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StGB NRW-Mitteilung 357/2020 vom 19.05.2020
BGH zu Anspruch auf Übereignung von Leitungsanlagen der Hochspannungs- und Hochdruckebene gegen den Altkonzessionär
In seiner Entscheidung vom 07.04.2020 (Az.: EnZR 75/18) hat sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinandergesetzt, ob Altkonzessionäre auch gemischt genutzte Leitungen, insbesondere Hochdruck- und Hochspannungsleitungen, an den Neukonzessionär übereignen müssen. Im Ergebnis stellt er darauf ab, ob die Anlage nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Neukonzessionär seine Versorgungsaufgaben nicht mehr wie der frühere Netzbetreiber erfüllen könnte und die Leitungsanlage eine mehr als unwesentliche Funktion bei der örtlichen Versorgung hat. Sofern das der Fall ist, hat der Neukonzessionär einen Anspruch auf Übereignung von Leitungsanlagen der Hochspannungs- und Hochdruckebene im Gemeindegebiet.
Sachverhalt
Dem BGH-Urteil waren zwei Entscheidungen des Landgerichts (LG) Stuttgart sowie des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart vorangegangen, die sich mit folgenden Sachverhalten auseinandersetzen:
Die Klägerin schloss mit der Stadt S. am 23. Oktober 2014 einen Gas- und Stromkonzessionsvertrag. Zuvor bestand ein solcher Vertrag zwischen der Beklagten und der Stadt S. Dieser Vertrag endete am 31. Dezember 2013. Die Stadt S. führte zwei Verfahren für die Neuvergabe der Konzessionen durch.
In beiden Konzessionsverfahren erhielt die Beklagte den Zuschlag mit einem Kooperationsangebot. Dies sah die Gründung einer Netzbetreibergesellschaft und einer Netzeigentumsgesellschaft vor. Die Klägerin ist die Netzeigentumsgesellschaft; zum 1. Januar 2019 sollten die Netzeigentums- und die Netzbetreibergesellschaft zu einer ebenfalls von der Stadt S. beherrschten großen Netzgesellschaft verschmelzen. Die Beklagte übereignete der Klägerin mit Wirkung zum 1. Januar 2014 sämtliche Anlagen und Einrichtungen der Netzebenen Niederspannung und Mittelspannung sowie der Umspannebene Mittelspannung/Niederspannung im Strombereich und sämtliche Anlagen und Einrichtungen der Niederdruckebene und Mitteldruckebene im Gasbereich.
Die Klägerin macht geltend, die Beklagte sei auch verpflichtet, ihr sämtliche Stromverteilungsanlagen der Netzebene Hochspannung einschließlich der Umspannebene Hochspannung/Mittelspannung auf dem Gebiet der Stadt S. sowie im Gasbereich sämtliche Gasverteilungsanlagen der Ebene Hochdruck auf dem Gebiet der Stadt S. zu übereignen.
Das Landgericht hat der Feststellungsklage und der Auskunftsklage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte zur Übereignung bestimmter Anlagen verpflichtet sei, die Verurteilung zur Auskunft auf diese Anlagen beschränkt und die Klage hinsichtlich der weiteren Anlagen abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin zurückgewiesen.
Urteilsgründe
Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes kann der Übereignungsanspruch aus § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG sich auch auf Anlagen der Hochdruck- und Hochspannungsebene erstrecken. Hierzu ist erforderlich, dass die Anlage der Hochdruck- und Hochspannungsebene im Gemeindegebiet nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der neue Konzessionsnehmer seine Versorgungsaufgaben nicht mehr wie der frühere Netzbetreiber erfüllen könnte, und die Leitungsanlage eine mehr als nur unwesentliche Funktion für die örtliche Versorgung hat. Zuvor hatte der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass der Übereignungsanspruch aus § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG auch sogenannte gemischt genutzte Leitungen erfasst (BGH, RdE 2015, 29 Rn. 30 ff. – Stromnetz Homberg).
Die Abgrenzung zwischen dem örtlichen Verteilernetz und Durchgangsleitungen erfolgt funktional, also nach der Funktion der konkreten Anlage, nicht pauschal nach Spannungsebenen. Notwendig sind alle Anlagen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der neue Konzessionsnehmer seine Versorgungsaufgabe nicht mehr wie der frühere Netzbetreiber erfüllen könnte. Es ist nicht erforderlich, dass die Anlage ausschließlich der Stromversorgung im Konzessionsgebiet dient, wobei der Anspruch jedoch auf Anlagen innerhalb des Konzessionsgebiets beschränkt ist. Der Begriff des (örtlichen) Energieversorgungsnetzes ist weit zu fassen und vor dem Hintergrund der Versorgungsfunktion zu sehen. Daher gehören alle Anlagen dazu, die für die Versorgung aller vorhandenen Netznutzer im Konzessionsgebiet notwendig sind.
Diese Grundsätze sind in gleicher Weise auf Leitungsanlagen der Hochspannungs- und Hochdruckebene anzuwenden. Solche Leitungsanlagen im Gemeindegebiet sind ebenfalls zu übereignen, wenn die konkrete Anlage nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der neue Konzessionsnehmer seine Versorgungsaufgabe nicht mehr wie der frühere Netzbetreiber erfüllen könnte, und die Leitungsanlage eine mehr als nur unwesentliche Funktion für die örtliche Versorgung hat.
Der Übereignungsanspruch aus § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG besteht für alle Verteilungsanlagen, die für Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendig sind. Auf die Spannungs- oder Druckebene kommt es nicht an. Notwendig für den Betrieb eines solchen Netzes der allgemeinen Versorgung sind alle Verteilungsanlagen, deren Funktion nach der Ausgestaltung des auf dem jeweiligen Gemeindegebiet befindlichen Netzes darin liegt, die Verteilung der Energie an jeden beliebigen Letztverbraucher zu ermöglichen. Welche Leitungsanlagen für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung notwendig sind, ist allein unter dem Gesichtspunkt des Betriebs des Energieversorgungsnetzes (§ 3 Nr. 36 Fall 3 EnWG) zu entscheiden.
Dies trifft auf die im jeweiligen Gemeindegebiet gelegenen Leitungsanlagen der Hochspannungs- und Hochdruckebene nicht erst dann zu, wenn diese überwiegend oder ausschließlich der Verteilung der Energie zur allgemeinen, örtlichen Versorgung im Gemeindegebiet dienen. Es genügt vielmehr, wenn bei gemischt genutzten Leitungen der Hochspannungs- und Hochdruckebene ein mehr als nur unwesentlicher örtlicher Bezug gegeben ist. Hingegen fehlt es an einer ausreichenden Zuordnung von Leitungsanlagen der Hochspannungs- und Hochdruckebene zum örtlichen Netz der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet, wenn es sich um reine Durchleitungsanlagen ohne Bezug zur örtlichen Versorgung im Gemeindegebiet handelt oder ihre Funktion für die örtliche Versorgung völlig unbedeutend ist.
Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen eines Übereignungsanspruchs aus § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG trifft das neue Energieversorgungsunternehmen. Dies gilt auch für die Frage, ob Leitungsanlagen der Hochdruck- und Hochspannungsebene nach ihrer Funktion selbst mehr als nur unwesentlich der Verteilung der Energie zur allgemeinen Versorgung gerade im Konzessionsgebiet dienen. Den bisher Nutzungsberechtigten trifft eine sekundäre Darlegungslast. Maßgeblich für den Übereignungsanspruch sind grundsätzlich die Verhältnisse bei Ablauf des Konzessionsvertrags, spätere Veränderungen berührten den Umfang des Übereignungsanspruches nicht.
Az.: 28.7.1-007/005 we