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Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 481/2021 vom 30.08.2021
BVerwG: Wurde die Baugenehmigung dem Nachbarn nicht bekannt gegeben, läuft keine Widerspruchsfrist ab
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 21.01.2021 (Az.: 4 B 15.20) folgendes entschieden:
- Ist dem Nachbarn eine Baugenehmigung, durch die er sich beschwert fühlt, nicht amtlich bekannt gegeben worden, läuft für ihn keine Widerspruchsfrist.
- Hat der Nachbar jedoch sichere Kenntnis von der Baugenehmigung erlangt oder hätte er sie erlangen können, kann ihm nach Treu und Glauben die Berufung darauf versagt sein, dass die Baugenehmigung ihm nicht amtlich mitgeteilt wurde.
- Der Zeitpunkt, zu dem der Nachbar von der Baugenehmigung zuverlässig Kenntnis nehmen konnte, tritt ein, wenn sich ihm das Vorliegen der Baugenehmigung aufdrängen musste und es ihm möglich und zumutbar war, sich dazu Gewissheit zu verschaffen.
Zum Sachverhalt
Einem Grundstückseigner (E) wurde 1998 eine Baugenehmigung erteilt. Ein Nachbar (N) hatte 2000 nach einem Gespräch mit der Bauaufsichtsbehörde über die begonnenen Baumaßnahmen auf dem Nachbargrundstück ein kritisches Schreiben an diese gerichtet, das aber erst 2009 zu den Vorgangsakten genommen wurde. Die sich anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzungen drehten sich um die Frage, ob es sich bei diesem Schreiben um einen fristgerechten Widerspruch gegen die Baugenehmigung gehandelt hat.
Das Verwaltungsgericht ist von der Unzulässigkeit der gegen die Baugenehmigung gerichteten Klage ausgegangen, weil das Schreiben nicht als Widerspruch zu werten sei. Das OVG vertrat demgegenüber die Auffassung, es drücke mit noch hinlänglicher Deutlichkeit aus, dass N mit der Baugenehmigung nicht einverstanden sei und deren Änderung begehre. Die Revision hat das OVG nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich E mit einer Nichtzulassungsbeschwerde zum BVerwG.
Zur Entscheidung
Das BVerwG hat die Beschwerde abgewiesen. Sei dem Nachbarn eine Baugenehmigung, durch die er sich beschwert fühle, nicht amtlich bekannt gegeben worden, so laufe für ihn weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung der §§ 70, 58 Abs. 2 VwGO eine Widerspruchsfrist. Es könne ihm aber nach Treu und Glaube die Berufung auf die Nichtbekanntgabe versagt sein, wenn er gleichwohl sichere Kenntnis von der Baugenehmigung erlangt habe oder hätte erlangen müssen.
Der Zeitpunkt, zu dem der Nachbar von der Baugenehmigung zuverlässig Kenntnis nehmen könne, trete ein, wenn sich ihm das Vorliegen der Baugenehmigung aufdrängen müsse (z. B. aufgrund sichtbaren Beginns der Bauausführung) und es ihm darüber hinaus möglich sei, sich hierüber Gewissheit zu verschaffen, indem etwa beim Bauherrn oder der Behörde angefragt werde. Offen lässt das BVerwG die Frage, ob auch Umstände vor Erteilung der Baugenehmigung geeignet sein könnten, tatsächliche Umstände nach Erteilung „in ein anderes Licht zu rücken“ mit der Folge, dass sich dem Nachbarn das Vorliegen einer Genehmigung aufdrängen musste.
Praxishinweis
Der vom BVerwG entschiedene Fall währte insgesamt über 20 Jahre. Nach der Entscheidung muss dem betroffenen Nachbarn die Möglichkeit gegeben werden, sich gegen die Baugenehmigung zur Wehr zu setzen.
Dem Grundsatz des Gebots effektiven Rechtsschutzes wird man dabei nur dann gerecht, wenn die gesetzlich angeordneten Rechtsmittelfristen erst zu laufen beginnen, wenn die Baugenehmigung den Nachbarn bekannt gegeben wurde. Wer von der Baugenehmigung nichts weiß und nichts wissen konnte, dem darf nach dem BVerwG daher kein Fristablauf für den Widerspruch und die Drittanfechtungsklage drohen. Wer aber vor einem offen ersichtlichen Baubeginn bewusst die Augen verschließt und untätig bleibt, verwirkt seine rechten Befugnisse zur Gegenwehr. (Quelle: IBR 2021, 433)
Az.: 20.3.1.3-003/001mag