, durch Fusionen den Wettbewerb einschränken zu wollen und "sich durch Schließung von Zweigstellen und Ausgrenzung von Kunden aus dem breiten Kundengeschäft und von Finanzdienstleistungen für kleine und mittlere Unternehmen zurückzuziehen".
Reaktion des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
Anlässlich der aktuellen Kritik der Europäischen Bankenvereinigung an dem deutschen System öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute weist der Deutsche Städte- und Gemeindebund auf die erhebliche Bedeutung der Sparkassen für den Mittelstand hin. Die kommunalen Sparkassen seien für ein breites Angebot von Finanzdienstleistungen vor Ort und eine umfängliche Mittelstandsförderung unerlässlich. Das dichtmaschige Filialnetz der 600 deutschen Sparkassen mit ihren 19.000 Zweigstellen stelle insbesondere die Versorgung mit Finanzdienstleistungen im ländlichen Raum sicher. Sparkassen förderten Existenzgründungen und stünden den mittelständischen Unternehmen vor Ort als Partner zur Seite. Rund 75 % aller mittelständischen Unternehmen und Handwerksbetriebe unterhielten eine Kontoverbindung bei einer Sparkasse; rund 50 % der Existenzgründungen würden von Sparkassen begleitet; über 60 % der Handwerkskredite würden von den Sparkassen gewährt. Sparkassen sind für den Mittelstand schlicht unverzichtbar.
Auch inhaltlich sei die Kritik der Europäischen Bankenvereinigung nicht nachvollziehbar. Die Privatbanken kritisieren insbesondere die Gewährträgerhaftung und die Anstaltslast der Kommunen für ihre Sparkassen. Diese gewachsenen Strukturen aber seien mit dem europäischen Beihilfe- und Kartellrecht vereinbar. Weil Sparkassen regelmäßig regional tätig seien, berühre ihre Geschäftstätigkeit die europäische Ebene überhaupt nicht. Es dränge sich zunehmend der Eindruck auf, als gehe es den privaten Banken mit ihrer Beschwerde nicht um die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen, sondern um eine Verringerung des bestehenden Wettbewerbs mit den erfolgreichen öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten.
Der Spitzenverband bedaure, dass der Weg einer politischen Lösung in der Auseinandersetzung um Anstaltslast und Gewährträgerhaftung nahezu verbaut sei. In diesen Gesprächen sei bisher schon angeklungen, dass die Europäische Kommission eine Anwendung der europäischen Regelungen auf die regional tätigen Sparkassen als nicht gegeben ansieht. Diese Auffassung müsse die Kommission auch bei ihrer Entscheidung über die Beschwerde der Europäischen Bankenvereinigung vertreten. Andernfalls müsse zur Absicherung des bestehenden öffentlich-rechtlichen Sparkassensystems in Deutschland entsprechend dem Vorschlag der Ministerpräsidenten eine entsprechende Änderung des EG-Vertrages durch die Bundesregierung initiiert werden.
Das Prüfverfahren der Kommission
Die Kommission wird nun gemäß Art. 88 EG die Beschwerde prüfen, gegebenenfalls kann sie von der Bundesregierung weitere Auskünfte verlangen. Wenn die Kommission zu der Auffassung kommt, dass es sich um eine rechtswidrige Beihilfe handelt, eröffnet sie innerhalb von zwei Monaten das förmliche Prüfverfahren. Die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens enthält eine Zusammenfassung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen, eine vorläufige Würdigung des Beihilfecharakters durch die Kommission und Ausführungen über die Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt. Die Bundesrepublik Deutschland und die anderen Beteiligten werden zu einer Stellungnahme innerhalb einer Frist von normalerweise einem Monat aufgefordert.
Das förmliche Prüfverfahren wird mit einer Entscheidung der Kommission abgeschlossen.
Die Kommission bemüht sich, eine Entscheidung möglichst innerhalb von 18 Monaten nach Eröffnung des Prüfverfahrens zu erlassen; die Frist kann von der Kommission im Einvernehmen mit der Bundesrepublik Deutschland verlängert werden.
Az.: IV-961-07