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Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser
StGB NRW-Mitteilung 672/2000 vom 20.11.2000
Bundesgerichtshof zur Dimensionierung von Abwasserkanälen
In einem jetzt bekannt gewordenen Urteil vom 18.02.1999 (Az. III 2 R 272/96, Zeitschrift für Wasserrecht 2000, S. 48) hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage beschäftigt, ob eine Gemeinde einem Amtshaftungsanspruch aus Art. 34 Grundgesetz, § 839 Bürgerliches Gesetzbuch unterliegt, wenn eine Kanalisation deshalb unterdimensioniert ist, weil sie aus den angrenzenden Weinbergen ablaufendes Regenwasser nicht berücksichtigt hat.
Der BGH weist in seinem Urteil vom 18.02.1999 darauf hin, daß unabhängig von der jeweiligen landesgesetzlichen Definition des Abwasserbegriffes bei der Planung und Erstellung der für das Baugebiet notwendigen Entwässerungsmaßnahmen nicht an dessen Grenzen Halt gemacht werden darf. Der Bundesgerichtshof habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß es bei der Planung und Dimensionierung eines Entwässerungssystems entscheidend auf die tatsächlichen Verhältnisse, in abwasserwirtschaftlicher und abwassertechnischer sowie topographischer Hinsicht, ankomme (BGH, BGHZ 115, 141, 148; Urt. v. 11.10.1990 - III ZR 134/88 - NJW-RR 1991, 733, 734 mit weiteren Nachweisen).
Eine Gemeinde müsse deshalb von der Gesamtmenge des in einem Baugebiet abzuführenden Wassers ausgehen. Dazu gehöre im entschiedenen Fall auch das aus den außerhalb des Baugebiets gelegenen Weinbergen herrührende Niederschlagswasser, welches angesichts der örtlichen Gegebenheiten zwangsläufig auf das Baugebiet zugeflossen sei, wo es sich mit dem dort anfallenden Oberflächenwasser untrennbar vermischt habe und demzufolge insgesamt so zu beseitigen gewesen sei, daß die Bewohner des Baugebietes und ihr Eigentum keinen Schaden nahmen. Selbst die Gemeinde - so der BGH in dem entschiedenen Fall habe bei der Planung des Entwässerungssystems ursprünglich vorgesehen, zur Entlastung der Kanalisation das gesamte anfallende Niederschlagswasser über wasserführenden Wege und evtl. über Gräben und Verrohrungen unter Umgehung der Ortskanalisation einem Vorfluter zuzuleiten. Dieses habe die Gemeinde dem mit der Planung der Kanalisation beauftragten Ingenieurbüro auch so mitgeteilt, welches daraufhin die Dimensionierung der Kanalisation lediglich auf einen einjährigen Berechnungsregen ausgerichtet habe. In einem Lageplan, der der Gemeinde zur Verfügung gestanden habe, sei das in Rede stehende Baugebiet aufgrund der topographischen Gegebenheiten zudem als Überschwemmungsgebiet ausgewiesen gewesen. Im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplanes sei der Gemeinde weiterhin durch das Wasserwirtschaftsamt mitgeteilt worden, daß bei extremen Niederschlägen Teile der Bauparzellen überschwemmt werden könnten. Gleichwohl seien dann die geplanten begleitenden Entwässerungsmaßnahmen unstreitig nicht durchgeführt worden. Die in dem Baugebiet tatsächlich ausgeführten Entwässerungsmaßnahmen entsprächen damit nicht den erforderlichen Anforderungen. Die beklagte Gemeinde hätte daher so der BGH - , wenn sie keine begleitenden Maßnahmen zum Schutz des Baugebietes vor von außen einfließendem Niederschlagswasser habe treffen wollen, zum Ausgleich hierfür eine entsprechend größere Dimensionierung der Kanalisation vornehmen müssen. Die Amtspflicht, die Wohngrundstücke eines Baugebietes im Rahmen des Zumutbaren (auch) vor den Gefahren zu schützen, die durch Überschwemmungen auftreten können, obliegt einer Gemeinde nach Auffassung des Bundesgerichtshofes nicht nur gegenüber der Allgemeinheit, sondern auch gegenüber den Eigentümern und Bewohnern der betroffenen Baugrundstücke. Anders als im Bereich der Bauleitplanung sei die drittschützende Wirkung - so der Bundesgerichtshof in dem Urteil vom 18.02.1999 - auch nicht auf Gefährdungen für Leben oder Gesundheit beschränkt, sondern erfasse auch die mit Überschwemmungen typischerweise verbundenen Vermögensschäden.
Ergänzend stellt der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 28.02.1999 heraus, daß allgemeine Regelungen, etwa im Hinblick auf einen bestimmten "Berechnungsregen" oder eine bestimmte "Einstauhäufigkeit" dann nicht maßgebend seien, wenn im konkreten Einzelfall bestimmte Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß ein darauf zugeschnittenes Ableitungssystem außerstande sei, das anfallende Wasser, nicht nur in seltenen Ausnahmefällen, sondern darüber hinaus auch bei häufigeren, auch im Rahmen einer generalisierenden Betrachtungsweise zu berücksichtigen Anlässen zu bewältigen (BGH, Urt. v. 11.10.1990 - III ZR 134/88 - NJW-RR 1991, 733, 734, BGH-Urteil vom 11.12.1997 - III ZR 52/97 - NJW 1998, 1307, 1308).
Der BGH weist aber auch darauf hin, daß die Gemeinden andererseits nicht verpflichtet sind, eine Regenwasserkanalisation einzurichten und zu unterhalten, die alle denkbaren Niederschlagsmengen bewältigen könne und daß wirtschaftliche Gründe jede Gemeinde dazu zwingen würden, das Fassungsvermögen einer Regenwasserkanalisation nicht zu groß zu bemessen, so daß diese auch für ganz selten auftretende, außergewöhnlich heftige Regenfälle ausreiche. Insbesondere sei eine Dimensionierung im Hinblick auf katastrophenartige Unwetter, wie sie erfahrungsgemäß nur in sehr großen Zeitabständen vorkommen, nicht erforderlich (BGH, BGHZ 109, 8, 10 ; BGH, BGHZ, 109 8, 10, BGH, BGHZ 115, 141, 147 f.).
Die Geschäftsstelle weist ergänzend darauf hin, daß aus dem Urteil des BGH vom 18.02.1999 insgesamt nur die Empfehlung abgeleitet werden kann, bei der Ausweisung von Baugebieten und der Planung des Entwässerungssystems im Zweifelsfall nicht nur darauf abzustellen, daß das geplante und errichtete Entwässerungssystem der Gesamtmenge nach das im Baugebiet selbst anfallende Wasser ableiten kann. Vielmehr sind die Umstände des konkreten Einzelfalles sorgfältig zu überprüfen und es ist bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte zu berücksichtigen, ob gegebenfalls von außerhalb des Baugebietes herrührendes Regenwasser dazu führen kann, daß die Bewohner eines Baugebietes und ihr Eigentum beeinträchtigt werden können bzw. Schaden nehmen können. Der BGH setzt insoweit seine Rechtsprechung fort. Denn bereits mit Urteil vom 11.12.1997 (DVBl. 1998, S. 709) beschäftigte sich der BGH im Rahmen einer Schadensersatzklage gegen eine Gemeinde mit der Dimensionierung eines Mischwasserkanals. Auch nach diesem Urteil vom 11.12.1997 darf die Mischwasserkanalisation nicht nur auf einen einjährigen Berechnungsregen ausgelegt sein, da die Anlieger es nicht hinnehmen müssen , einmal jährlich einer Überschwemmung ausgesetzt zu werden. Vielmehr muß der erforderliche Leitungsquerschnitt aufgrund einer umfassenden Würdigung aller maßgeblichen abwassertechnischen, wirtschaftlichen und topographischen Gegebenheiten wie z.B. der örtlichen Hanglage des Geländes sowie der Bebauung und des Ausmaßes der dadurch bewirkten Bodenversiegelung . ermittelt werden (vgl. hierzu auch: Becker, Abwasser-Report 1998, Heft 3, S. 16).
Az.: II/2 24-10