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Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft
StGB NRW-Mitteilung 505/2013 vom 19.08.2013
Diskussion über Bürgeranleihe beim Netzausbau
Das Konzept für so genannte Bürgeranleihen beim Netzausbau wird derzeit kontrovers diskutiert. Finanzexperten kritisieren die Anleihe als besonders risikoreich. Für die erste angebotene Bürgeranleihe an der geplanten Nordsee-Westküstenleitung des Übertragungsnetzbetreibers TenneT gibt es bislang erst rund 250 Interessenten. Die Zeichnungssumme bewegt sich im einstelligen Millionenbereich, obwohl bis Ende August eine Beteiligung der Bürger von 40 Millionen Euro angestrebt wird. Aus kommunaler Sicht sind finanzielle Beteiligungsangebote eine sinnvolle Möglichkeit, Bürger und Kommunen aktiv an der Umsetzung der Energiewende zu beteiligen. Allerdings müssen ihre Chancen und Risiken klar und offen kommuniziert werden. Die Beteiligungsmodelle werden nur dann erfolgreich sein, wenn sie ein faires Angebot darstellen.
Die Bürgeranleihe zum Ausbau des Stromnetzes steht zurzeit stark in der öffentlichen Diskussion.
Hintergrund
Bundesumweltminister Altmaier und Bundeswirtschaftsminister Dr. Rösler hatten sich Anfang Juli mit den vier Netzbetreibern Amprion, TenneT, TransnetBW und 50Hertz auf ein Konzept für so genannte Bürgeranleihe bzw. Bürgerdividende geeinigt (StGB NRW-Mitteilung vom 09.07.2013). Ziel ist, den Netzausbau zu beschleunigen und die Akzeptanz für neue Leitungen auf Höchstspannungsebene zu erhöhen. Die Anleihe soll beweisen, dass der Leitungsausbau nicht nur individuelle Nachteile, sondern ebenso individuelle Vorteile bieten kann. Die Mindesteinlage soll dem Konzept zufolge bei etwa 1.000 Euro liegen und wird mit bis zu fünf Prozent verzinst. Anwohner in unmittelbarer Nähe neuer Leitungen sollen bevorzugt werden. Die Regierung geht davon aus, dass bis 2023 rund 20 Milliarden Euro in neue Netze investiert werden müssen. Die Bürgerbeteiligung soll bis zu 15 Prozent dieser Investitionssumme einbringen.
Konkrete Modelle der Bürgerbeteiligung sollen in den kommenden Monaten die vier Übertragungsnetzbetreiber entwickeln. Der Netzbetreiber TenneT betreut bereits das Pilotprojekt der Westküstenleitung in Schleswig-Holstein zur Finanzierung einer Windstromleitung. 160.000 Haushalte in den Kreisen Nordfriesland und Dithmarschen wurden angeschrieben. Die Zeichnungsfrist läuft bis 30. August.
Kritik an der Bürgeranleihe
Finanzexperten kritisieren an der Bürgeranleihe vor allem das Verlustrisiko für Privatanleger, die Höhe der Rendite und die unbegrenzte Laufzeit. Im Falle der Insolvenz des Unternehmens würden die Anleihen erst nachrangig mit der Folge bedient, dass die Anleger ihr Geld verlieren könnten. Die Ratingagentur Standard & Poor's habe dies bestätigt, indem sie die Bürgeranleihe mit „BB+“ bewerten habe. Mit dieser Note würden in der Regel nur hochspekulative Anleihen gekennzeichnet. Die Rendite sei in Anbetracht des Verlustrisikos zu gering - sie müsste vielmehr bei sieben Prozent liegen.
Zudem sei es ungewiss, wann die Anleger die Rendite ausgezahlt bekämen. Den angekündigten Zins für Anleger von fünf Prozent gebe es erst frühestens nach Baubeginn. Bis dahin liege er bei drei Prozent. Der für 2015 geplante Baubeginn könne sich durch Gerichtsverfahren verzögern, da es Widerstände in der Region und bei Umweltschützern gebe. Die unbegrenzte Laufzeit der Anleihe führe dazu, dass die Anleihe nur an der Börse verkauft werden könne. Daher sei es ungewiss, wie viel dort gezahlt werde. Zudem sei der Rückzahlungstermin des Kapitals völlig offen. Eine Kündigung des „Kredits“ sei ebenfalls nicht möglich.
Anmerkung
Aus kommunaler Sicht ist die Bürgeranleihe als finanzielle Beteiligungsmöglichkeit grundsätzlich ein sinnvoller Ansatz, um die Bürger aktiv bei der Umsetzung der Energiewende zu beteiligen und stärker mit ihnen in den Dialog zu treten. Allerdings sollte gegenüber den Bürgern mit offenen Karten gespielt werden. Entscheidend ist, dass die Bürger umfassend über die Chancen und Risiken informiert werden, so dass sie eine eigene Abwägung treffen können. Die Bürger müssen die Investition für sicher und sinnvoll erachten können. Dann werden auch eventuelle Risiken in Kauf genommen. Die Beteiligungsmodelle werden nur dann erfolgreich sein, wenn die Netzbetreiber sie so ausgestalten, dass sie ein attraktives und faires Angebot an die Betroffenen darstellen. Dass die Idee, Energieprojekte vor Ort gemeinsam mit Bürgern entwickeln und finanzieren zu lassen und diese dafür auch an der Rendite zu beteiligen, eine gute Beteiligungsmöglichkeit ist und Modellcharakter hat, lässt sich an der Vielzahl von Beteiligungsmodellen im Bereich der Erneuerbaren Energien gut ablesen. Bereits mehr als 130.000 Bürger beteiligen sich bereits entweder finanziell oder auch als Gesellschafter in Form von Bürgerenergiegenossenschaften an der Energiewende, die unter anderem Wind- oder Solaranlagen betreiben und klimafreundliche Konzepte durch eine Kombination für eine Wärme- und Gasversorgung entwickeln. Im Vordergrund steht dabei der Mehrwert für die Bürger und ihre Region. Finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten können darüber hinaus auch als Möglichkeit verstanden werden, die Kommunikation zwischen Netzbetreiber und den betroffenen Bürgern zu verbessern und eine frühzeitige Mitsprache bei der Planung neuer Trassen zu garantieren. Damit können langwierige rechtliche Auseinandersetzung vermindert werden. Die Akzeptanz ist schließlich unabdingbare Voraussetzung für den beschleunigten Netzausbau.
Az.: II/3 811-00/8