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Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 566/2007 vom 21.08.2007
Bundesverwaltungsgericht zu Planung von Wohngebieten und Lärmschutz
Mit Urteil vom 22.03.2007 (4 CN 2.06) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass es nicht von vornherein abwägungsfehlerhaft ist, auf aktiven Schallschutz durch Lärmschutzwälle oder –wände zu verzichten, wenn ein Bebauungsplan ein reines Wohngebiet (WA) ausweist, das durch vorhandene Verkehrswege Lärmbelastungen ausgesetzt wird, die an den Gebietsrändern deutlich über den Orientierungswerten der DIN 18005 liegen. In dieser Situation ist es zulässig, eine Minderung der Emissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.
1. Sachverhalt:
Die Eigentümer eines im Plangebiet liegenden, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks hatten den streitgegenständlichen Bebauungsplan einer Normenkontrolle unterzogen. Das OVG Nordrhein-Westfalen gab dem Normenkontrollantrag statt und erklärte den Bebauungsplan für unwirksam, da die planende Gemeinde die Belange des Immissionsschutzes unzulässigerweise zugunsten ihres finanziellen Interesses an einer wirtschaftlich optimalen Ausnutzung der potenziellen Bauflächen zurückgesetzt habe. Es sei verfehlt, auf aktiven Schallschutz zu verzichten und die künftigen Bewohner des Gebiets weitgehend auf architektonische Selbsthilfe und passiven Lärmschutz zu verweisen.
2. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
Die Revision der vor dem OVG unterlegenen Gemeinde hat das BVerwG im Ergebnis wegen unzureichender Zusammenstellung des Abwägungsmaterials zurückgewiesen. Gleichwohl weist das Gericht die von der Vorinstanz aufgestellte Abwägungsmaxime zurück, nach der der Verzicht auf aktiven Lärmschutz in einem neue Wohngebiete ausweisenden Bebauungsplan unzulässig sei, wenn Lärmbelastungen erreicht werden, die tags und nachts mehr als 10 dB(A) über den Orientierungswerten der DIN 18005 liegen. Dem sei jedenfalls, wenn die Orientierungswerte nur an den Rändern des Wohngebiets in diesem Maße überschritten werden, nicht zu folgen. Zwar habe eine Gemeinde die Lärmbelastung als gewichtigen Belang gemäß § 1 Abs. 7 BauGB in ihrer Abwägung einzustellen. Zudem sei die Abwägungsdirektive des § 50 BImSchG zu berücksichtigen, wonach verschiedene Flächennutzungen so einander zuzuordnen sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen vermieden werden. Die Durchsetzung des Lärmschutzes stoße jedoch auf Grenzen, was insbesondere in dem Gebot des § 1a Abs. 2 S. 1 BauGB, mit Grund und Boden sparsam umzugehen, zum Ausdruck komme. Besonders hervorgehoben würden die Nachverdichtung sowie andere Maßnahmen der Innenentwicklung.
Zudem sei es in dicht besiedelten Gebieten häufig nicht möglich, allein durch die Wahrung von Abständen zu vorhandenen Straßen schädliche Umwelteinwirkungen auf Wohngebiete zu vermeiden. Gerade in diesen Gebieten könne jedoch ein berechtigtes Interesse daran bestehen, neue Baugebiete auszuweisen, um eine Abwanderung der Bevölkerung in ländliche Gebiete zu verhindern. Auch könne mit Blick auf § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB ein gewichtiges städtebauliches Interesse daran bestehen, einen vorhandenen Ortsteil zu erweitern und damit dessen Infrastruktur mitzunutzen. Neben den Anforderungen des kostensparenden Bauens erkennt das BVerwG auch im Gegensatz zur Vorinstanz das legitime Interesse einer Gemeinde an, die Grundstücke zu verwerten, die sie in einem im Flächennutzungsplan für Wohnnutzung vorgesehenen Bereich erworben hat, um sie Bauinteressenten zu Eigentum zu überlassen.
In Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung unterstreicht das BVerwG, dass die Werte der DIN 18005-1 „Schallschutz im Städtebau“ zur Bestimmung der zumutbaren Lärmbelastung eines Wohngebiets im Rahmen einer gerechten Abwägung lediglich als Orientierungshilfe herangezogen werden können. Die planende Gemeinde werde durch das DIN-Regelwerk nicht rechtlich gebunden und könne in die Abwägung einstellen, dass durch eine geschlossene Riegelbebauung die rückwärtigen Flächen wirksam abgeschirmt werden. Dann sei jedoch darauf zu achten, dass auf der straßenabgewandten Seite geeignete geschützte Außenwohnbereiche geschaffen werden können. Die Gemeinde sei hingegen nicht gehalten, den Lärmschutz durch eine am Straßenrand zu errichtende Schallschutzwand sicherzustellen. Vielmehr sei es abwägungsfehlerfrei, wenn sich die Gemeinde bei einer innerörtlichen Straße für die mehrfache Anbindung eines Wohngebietes mit Erschließungsstraßen und gegen eine Lärmschutzwand, die der innerörtlichen Straße den Charakter einer reinen Verkehrsstraße verleihen würde, entschließt.
3. Bewertung
Die Urteilsbegründung unterstreicht in erfreulicher Weise den Ermessensspielraum der planenden Gemeinde bei der Abwägung widerstreitender Interessen im Rahmen der Bauleitplanung. Das Gericht weist zurecht darauf hin, dass der Lärmschutz ein Abwägungsbelang von vielen ist und trägt der gesetzgeberischen Entscheidung Rechnung, nach der die Innenentwicklung Vorrang hat. Nicht zuletzt aus Sicht der Stadtbildpflege war die Beschränkung eines abwägungsfehlerfreien Lärmschutzes auf den Bau von Schutzwänden durch die Vorinstanz kritikwürdig. Die vorliegende höchstrichterliche Entscheidung stärkt dahingehen die kommunale Planungshoheit durch die Anerkennung alternativer Lärmschutzmaßnahmen und unterstreicht zudem, dass außergesetzliche Normen wie DIN-Regelwerke die kommunalen Planungsträger nicht binden.
Quelle: DStGB-Aktuell 3207-16
Az.: II/1 620-00