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Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft
StGB NRW-Mitteilung 162/1998 vom 05.04.1998
Beteiligung von Vorlieferanten an lokalen Energieversorgungsunternehmen
In zwei vielbeachteten Entscheidungen (BGH, Beschl. v. 15.07.1997 - KVR 33/96 -"Aggerstrom", BGH, Beschluß v. 15.07.1997 -KVR 21/96 - "Stadtwerke Garbsen") hat der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Maßstäbe für die Beteiligung von vorversorgenden Regionalversorgungsunternehmen an lokalen Energieversorgern gesetzt.
Im ersten Fall hatte die RWE Energie AG mit vier Kommunen und einem Stadtwerk die Gründung eines lokalen Energieversorgungsunternehmens in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Aggerstrom GmbH) vereinbart, wobei die RWE Energie AG zunächst Geschäftsanteile in Höhe von 49,999 % halten sollte. Zwischen den Gesellschafterkommunen und der Aggerstrom wurde ein Konzessionsvertrag mit zwanzigjähriger Laufzeit geschlossen. Als Vorversorger der Aggerstrom fungierte - auf Grundlage eines auf zwanzig Jahre geschlossenen Liefervertrages - wiederum die RWE Energie AG, die die Gesellschaftergemeinden zuvor mit Strom beliefert hatte.
Im zweiten Fall gründeten die Stadt Garbsen, die HASTRA und die SWH die Stadtwerke Garbsen GmbH, an der HASTRA mit 26 %, SWH mit 20 % und die Stadt Garbsen mit 54 % beteiligt sein sollten. Vorgesehen war die Strom- und Gasversorgung der Stadt Garbsen durch die Stadtwerke. Hierzu wurden die zwischen der Stadt Garbsen und den Gesellschafterunternehmen bestehenden Konzessionsverträge, deren Laufzeit auf zwanzig Jahre verlängert werden sollte, auf die Stadtwerke übergeleitet. Im Rahmen von Lieferverträgen mit ebenfalls zwanzigjähriger Laufzeit wurde die Vorversorgung der Stadtwerke von der HASTRA (Strom) und der SWH (Gas) übernommen.
Das Bundeskartellamt hatte die dargestellten Zusammenschlüsse mit der Begründung untersagt, die marktbeherrschende Stellung der beteiligten Regionalversorgungsunternehmen werde verstärkt. Das daraufhin angerufene Kammergericht Berlin hatte sich in beiden Fällen der Argumentation des Bundeskartellamtes nicht angeschlossen und die Untersagungsverfügungen ausgesetzt. Der Kartellsenat des BGH hat die Beschlüsse des Kammergerichts aufgehoben und die Untersagungsverfügungen des Bundeskartellamtes bestätigt.
In beiden Fällen geht der Kartellsenat davon aus, daß durch die Zusammenschlüsse eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung der Regionalversorgungsunternehmen auf dem Energieverteilungsmarkt zu erwarten ist. Das Kammergericht hatte dies zuvor unter Hinweis auf die bevorstehende Liberalisierung des Energiemarktes und die damit einhergehende Aufhebung von Versorgungsmonopolen verneint und ausgeführt, vor diesem Hintergrund sei eine sichere Prognose der zukünftigen Marktverhältnisse nicht möglich. Demgegenüber stellt der Kartellsenat fest, Ausgangspunkt der Beurteilung von Auswirkungen von Zusammenschlüssen auf zukünftige Marktverhältnisse sei in erster Linie die geltende Rechtslage. Zukünftige Entwicklungen der Rechtslage seien nur in Ausnahmefällen zu berücksichtigen, sofern für eine konkret umrissene rechtliche Änderung sowie eine sich daraus ergebende ebenso konkrete tatsächliche Änderung eine hohe Wahrscheinlichkeit spricht. Gerade letzteres, nämlich ein Wegfall der marktbeherrschenden Stellung der vorversorgenden Unternehmen, sei jedoch keineswegs naheliegend. Hiergegen spräche die wirtschaftliche Erfahrung. Selbst nach Wegfall des Versorgungsmonopols verblieben diesen noch die bestehenden Leitungsnetze, vertraglich langfristig abgesicherte Absatzmöglichkeiten, der Zugang zu Beschaffungsmärkten und eine erhebliche Finanzkraft. Hierdurch und im Hinblick auf die Langfristigkeit der Disposition auf Abnehmerseite sei eine hervorgehobene Marktposition auch zukünftig gegeben.
Vielmehr sei zu erwarten, daß sich aufgrund der Zusammenschlüsse die Marktstellung der beteiligten Vorlieferanten noch dadurch verstärkt, daß sie sich kraft ihrer Stellung in den gegründeten Versorgungsunternehmen die Möglichkeit verschaffen, den Stromabsatz für das eigene Unternehmen dauerhaft zu sichern. Zwar seien die Abnahmemengen in den Fällen der Aggerstrom und der Stadtwerke Garbsen keine bedeutenden Größen im Gesamtgeschäft. Im von hoher Konzentration gekennzeichneten Energiemarkt reichten jedoch schon geringe Wettbewerbsvorteile aus, um von einer Verstärkung der Marktstellung ausgehen zu können, führte der BGH aus und schloß sich damit der Argumentation des Bundeskartellamtes an.
Dem hatten die Unternehmen zuvor entgegengehalten, die von ihnen gehaltenen Beteiligungen reichten nicht aus, um einen entscheidenden Einfluß auf den Abschluß zukünftiger Lieferverträge nehmen zu können. Der Kartellsenat ist dem, unter Hinweis auf die rechtliche Stellung der Vorlieferanten in den örtlichen Versorgungsunternehmen, nicht gefolgt. Insbesondere die Tatsache, daß diesen in den Gesellschafterversammlungen und den Aufsichtsräten eine Sperrminorität bei wichtigen Unternehmensentscheidungen zukomme, zeuge von weitreichenden Einflußmöglichkeiten. So betreffe das Sperrecht u.a. die Ergebnisverwendung und erlaube damit, die Verwendung von Gewinnen für die Errichtung eigener Energieerzeugungsanlagen der örtlichen Versorger zu verhindern.
Vermieden hat es der BGH jedoch, eine bestimmte Marke für unkritische Beteiligungshöhen marktbeherrschender Vorversorger an lokalen Energieversorgern vorzugeben. Es ist auch nicht ersichtlich, wie eine solche Zulässigkeitsgrenze anhand eines fixen prozentualen Wertes zu bestimmen wäre. Denn - und hierauf weist der BGH in der Stadtwerke Garbsen-Entscheidung bezüglich der 20 %-Beteiligung der SWH ausdrücklich hin - auch der Erwerb eines unter 25 % bleibenden Anteils kann gem. § 23 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 GWB als unzulässiger Zusammenschluß gewertet werden, wenn dem Erwerber eine Rechtsposition eingeräumt wird, die einer Sperrminorität gleichkommt.
Es dürfte sich anbieten, bei Beteiligungen von Vorlieferanten an lokalen Energieversorgern unterhalb der 25 % Grenze (ab 25 % gilt die Zusammenschlußvermutung des § 23 Abs. 2 Nr. 2 a) fusionskontrollrechtliche Verstöße durch eine zurückhaltende Ausgestaltung der Minderheitsrechte zu vermeiden. Anzusetzen wäre demnach nicht bei der Festlegung der generellen Beteiligungshöhe der Vorversorger, sondern bei deren regelmäßig weitgehenden gesellschaftsvertraglichen Befugnissen. Ein solcher Ansatz wäre zugleich mit einer Stärkung der kommunalen Unternehmenssteuerungsbefugnisse verbunden. Inwieweit ein solches Zurückfahren von Gesellschafterrechten bei der Vorversorgerseite auf Gegenliebe trifft, bleibt abzuwarten. Zumindest eröffnet diese Handlungsoption die Möglichkeit, aufsichtsrechtliche Eingriffe zu erschweren und weiterhin Gestaltungsspielräume innerhalb des Gesellschafterkreises auszufüllen.
Az.: G/3-811-00