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Mitteilungen - Wirtschaft und Verkehr
StGB NRW-Mitteilung 597/2000 vom 20.10.2000
Bundesverwaltungsgericht zum ÖPNP-Linienverkehr
Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich mit zwei Klagen zu beschäftigen, bei denen ein privates und ein kommunales Nahverkehrsunternehmen die erteilte Linienverkehrsgenehmigung an das jeweils andere Unternehmen anfechten und mit einer Verpflichtungsklage die Erteilung der Genehmigung an sich selbst durchsetzen wollten. Gegen die Entscheidungen des OVG Magdeburg haben beide Unternehmen Berufung eingelegt bzw. ein Revisionsverfahren angestrengt. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat im Berufungsfall ein Urteil gefällt und im Revisionsverfahren den Beschluss gefasst, das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung beim Europäischen Gerichtshof einzuholen.
Im Berufungsfall des privaten Nahverkehrsunternehmens hat das BVerwG das Urteil des OVG Magdeburg aufgehoben und zur anderweitigen Entscheidung an das OVG Magdeburg zurückverwiesen (Az: 3 C 6.99). Das BVerwG führt aus, dass grundsätzlich zwar ein Klagerecht gegen die Genehmigung an einen anderen Unternehmer bestehe, wenn durch die Genehmigung der eigene genehmigte Linienverkehr beeinträchtigt werde. Eine rechtmäßig erteilte Genehmigung könne allerdings nicht deshalb wieder entzogen werden, weil der klagende Bewerber im Verlauf des Rechtsstreites die Genehmigungsvoraussetzungen erfülle, die er vorher nicht erfüllt habe und die deshalb zur Erteilung der Genehmigung an den Genehmigungsinhaber geführt hätten. Das BVerwG führt dazu aus: "Selbst eine rechtmäßig erteilte Genehmigung könnte ihn [den Genehmigungsinhaber] nicht davor schützen, dass den erforderlichen umfangreichen Investitionen durch eine außerhalb seines Einflussbereichs liegende Änderung der Sach- oder Rechtslage nachträglich die rechtliche Grundlage entzogen wird. Zum anderen wäre für den zu Recht abgelehnten Bewerber ein starker Anreiz gegeben, durch den Einsatz von Rechtsmitteln die endgültige Entscheidung möglichst lange offen zu halten in der Hoffnung, irgendwann vielleicht doch die Genehmigungsvoraussetzungen zu erfüllen oder das bessere Angebot vorlegen zu können."
Das BVerwG entschied darüber hinaus zu der Frage, wie die Leistungsfähigkeit eines Bewerbers zu beurteilen sei, in der Weise, dass der wirtschaftliche Erfolg des zu genehmigenden Linienverkehrs keinen Einfluss auf die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens haben dürfte. Vielmehr sei die Leistungsfähigkeit des Unternehmens von der Kostendeckung bzw. der fehlenden Kostendeckung des zur Genehmigung vorliegenden Verkehrs unabhängig. Die Genehmigungsbehörde müsse also nicht in jedem Falle prüfen, welches Defizit der zur Genehmigung gestellte Verkehr erwarten lasse und ob die zur Deckung der Verluste erforderlichen Mittel vorhanden sein.
Im zweiten Verfahren hat das BVerwG den Beschluss gefasst, das Revisionsverfahren gegen das kommunale Verkehrsunternehmen auszusetzen. Stattdessen soll eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes eingeholt werden (Az: 3 C 7.99). Die dem Europäischen Gerichtshof vorzulegende Frage lautet:
"Hindern die Artikel 73 und 87 EGV in Verbindung mit der VO (EGW) Nr. 1191/69 in der Fassung der VO (EWG) Nr. 1893/91 die Anwendung einer nationalen Regelung, die die Vergabe von Linienverkehrsgenehmigungen im öffentlichen Personennahverkehr für Verkehre, die zwingend auf öffentliche Zuschüsse angewiesen sind, ohne Beachtung der Abschnitte II, III und IV der genannten Verordnung zulässt?".
Das BVerwG stellt in den Entscheidungsgründen die Frage, "ob ein Linienbetrieb im öffentlichen Personennahverkehr, von dem feststeht, dass er aus den Beförderungserlösen nicht rentabel betrieben werden kann und daher zwingend auf Zuschüsse der öffentlichen Hand angewiesen ist, als eigenwirtschaftlich im Sinne des § 8 Abs. 4 Satz 2 Personenbeförderungsgesetz angesehen werden kann, oder notwendigerweise als gemeinwirtschaftlich zu gelten hat und damit den Genehmigungsverfahren nach § 13 a Personenbeförderungsgesetz [Ausschreibungspflicht] unterliegt." Nach Auffassung des BVerwG stellen vertragliche oder andere z. B. durch Bewilligungsbescheid gewährte Zuschüsse die Eigenwirtschaftlichkeit einer Verkehrsleistung nicht in Frage. Anders formuliert: Die Anwendung der üblichen Ausgleichsmethoden nach innerstaatlichem Recht, die mit der Notwendigkeit öffentlicher Zuschüsse arbeitet, hat den Ausschluss der Eigenwirtschaftlichkeit nach Auffassung des BVerwG nicht zur Folge.
Dennoch kann das BVerwG mit dieser Feststellung nicht beurteilen, ob seine Auslegung des § 8 Abs. 4 Satz 2 Personenbeförderungsgesetz europarechtskonform ist. Vielmehr hält es angesichts des komplizierten Systems aus Verboten, Ausnahmen und Rückausnahmen, welche das Normengeflecht des EG-Vertrages sowie der Nahverkehrsverordnungen der Europäischen Union darstellen, eine Klärung dieser an Problematik durch den Europäischen Gerichtshof für erforderlich.
Az.: III 441 - 10