Eindrücke vom
Hauptausschuss 2024
Mitteilungen - Schule, Kultur, Sport
StGB NRW-Mitteilung 442/2003 vom 22.05.2003
BGH zur Absicherung eines Notausstiegs auf einem Schulgelände
Der Bundesgerichtshof hat am 23. April 1998 (Az.: VI ZR 379/98) eine Revision zurückgewiesen, der im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde lag:
Die beklagte Gemeinde ist Trägerin der Realschule S.. Auf dem Schulgelände befindet sich in einer mit Sträuchern und Bodendeckern bepflanzten Erdaufschüttung, die mit einer etwa 30 cm hohen Mauer von dem Schulplatz abgegrenzt ist, vor einem der Schulgebäude ein Notausstieg, der aus den Kellerräumen herausführt. Dieser Notausstieg ist mit einer Abdeckung versehen, in die ein durch Scharniere geführter Deckel aus verzinktem Eisen in den Maßen 70 x 80 cm eingelassen ist. Der Deckel ist unverriegelt und von außen nicht mit einem Griff versehen. Hinter der Anpflanzung führt ein Feuerwehrgang an dem Schulgebäude entlang zum Notausstieg. Eine Absperrung zum Schulhof existiert nicht. Das Schulgebäude mit dem angrenzenden Sportzentrum kann auch außerhalb der Schulzeiten betreten werden.
In den Sommerferien 1995 öffnete der damals 7 Jahre und 3 Monate alte Kläger, als er mit zwei anderen Kindern auf dem Schulgelände spielte, den Deckel des Notausstiegs. Dabei verlor er das Gleichgewicht und fiel in den darunterliegenden etwa 2,5 bis 3 m tiefen Schacht. Der Kläger erlitt eine Absplitterung am Ellenbogen, die operativ behandelt werden mußte. Er befand sich vier Tage in stationärer Behandlung und trug anschließend 6 Wochen lang einen Gips; er ging vier oder fünf Mal zur Nachschau zu den behandelnden Ärzten.
Hierzu hat der BGH in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß die Beklagte zwar verkehrssicherungspflichtig sei, sie allerdings ihre Verkehrssicherungspflicht nicht dadurch verletzt habe, daß sie es unterlassen habe, den Deckel des Notausstiegs mit einer Sicherungsvorrichtung zu versehen, die ein Öffnen von außen ausschließe und zumindest durch eine Arretierung verhindere, daß der angehobene Deckel nach hinten umklappt.
Weiterhin hat das Gericht ausgeführt, daß die Pflicht des Verkehrssicherungspflichtigen, Kinder vor den Folgen ihres eigenen unvernünftigen Tuns zu bewahren, Grenzen habe. Der Senat habe eine solche Pflicht bejaht, wenn es um Gefahren gehe, die das Kind oder der Jugendliche aus Unerfahrenheit, Unbesonnenheit oder im Spieleifer nicht erkennen oder in ihrer Wirkung nicht richtig einschätzen könnte. Das gelte etwa für die verheerende Wirkung des heißen Gasstrahls einer Gaspistole auf den menschlichen Körper oder die Gefahr eines Stromschlages, die schon bei Annäherung an die Oberleitung der Bahn bestehe.
Es würde eine Überspannung der Sorgfaltsanforderungen an den Beklagten bedeuten, wollte verlangen, den Deckel des Notausstieges mit einer Vorrichtung zu versehen, welche die Arretierung des angehobenen Deckels in der Senkrechten sicherstelle. Das Berufungsgericht habe nicht festgestellt und der Kläger auch nicht behauptet, daß der Deckel dieser Konstruktion durch ein Umklappen nach hinten schon früher spielenden Kindern zum Verhängnis geworden sei und den Beklagten dies bekannt geworden wäre. Ohne eine solche Erkenntnis habe sich die Beklagte nicht darauf einstellen müssen, daß ein Kind den Schachtdeckel bis zur Senkrechten abheben werde. Vielmehr konnte sie davon ausgehen, daß auch einem Kind im Alter des Klägers schon mit einem geringen Anheben des Schachtdeckels die Gefahr eines Sturzes in die Tiefe bewußt werde, so daß es sein natürliches Angstgefühl verlassen werde, dieser Gefahr durch ein Fallenlassen des Deckels zu entgehen. Danach bestand für die Beklagte keine Veranlassung, den Deckel des Notausstiegs mit einer Arretierungsvorrichtung zu versehen.
Anerkanntermaßen könne der Verkehrssicherungspflichtige je nach dem Maß, in dem sich eine Gefahr offensichtlich aufdränge, darauf vertrauen, daß Kinder und Jugendliche sich dieser Gefahr aus natürlichem Angstgefühl nicht bewußt aussetzen würden. Dem stehe nicht entgegen, daß der vorliegende Fall zeige, daß sich ein Kind auch anders verhalten könne, als es sein natürliches Angstgefühl gebiete. Ein Anheben des Schachtdeckels bis zur Senkrechten, das die Gefahr des Absturzes in die unbekannte Tiefe in aller Deutlichkeit vor Augen treten lasse, sei ein Verhalten, das für Kinder so ungewöhnlich sei, daß hierfür der Verkehrssicherungspflichtige nicht Vorsorge treffen müsse.
Die hauptamtlichen Verwaltungen können die Entscheidung bei der Geschäftsstelle anfordern.
Az.: IV/2-214-28