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Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser
StGB NRW-Mitteilung 359/2004 vom 21.04.2004
Bundesgerichtshof zur Haftung für Überschwemmung
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 11. März 2004 (Az: III ZR 274/03) eine Gemeinde verurteilt, für einen Überschwemmungsschaden aufzukommen, der durch den Überlauf eines offenen Regenrückhaltebeckens verursacht worden war. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Aufgrund heftiger Regenfälle kam es zu einem Wassereinbruch in die Häuser des Klägers. Ursache des Schadens war, dass das offene Regenrückhaltebecken überlief, Wassermassen von dort den Hang herabstürzten und die benachbarten Grundstücke überschwemmten. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hatte sie dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die beklagte Gemeinde die Abweisung der Klage. Hiermit hatte sie keinen Erfolg.
Der Bundesgerichtshof führt in seinem Urteil vom 11.03.2004 aus, dass die beklagte Gemeinde aus dem Gesichtspunkt des enteignenden Eingriffs verantwortlich sei, den Schaden zu ersetzen. Dass ein solcher Anspruch nicht auf vollen Schadensausgleich, sondern lediglich auf Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen gerichtet sei, stehe einer Bestätigung des angefochtenen Grundurteils nicht entgegen, da die vom Kläger geltend gemachten Schadenspositionen (Sachschäden, Mietausfall, Vermittlungskosten) sämtlich auch auf dieser Grundlage ersatzfähig seien. Ansprüche aus enteignetem Eingriff kämen in Betracht, wenn an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betroffenen unmittelbar zu meist atypischen und unvorhergesehenen Nachteilen führen würden, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen müsse, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen würden. Entschädigungsansprüche solcher Art habe der BGH etwa wegen Immissionen von hoheitlicher Hand zugebilligt, soweit diese unter privaten Nachbarn nach § 906 BGB nicht ohne Ausgleich hinzunehmen wären. Insoweit sei der Anspruch aus enteignendem Eingriff das öffentlich-rechtliche Gegenstück zum zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch unter Nachbarn nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Bei der Überschwemmung von Grundstücken habe der BGH eine Haftung der öffentlichen Hand aus enteignendem Eingriff bisher in Fällen angenommen, in denen der Schaden durch Hochwasserschutzmaßnahmen entstanden sei (erhöhung von Seedeichen: BGHZ 80, S. 111, S. 113ff.; Absperrung eines Entwässerungsgrabens: BGHZ 117, S. 240, S. 252ff.; Aufstau einer Talsperre: BGH NJW 1971, S. 750). Demgegenüber habe der BGH beim Bruch einer gemeindlichen Wasserleitung eine unmittelbare Beeinträchtigung des überschwemmten Grundstücks wegen des Hinzutretens weiterer Umstände verneint (BGHZ 55, S. 229, S. 230 ff., sh. auch BGHZ 125, S. 19, S. 21 und ferner BGH, Urt. V. 30.05.2003 V ZR 37/02 -, NJW 2003, S. 2377, S. 2378 f.)
Der zu entscheidende Fall weist nach dem BGH, auch wenn es sich hier nicht um den Schutz von Hochwasser handele, sondern um Schäden aus der Überschwemmung durch gesammeltes Niederschlagswasser, Parallelen zu den Senatsurteilen BGHZ 117, S. 240 und BGHZ 125, S. 19 sowie dem Urteil vom 22.02.1971 (Az.: III ZR 221/67 NJW 1971, S. 750) auf. Die Beseitigung von Regenwasser- und Abwasser stelle einen Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge dar und sei damit der sog. schlicht- hoheitlichen Verwaltung zuzuordnen. Dieses gelte auch für ein in das Kanalsystem der Gemeinde eingegliedertes Regenrückhaltebecken. Durch dessen Überlauf sei der Schaden am Eigentum des Klägers adäquat verursacht worden. An der notwendigen Unmittelbarkeit des Eingriffs lasse sich unter diesen Umständen ebenso wenig zweifeln, ungeachtet dessen, dass es dazu im zu beurteilenden Fall erst aufgrund der starken Regenfälle vom 04. Juli 2000 kommen konnte (vgl. hierzu: BGH, Urt. V. 27.01.1983 Az.: III ZR 70/81 DVBl 1983, S. 1055, S. 1057).
Diese Umstände liegen aber so der BGH nicht außerhalb der von hoher Hand geschaffenen und in dem Bauwerk selbst angelegten Gefahrenlage, vielmehr realisiere sich bei einem Überstau allein die ständige latente Gefährdung der Anliegergrundstücke. Etwas anderes ließe sich bei wertender Betrachtung (vgl. BGH, BGHZ 125, S. 19, S. 21) allenfalls für einen ganz ungewöhnlichen und seltenen Starkregen (Katastrophenregen) annehmen, auf den die Gemeinde hier Kanalsystem auch unter dem Gesichtspunkt der besonderen Gefährdung benachbarter Grundstücke möglicherweise nicht auslegen müsse. Einen solchen Katastrophenregen habe hier das Berufungsgericht jedoch rechtsfehlerfrei verneint, so dass eine Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff angenommen werden könne.
Az.: II/2 22-50 qu/g