Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 593/2013 vom 15.07.2013

Bundesverfassungsgericht über Veranlagung zu Beiträgen nach BauGB

Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 05.03.2013 (Az.: 1 BvR 2457/08) verlangt das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und —vorhersehbarkeit Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Es obliegt danach dem Gesetzgeber, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

Das BVerfG hat auf dieser Grundlage die Verfassungswidrigkeit der bayerischen Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) cc), 2. Spiegelstr. BayKAG festgestellt. Es hat die Norm allerdings nicht für nichtig erklärt, sondern dem Gesetzgeber Gelegenheit gegeben, den verfassungswidrigen Zustand bis zum 01.04.2014 zu beseitigen. Das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit steht daher neben dem Vertrauensschutz. Während Vertrauensschutz nur bei Vorliegen bestimmter Vertrauensschutzgesichtspunkte entstehen kann, gilt das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot der Belastungs-klarheit und —vorhersehbarkeit unabhängig vom Vertrauen, nicht mehr mit einer Abgabe belastet zu werden. Ziel der Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ist die Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sowie der Schutz der Erwartung des Abgabepflichtigen, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung eines Beitrags rechnen zu müssen.

Auswirkungen auf die Beitragserhebung nach dem BauGB in Nordrhein-Westfalen: Da es für die Beitragsveranlagung in Nordrhein-Westfalen derzeit keine absoluten zeitlichen Höchstgrenzen gibt, ist insbesondere die Entwicklung der Rechtsprechung der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichte von Bedeutung.

1.  Sanierungsbeitragsrecht nach §§ 154 ff. BauGB

Der 14. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) hat die neue Rechtsprechung des BVerfG in seinem Urteil vom 30.04.2013 auf die Erhebung von Ausgleichsbeträgen für städtebauliche Sanierungsmaßnahmen im Sinne der §§ 136 ff. BauGB übertragen (Az.: 14 A 207/11). Diese Entscheidung ist jedoch nicht rechtskräftig, da Revision eingelegt wurde. Klarheit wird daher erst die Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bringen können.

Nach § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist Voraussetzung für die Erhebung der Abschluss der Sanierung (§§ 162 und 163 BauGB). Das Bundesverwaltungs-gericht (BVerwG) hatte bisher stets betont, dass für den „Abschluss der Sanierung“ in diesem Sinne allein maßgeblich sei, wann die Sanierungssatzung förmlich aufgehoben bzw. wann die Abgeschlossenheit für das jeweilige Grundstück förmlich erklärt worden sei. Unerheblich sei hingegen, wann die Sanierung tatsächlich abgeschlossen sei und ob die Gemeinde den förmlichen Abschluss der Sanierung durch das Unterlassen des Erlasses der Auf-hebungssatzung verzögert habe.

Nach Auffassung des 14. Senats des OVG NRW führt diese Auslegung aber dazu, dass die Gemeinde durch den pflichtwidrigen Nichterlass der Aufhebungssatzung nach § 162 Abs. 1 BauGB das Entstehen des Anspruchs auf den Ausgleichsbetrag nach § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB verhindern könne und damit der Zeitpunkt des Beginns der Verjährung und davon abhängend auch der Eintritt der Festsetzungs-verjährung in ihr Belieben gestellt sei. Dies sei mit der neuen Rechtsprechung des BVerfG unvereinbar und stelle einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 3 GG dar. Allerdings hat das OVG NRW die Sache nicht dem BVerfG im Wege der konkreten Normenkontrolle gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG vorgelegt, weil es von der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB ausgeht.

Danach könne — so das OVG NRW - die Vorschrift so verstanden werden, dass die abstrakte Ausgleichsbetrags-forderung in dem Zeitpunkt entsteht, in dem die Sanierungssatzung nach § 162 Abs. 1 BauGB hätte aufgehoben worden sein müssen. Zugleich hat das OVG NRW in dieser Entscheidung  ausgeführt, dass die von der beklagten Gemeinde geltend gemachte Häufung von Sanierungsfällen und Personal-mangel keinen Grund darstellt, von der Rechtspflicht zur Aufhebung der Satzung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 162 BauGB abzusehen. Dementsprechend hängt allgemein der Lauf von Verjährungsfristen nicht vom Vorliegen hinreichender Verwaltungskapazitäten ab.

Sollte diese Rechtsprechung vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt werden, dürfte sie mittelbar auch Auswirkungen im Hinblick auf die Städtebauförderung haben. Dies gilt für solche Förderbereiche, die auf das Vorliegen eines Sanierungsgebietes im rechtlichen Sinne abstellen. Mit Erlass dieser Auf-hebungssatzung ist dies allerdings nicht mehr der Fall. Das bedeutet dann allerdings auch, dass diese - derzeit nicht rechtskräftige - Entscheidung mittelbar faktische Auswirkungen für den Erhalt von künftigen Städtebau-fördermitteln haben kann.

Vor dem Hintergrund dieses überraschenden Beschlusses des Bundesver-fassungsgerichtes empfiehlt sich in einem solchen Fall — also in dem nur noch der Erlass der Aufhebungssatzung erforderlich ist - für derzeit laufende Sanierungsverfahren gegebenenfalls ein Gespräch mit der Bewilligungsbehörde zu führen und zwar vor Erstellung des Schlussverwendungsnachweises. 

2.  Auswirkungen zum Erschließungsbeitragsrecht nach §§ 127 BauGB

Soweit ersichtlich, sind im Nachgang zu der Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichtes keine Entscheidungen der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichte einschließlich des dafür zuständigen 15. Senats des OVG NRW ergangen, die sich mit dieser neuen Problematik auseinandersetzen mussten.

Sollte in diesem Bereich die Rechtsprechung sich dem derzeit nicht rechts-kräftigen Urteil des 14. Senates des OVG NRW anschließen und einen Augenmerk auf ein pflichtwidriges gemeindliches Unterlassen vornehmen, sollte von Seiten der Städte und Gemeinden dokumentiert werden, dass ein solches nicht vorliegt. 

3.  Auswirkungen zu Maßnahmen nach §§ 135a ff. BauGB (Ausgleichsbeiträge
     für naturschutzrechtliche Eingriffe)

Letztendlich kann auch für eine solche Veranlagung die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes Bedeutung erlangen. Da diese Veranlagung entsprechend dem Erschließungsbeitragsrecht erfolgt, sei auf die vorherigen Ausführungen verwiesen.

Beide Gerichtsentscheidungen können von StGB NRW-Mitgliedskommunen im Internet des Verbandes (Mitgliederbereich) unter Fachinfo und Service/ Fachgebiete/Bauen und Vergabe/Rechtsprechung abgerufen werden.

4.  Auswirkungen für die Beitragsveranlagung nach dem KAG NRW

Für das Beitragsrecht nach dem KAG NRW sei auf die Entscheidung des OVG NRW (Urteil vom 18. Mai 1999, 15 A 2880/96 im Hinblick auf einen Kanalanschlussbeitrag) verwiesen. Im Falle der Nichtigkeit einer Satzung ist danach nur eine rückwirkende Inkraftsetzung der Satzung möglich. Von diesem Zeitpunkt aus ist dann die Verjährung zu bestimmen. Dies führt letztendlich dazu, dass eine zeitlich unbegrenzte Inanspruchnahme in diesem Bereich nicht möglich ist und daher der neuen Rechtsprechung des BVerfG entspricht.

Az.: II/1 643-00

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