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Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 356/2004 vom 13.04.2004
Einsatz von dieselbetriebenen Lastwagenkühlaggregaten
1. Entscheidet anstelle des Rates ein Ausschuss über die Behandlung der im Aufstellungsverfahren eingegangenen Anregungen und sieht sich der Rat an diese Entscheidung gebunden, ist das Abwägungsgebot verletzt.
2. Eine Immissionsprognose ist keine hinreichende Grundlage für eine gerechte Abwägung der durch die Planung berührten Belange, wenn die Einhaltung der Voraussetzungen, auf denen die Prognose beruht, nicht durch die Festsetzungen des Bebauungsplans oder auf andere Weise gesichert ist.
3. Für eine Festsetzung, nach der in der ersten Bauphase an einer bestimmten Stelle eine lückenlose Bebauung von bestimmter Länge herzustellen ist, enthält § 9 BauGB keine Ermächtigungsgrundlage.
4. Die Festsetzung, wonach in einem Baugebiet der Einsatz von dieselbetriebenen Lastwagenkühlaggregaten unzulässig ist, kann nicht auf § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB gestützt werden, da die Regelung nicht als bauliche oder sonstige technische Vorkehrung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist.
OVG NRW, Beschl. v. 16.10.2003 10 a B 2515/02.NE
Aus den Gründen:
Die Antragsteller wandten sich mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen einen Bebauungsplan, der in unmittelbarer Nähe ihrer jeweils mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücke, die selbst außerhalb des Planbereichs liegen, Gewerbe- und Industriegebietsflächen festsetzt. Der Bebauungsplan soll unter anderem die umfangreiche Erweiterung eines vorhandenen gartenbaulichen Absatzmarktes mit 24-Stunden-Betrieb ermöglichen. Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO hatte Erfolg.
Der Bebauungsplan Nr.
der Antragsgegnerin ist unwirksam, da er an Abwägungsmängeln leidet, die auch erheblich im Sinne des § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB sind. Der Plan genügt nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 6 BauGB, wonach die öffentlichen und privaten Belange untereinander und gegeneinander gerecht abzuwägen sind.
Die dem Bebauungsplan zu Grunde liegende Abwägungsentscheidung ist bereits deshalb fehlerhaft, weil sie im Hinblick auf die im Aufstellungsverfahren eingegangenen Anregungen der Bürger und der Träger öffentlicher Belange nicht durch den Rat, sondern durch den Ausschuss für Planung, Verkehr und Umwelt getroffen worden ist.
Die abschließende Prüfung der im Aufstellungsverfahren eingegangenen Anregungen ist Teil des Abwägungsvorganges und fließt in das Abwägungsergebnis ein. Die abschließende Entscheidung über die Behandlung der Anregungen obliegt daher dem Rat. Werden die im Aufstellungsverfahren eingegangenen Anregungen dem Rat vorenthalten oder aus anderen Gründen nicht in die Abwägung des Rates eingestellt, so liegt ein Fehler bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials und - je nach den Umständen des Einzelfalles - auch ein Fehler bei der Gewichtung der zu berücksichtigenden Belange vor. Entscheidet anstelle des Rates ein Ausschuss über die Behandlung der im Aufstellungsverfahren eingegangenen Anregungen und sieht sich der Rat an diese Entscheidung gebunden, ist das Abwägungsgebot verletzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1999 - 4 CN 12.98 -, BRS 62 Nr. 45; OVG NRW, Urteile vom 11.12.2001 - 10a D 214/98.NE -, vom 03.09.2003 - 7a D 47/02.NE - und vom 09.10.2003 - 10a D 55/01.NE -).
So ist es hier. Nach den Aufstellungsvorgängen hat sich der Rat weder in der Sitzung, in der er den Bebauungsplan als Satzung beschlossen hat, noch zu einem früheren Zeitpunkt im Einzelnen mit den Anregungen der Bürger und der Träger öffentlicher Belange befasst. Vielmehr hat er insoweit die Abwägungsentscheidung dem Ausschuss für Planung, Verkehr und Umwelt überlassen.
Der Bebauungsplan Nr.
der Antragsgegnerin ist aus einem weiteren Grunde abwägungsfehlerhaft.
Bei der Abwägung waren neben den Betriebsinteressen der vorhandenen und künftig im Plangebiet angesiedelten gewerblichen Unternehmen auch die Anforderungen an die Wahrung gesunder Wohnverhältnisse (§ 1 Abs. 5 Nr. 1 BauGB) im Hinblick auf die in der Nähe des Plangebiets gelegenen Wohngrundstücke zu berücksichtigen und etwaige planbedingte Konflikte zwischen diesen Belangen zu lösen. Die Festsetzung eines Sondergebiets für einen gartenbaulichen Absatzmarkt mit 24-Stunden-Betrieb sowie mehrerer Gewerbe- und Industriegebietsflächen in der Nachbarschaft zu der außerhalb des Plangebiets gelegenen Wohnsiedlung schafft im Hinblick auf das Interesse an optimierten und von behindernden Lärmvermeidungsmaßnahmen freien Betriebsabläufen einerseits und dem Wunsch nach weitgehend ungestörter Wohnruhe andererseits Nutzungskonflikte, die durch den Bebauungsplan nicht gelöst werden.
Grundsätzlich hat jeder Bebauungsplan die von ihm geschaffenen oder ihm sonst zurechenbaren Konflikte zu lösen. Das Gebot der Konfliktbewältigung hat seine rechtliche Wurzel im Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB und besagt nicht mehr, als dass die von der Planung berührten Belange in einen gerechten Ausgleich gebracht werden müssen. Die Planung darf nicht dazu führen, dass Konflikte, die durch sie hervorgerufen werden, zu Lasten Betroffener letztlich ungelöst bleiben. Dies schließt eine Verlagerung von Problemlösungen aus dem Bauleitplanverfahren auf nachfolgendes Verwaltungshandeln indes nicht zwingend aus. Von einer abschließenden Konfliktbewältigung im Bebauungsplan darf die Gemeinde Abstand nehmen, wenn die Durchführung der als notwendig erkannten Konfliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der Verwirklichung der Planung sichergestellt ist. Die Grenzen zulässiger Konfliktverlagerung sind jedoch überschritten, wenn bereits im Planungsstadium sichtbar ist, dass sich der offen gelassene Interessenkonflikt auch in einem nachfolgenden Verfahren nicht sachgerecht lösen lassen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.07.1994 - 4 NB 25.94 -, BRS 56 Nr. 6).
Das Schallgutachten ist von einer bestimmten Anordnung von Gebäuden im Sondergebiet ausgegangen, die einer von der Betreiberin des gartenbaulichen Absatzmarktes angedachten Bebauungsvariante entsprach und in der Anlage zum Gutachten dargestellt ist. Die Höhe dieser Gebäude ist von den Gutachtern mit 7 m, die Höhe der nordöstlichen Giebelwand des Gebäudes A, welches der Wohnsiedlung am nächsten liegt, mit mindestens 9 m in die Berechnung eingestellt worden. Die Westfassade des Gebäudes A sei vollständig geschlossen zu gestalten. Weiterhin haben die Gutachter vorausgesetzt, dass eine südwestliche Umfahrung des Gebäudes A ausgeschlossen und im Bereich des Gebäudes A sowie auf dem Betriebsgelände zwischen den Gebäuden A und B jegliche gewerbliche Tätigkeit in der Nachtzeit zwischen 22.00 und 6.00 Uhr unterlassen werde. Zu dieser gewerblichen Tätigkeit gehöre auch Fahr- und Rangierverkehr sowie das Abstellen von Lkw mit laufenden Kühlaggregaten. Die Lagerung von Leergut müsse im Bereich des Gebäudes B durchgeführt werden, wodurch nur kurze Fahrwege für Stapler oder Handwagen entstünden. Der Staplerverkehr oder der Einsatz von Handhubwagen außerhalb der Betriebsgebäude erfolge in der Regel nur tagsüber. Dieselbetriebene Lastwagenkühlaggregate dürften nicht zum Einsatz kommen. Ebenso wenig dürften Fahrzeuge innerhalb der Nachtzeit für längere Zeit im Leerlauf betrieben werden. Das Befahren von oberen Etagen oder der Dächer mit Lkw oder Pkw sei nicht geplant. Auf den südlich des Sondergebiets festgesetzten Gewerbe- und Industriegebietsflächen würden nur Betriebe angesiedelt, die nicht zu einer Erhöhung der Geräuschimmissionen in der Nachbarschaft beitrügen. Die Gutachter haben angenommen, dass der wesentliche Teil dieser Voraussetzungen durch einen städtebaulichen Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Betreiberin des gartenbaulichen Absatzmarktes geregelt werde.
Letzteres ist offenbar nicht geschehen. Bei den Aufstellungsvorgängen befindet sich kein städtebaulicher Vertrag dieser Art. Dem Ausschuss für Planung, Verkehr und Umwelt lag er in der Sitzung am 08.03.2000, in der über die Behandlung der im Aufstellungsverfahren eingegangenen Anregungen der Bürger und der Träger öffentlicher Belange abschließend beraten wurde, nicht einmal in der Entwurfsfassung vor, die dem Schallgutachten zu Grunde lag. Der Ausschuss ging davon aus, dass die Einhaltung der einschlägigen Orientierungswerte auch ohne den städtebaulichen Vertrag gewährleistet sei.
Diese Annahme ist unrichtig. Mit den zum Schutz der Wohnbebauung vor schädlichen Umwelteinwirkungen getroffenen Festsetzungen hat der Rat den zu erwartenden Konflikt zwischen der vorhandenen Wohnbebauung und der durch den Plan ermöglichten gewerblichen Nutzung nicht hinreichend gelöst. Die fraglichen Festsetzungen des Bebauungsplans sind entgegen der Annahme des Rates nicht geeignet, den Schutz der Wohnbebauung vor dem im Plangebiet verursachten Gewerbelärm zu gewährleisten, denn sie sind in wesentlichen Teilen unwirksam.
Dies gilt zunächst für die textlichen Festsetzungen 7a und 7d, wonach in dem SO-Gebiet und dem mit N2* bezeichneten GI-Gebiet die baulichen Anlagen auf der Baulinie lückenlos aneinander gebaut werden müssen und die Realisierung einer solchen lückenlosen Bebauung von 120 m Länge in der ersten Bauphase zu erfolgen hat. Für das in diesen Festsetzungen enthaltene Baugebot gibt es keine Ermächtigungsgrundlage. § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB ist insoweit nicht einschlägig, da sich die Festsetzungen auf künftig zu errichtende Betriebsgebäude bezieht, bei denen es sich nicht um bauliche oder sonstige technische Vorkehrungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder zur Vermeidung beziehungsweise Minderung solcher Einwirkungen handelt. Die genannten Festsetzungen widersprechen zudem den Festsetzungen über die zulässige Bauweise, so dass die Regelungen unbestimmt sind. Sowohl im SO-Gebiet als auch in dem mit N2* bezeichneten GI-Gebiet sind die Gebäude nach den Festsetzungen über die zulässige Bauweise mit seitlichem Grenzabstand zu errichten. Der Plangeber ist offensichtlich davon ausgegangen, dass die festgesetzte Baulinie auf einem Betriebsgrundstück liegt. Das ist aber - insbesondere im Hinblick auf die jederzeit mögliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse - in keiner Weise gesichert. Schließlich fehlt es auch an hinreichenden städtebaulichen Gründen für die textlichen Festsetzungen 7a und 7d, denn sie sind ungeeignet, die mit ihnen bezweckte Lärmabschirmung zu gewährleisten. Die Höhe der vorgeschriebenen lückenlosen Bebauung ist nicht festgesetzt, obwohl im Schallgutachten eine Mindesthöhe der südwestlichen Außenwand von 7 m und der nordöstlichen Giebelwand von 9 m vorausgesetzt worden ist. Der Plan sieht hingegen lediglich eine Maximalhöhe der dort zulässigen baulichen Anlagen vor.
Die festgesetzte Baulinie, die die Grundlage für die textlichen Festsetzungen 7a und 7d darstellt, ist ihrerseits insoweit unbestimmt, als unklar ist, für welche Flächen sie gelten soll. Zwischen der Baulinie und der Baugrenze an der Planstraße A liegt eine überbaubare Grundstücksfläche mit bis zu 340 m Tiefe, die sich - jedenfalls in der Zukunft - in verschiedene Betriebsgrundstücke unterteilen lässt.
Auch für die textliche Festsetzung 7c, wonach im gesamten Bebauungsplangebiet der Einsatz von dieselbetriebenen Lastwagenkühlaggregaten sowie auf den Flächen zwischen dem Lärmschutzwall und der Baulinie sowie dem Lärmschutzwall und der westlichen Baugrenze des mit N1 bezeichneten GE-Gebietes betrieblicher Fahrverkehr nicht zulässig ist, fehlt ebenfalls die Ermächtigungsgrundlage. Beide Regelungen sind nicht als "bauliche oder sonstige technische Vorkehrungen" im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB anzusehen.
Soweit die textliche Festsetzung 7 vorsieht, dass in dem SO-Gebiet, in dem mit N1* bezeichneten GI-Gebiet sowie in den mit N1 und N2* bezeichneten GE-Gebieten im Baugenehmigungs- beziehungsweise Zulassungsverfahren gutachterlich nachzuweisen sei, dass die der Abwägung zu Grunde liegenden schalltechnischen Orientierungswerte der DIN 18005 in Bezug auf das benachbarte Wohngebiet - 55 dB(A) tags und 45 beziehungsweise 40 dB(A) nachts - eingehalten werden, dürfte es sich um unzulässige "Zaunwerte" handeln. Derartige "Zaunwerte" legen fest, dass die Schallpegel, die von der Gesamtheit aller Betriebe und Anlagen in einem bestimmten Gebiet ausgehen, an einer näher festgelegten räumlichen Grenzlinie ("Lärmzaun") bestimmte Werte nicht überschreiten dürfen.
Ein solcher "Zaunwert" als Summenpegel ist ungeeignet, umgesetzt zu werden, weil er - anders als ein immissionswirksamer flächenbezogener Schallleistungspegel - nicht bestimmt, welche Emissionen von einer einzelnen Anlage oder einem einzelnen Betrieb ausgehen dürfen. Zulässig könnte der "Zaunwert" allenfalls dann sein, wenn es in der konkreten Situation, die der Plan ordnet, nach den Festsetzungen ausgeschlossen wäre, dass "hinter dem Lärmzaun" mehr als eine Anlage oder mehr als ein Betrieb als potenzieller Lärmverursacher entstehen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.1999 - 4 CN 7.98 -, BRS 62 Nr. 44).
Az.: II/1 620-01