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StGB NRW-Mitteilung 632/2021 vom 05.11.2021
BGH entscheidet über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen in Konzessionsverfahren
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 07.09.2021 (EnZR 29/20) entschieden, dass eine Gemeinde im Rahmen des Konzessionsvergabeverfahrens verpflichtet ist, einem unterliegenden Bieter darüber Auskunft zu erteilen, aus welchen Gründen der Zuschlag zugunsten eines anderen Bieters erfolgte. Der Auskunftspflicht sei regelmäßig durch die Überlassung des ungeschwärzten und vollständigen Auswertungsvermerks ausreichend genüge getan. Schwärzungen im Vermerk könnten nur dann vorgenommen werden, wenn substantiiert dargelegt werde, dass diese zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen notwendig seien. Weiter müsse vorgetragen werden, welche schützenswerten Interessen der anderen Bewerber konkret betroffen seien. Ein Geheimhaltungsinteresse hinsichtlich des Auswertungsvermerks komme nach Einschätzung des BGH daher nur in Ausnahmefällen zum Tragen, wie etwa für den Fall, dass ein Unternehmen der Gemeinde den Zuschlag erhalten hat.
Sachverhalt:
Die Gemeinde (Beklagte) unterrichtete die Klägerin über ihre Absicht, die Konzession den Stadtwerken zu erteilen. Ein Akteneinsichtsgesuch der Klägerin lehnte sie ab. Die Klägerin beantragte daraufhin im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens beim Landgericht, der Beklagten den beabsichtigten Vertragsschluss mit den Stadtwerken zu untersagen. Mit der Antragserwiderung machte die Beklagte der Klägerin eine unvollständige, teilweise geschwärzte Kopie der beabsichtigten Entscheidung über die Konzessionsvergabe und des dieser zugrunde gelegten Auswertungsgutachtens zugänglich. Das Gericht wies den Antrag der Klägerin zurück und die Gemeinde schloss noch am selben Tag den Konzessionsvertrag mit den Stadtwerken. Nachdem die Verhandlungen über die Netzübergabe zwischen Stadtwerken und Klägerin gescheitert waren, erhob die Klägerin (Altkonzessionärin) im Jahr 2017 eine Klage mit den Anträgen, Einsicht in die ungeschwärzte Angebotsauswertung sowie in das Angebot der Stadtwerke zu gewähren.
Aus den Gründen:
Nach Auffassung des BGH steht der Klägerin gegen die Beklagte zwar kein Anspruch auf Akteneinsicht gemäß § 47 Abs.3 EnWG zu, da die beklagte Gemeinde der Klägerin die Information über die Auswahlentscheidung zugunsten der Stadtwerke bereits im November 2015 erteilte, die vorgenannte Vorschrift aber erst seit dem 3. Februar 2017 bestehe und somit für diesen Fall noch nicht anwendbar sei.
Aufgrund des bei der Konzessionsvergabe bestehenden Transparenzgebots sei die eine Konzession vergebende Gemeinde aber verpflichtet, den unterlegenen Bietern Auskunft darüber zu erteilen, aus welchen Gründen sie den Zuschlag einem anderen Bieter erteilen will. Das Transparenzgebot soll die Einhaltung des bei Auswahl- und Vergabeentscheidungen allgemein bestehenden Diskriminierungsverbots sicherstellen und auch die Gründe einer Auswahlentscheidung offenlegen.
Aus der Bindung der Gemeinden an das Diskriminierungsverbot ergeben sich sowohl materielle als auch verfahrensbezogene Anforderungen an die Auswahlentscheidung. Damit ein unterlegener Bieter gegenüber einer Konzessionsvergabe, die diesen Anforderungen (möglicherweise) nicht entspricht und sich damit als gesetzwidrig erweisen kann, seine Rechte wirksam wahrnehmen kann, müsse ihn die Gemeinde jedenfalls auf sein Verlangen darüber unterrichten, aufgrund welcher Erwägungen sie zu dem Ergebnis gelangt sei, dass das Angebot des Bieters, dem die Konzession erteilt werden soll, nach den mitgeteilten Auswahlkriterien das bessere ist. Dazu sei grundsätzlich die umfassende Unterrichtung über das Ausschreibungsergebnis durch Überlassung einer ungeschwärzten und vollständigen Kopie des für die Auswahlentscheidung der Gemeinde erstellten Auswertungsvermerks erforderlich, aber auch ausreichend. Soweit die Gemeinde in einer danach zu übergebenden Kopie des Auswertungsvermerks Schwärzungen vornehmen will, hat sie deren Notwendigkeit zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen jeweils für die konkrete Angabe substantiiert darzulegen und dazu auszuführen, welche schützenswerten Interessen des betreffenden Bieters in welchem Umfang eine Beschränkung der Auskunft erfordern sollen. Weiter sei zu beachten, dass der Grundsatz des Geheimwettbewerbs im Fall der öffentlichen Auftragsvergabe im Wettbewerb um den jeweiligen Auftrag von vornherein durch das Transparenzgebot begrenzt wird. Auch soweit danach eine Beschränkung des Auskunftsanspruchs ausnahmsweise in Betracht komme, wird der Schutz eines Geschäftsgeheimnisses es grundsätzlich nicht rechtfertigen, dem auskunftsberechtigten Bieter bewertungsrelevante Erwägungen zu dem betreffenden Kriterium vollständig vorzuenthalten. Es müsse nach Einschätzung des Gerichts grundsätzlich hingenommen werden, dass die Auskunft es gegebenenfalls ermöglichen oder erleichtern kann, das eigene Angebot in einem erfolgreich erstrittenen neuen Konzessionsverfahren an das Erstangebot eines Mitbieters anzupassen. Die Einsicht in die konkreten Angebotsunterlagen sei hingegen nur dann relevant, wenn detailliert dargelegt werde, weshalb die Einsichtnahme neben der Kenntnis der Auswertungsvermerks geboten sei, um die Entscheidung der Gemeinde nachvollziehen zu können.
Weiter hatte der BGH die Frage zu klären, ob nach dem Scheitern der einstweiligen Verfügung in erster Instanz eine Rechtswidrigkeit des Verfahrens überhaupt noch geltend gemacht werden könne. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der mit dem Eilrechtsschutz verfolgte Zweck – die Nichtvornahme des Vertragsschlusses zwischen der Beklagten und den Stadtwerken - nicht mehr hätte erreicht werden können, weshalb der Altkonzessionär keinen weitergehenden Rechtsschutz mehr zu suchen brauchte.
Das vollständige Urteil ist zu finden unter:
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=123397&pos=9&anz=849&Blank=1.pdf
Anmerkung:
Die Entscheidung stellt klar, dass Schwärzungen beim Auswahlvermerk grundsätzlich nicht vorgenommen werden dürfen. Auch wird deutlich, dass das Transparenzgebot durch die Bereitstellung des Auswahlvermerks ausreichend gewürdigt wird. Die Gemeinde hat jedoch substantiiert darzulegen, weshalb ausnahmsweise eine Schwärzung zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen in ihren Unterlagen notwendig ist. Der unterlegene Bieter kann allerdings konkrete Angebote zusätzlich nur dann ungeschwärzt einsehen, wenn er substantiiert darlegen kann, weshalb er neben der Auswahlentscheidung auch das Angebot einsehen muss.
Az.: 28.7.1-005/001 gr