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Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft
StGB NRW-Mitteilung 310/1998 vom 20.06.1998
Energiewirtschaftsnovelle in Kraft
Nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 28.04.1998 (BGBl I, S. 730) ist das umstrittene "Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts" i.d.F. vom 28.11.1997 am 29.04.1998 in Kraft getreten.
Die Novelle wird weitgehende Auswirkungen auf die Energieversorgungswirtschaft und damit auch auf kommunale Versorgungsunternehmen haben. Dies soll zum Anlaß genommen werden, die wesentlichen Neuregelungen zusammenzufassen und einen Ausblick auf zukünftigen Handlungsbedarf zu werfen.
1. Das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts
1.1. Regelungsgegenstände der Novelle im Überblick
Das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts ist ein Artikelgesetz mit fünf Artikeln. Art. 1 beinhaltet ein neues Energiewirtschaftsgesetz, mit dem der europarechtliche Rahmen in bundesdeutsches Recht umgesetzt wird. Zugleich ersetzt es das aus dem Jahre 1935 datierende alte Energiewirtschaftsgesetz. Art. 2 enthält eine Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Die bisherigen kartellrechtlichen Freistellungen für die Elektrizitäts- und Gaswirtschaft werden aufgehoben; Konzessionsverträge mit Ausschließlichkeitsbindung und Demarkationsabsprachen werden damit nicht mehr zulässig sein. Art. 3 ändert weitere Gesetze, erschöpft sich jedoch nahezu ausschließlich in einer Novelle des Stromeinspeisungsgesetzes. Auch zukünftig muß jedes öffentliche Elektrizitätsversorgungsunternehmen den in seinem Versorgungsgebiet aus regenerativen Energiequellen (Wasser, Wind, Sonne, Deponie- und Klärgas, Biomasse) gewonnenen Strom zu übernehmen und dafür 65 % bis 90 % des durchschnittlichen Letztverbraucherpreises vergüten. Neu ist eine Härteklausel, nach der die Abnahme- und Vergütungspflicht entfällt, wenn die Stromeinspeisung 5 % des Stromabsatzes des betroffenen Versorgungsunternehmens bzw. des vorgelagerten Netzbetreibers übersteigt oder zu einer unbilligen Härte führen würde. Spätestens 1999 sollen die Auswirkungen dieser Härteklausel überprüft werden. Art. 4 enthält Schutzklauseln und Übergangsvorschriften, insbesondere für die Weitergeltung laufender Konzessionsverträge und darin vereinbarter Konzessionsabgaben. Letztere sollen trotz des Wegfalls des ausschließlichen Versorgungs- und Leitungsrechts in voller Höhe erhalten bleiben. Zum Schutz inländischer Elektrizitätsversorgungsunternehmen vor ausländischen, durchleitungsbegehrenden Konkurrenten kann diesen bis zum Jahre 2006 der Netzzugang verweigert werden, wenn in deren Heimatländern nicht im Gegenzug die Versorgung durch deutsche Unternehmen aufgenommen werden kann. Eine Durchleitungsverweigerung wird auch im Interesse einer ausreichend hohen Verstromung von Braunkohle in den neuen Bundesländern einschließlich Berlins als grundsätzlich zulässig anerkannt. In Art. 5 schließlich finden sich die üblichen Bestimmungen zum Inkrafttreten des neuen Rechts und Außerkrafttreten damit überholter Vorschriften. Allgemeine Übergangsfristen für die Deregulierung des Energiemarktes sind nicht vorgesehen. Eine nach europäischem Recht zulässige stufenweise Öffnung des Energiemarktes wird somit nicht stattfinden, der Wettbewerb wird in vollem Umfang freigegeben.
1.2 Das novellierte Energiewirtschaftsgesetz
Erklärtes Ziel der Novelle ist eine sichere, preisgünstige, und möglichst umweltverträgliche Elektrizitäts- und Gasversorgung (§ 1), verbunden mit einer Betonung der Nutzung der Kraft/Wärme Kopplung und der regenerativen Energien für die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung (§ 2). Staatliche Eingriffsmöglichkeiten werden reduziert. Damit einhergehend wird die Zulassungskontrolle bei der Aufnahme der öffentlichen Energieversorgung eingeschränkt (§ 3). Neben der Netzzugangskontrolle besteht auch die energiewirtschaftliche Preisaufsicht nur für den Bereich der Stromversorgung (§ 11). Das Bundeswirtschaftsministerium kann die Gestaltung der allgemeinen Tarife der Elektrizitätsversorgungsunternehmen durch Rechtsverordnung regeln und die Strompreise der Tarifabnehmer von einer Genehmigung abhängig machen. Hierbei können Aufwendungen eines Versorgungsunternehmens für sparsame und rationelle Verwendung von Strom bei den Abnehmern im Rahmen der Tarifgenehmigung berücksichtigt werden (§ 11 Abs. 1). Die allgemeine Anschluß- und Versorgungspflicht bleibt bestehen (§ 10). Unterschiedliche allgemeine Tarife für das Gemeindegebiet sind grundsätzlich nicht zulässig (§ 10 Abs. 1 S. 3).
Die §§ 4 bis 9 des neuen Energiewirtschaftsgesetzes regeln den Betrieb von Elektrizitätsversorgungsnetzen, den Netzzugang und die Rechnungslegung der Elektrizitätsversorgungsunternehmen. (Anm.: Entsprechende Bestimmungen für die Gassparte fehlen noch. Gleichwohl wird die Streichung der §§ 103 GWB auch die Geschlossenheit der Gasversorgungsgebiete beseitigen. Mangels eines speziellen Durchleitungstatbestandes greift derzeit allein die allgemeine Mißbrauchsaufsicht des § 22 Abs. 4 GWB sowie das Diskriminierungsverbot des § 26 Abs. 2 GWB. Im Zuge einer Novelle des GWB ist mit einem ausdrücklichen und generellen Netzzugangsverweigerungsverbot zu rechnen, das auch für Gas gelten wird. Ein speziell durch die künftige EU- Binnenmarktrichtlinie Gas geregelter Durchleitungsverweigerungstatbestand wegen langfristiger Abnahmeverpflichtungen aus "take or pay- Verträgen" bedarf allerdings noch einer ausdrücklichen Umsetzung in nationales Recht.)
Hervorzuheben ist, daß die Novelle die Beschränkung der EU- Richtlinie auf bestimmte "zugelassene" Kundengruppen nicht übernimmt, sondern den Wettbewerb für alle Kundengruppen freigibt. Hierbei soll der verhandelte Netzzugang der Grundsatz, das Alleinabnehmersystem hingegen die (genehmigungsbedürftige) Ausnahme sein. Die Netzbenutzungstarife der Alleinabnehmer sind von der Energieaufsichtsbehörde zu genehmigen und von den Unternehmen zu veröffentlichen (§ 7 Abs. 3). Das Stromnetz steht den Durchleitungsbegehrenden grundsätzlich zu Bedingungen zur Verfügung, die nicht ungünstiger sind als diejenigen, die für Lieferungen des Netzbetreibers innerhalb seines Unternehmens oder an verbundene Unternehmen gelten. Städte und Gemeinden müssen ihre öffentlichen Verkehrswege den Energieversorgungsunternehmen diskriminierungsfrei für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zur Verfügung zu stellen. Dies soll weiterhin im Rahmen von Wegenutzungsverträge zur Versorgung von Letztverbrauchern geschehen, die höchstens für eine Laufzeit von 20 Jahren abgeschlossen werden dürfen (§ 13). Aus betriebsbedingten Gründen, insbesondere mangelnder Netzkapazität, kann der Netzzugang verweigert werden. Betriebsbedingte Gründe der Netzzugangsverweigerung können auch in einer drohenden Unwirtschaftlichkeit von Kraft/Wärme Kopplungsanlagen (§ 6 Abs. 3) liegen. Städte und Gemeinden werden auch künftig über Wegenutzungsverträge Konzessionsabgaben erheben dürfen (§14). Konzessionsabgabenpflichtig sind auch Energielieferungen mittels Durchleitung an Letztverbraucher im Gemeindegebiet.
2. Fazit
Nicht alle im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erhobenen berechtigten Einwendungen der kommunalen Seite haben zu inhaltlichen Veränderungen geführt. Mit den fehlenden Übergangsregelungen zur schonenden Marktöffnung kann man nicht zufrieden sein. Ein deklaratorisches Bekenntnis des Deutschen Bundestages zur umfassenden kommunalen Regelungskompetenz im örtlichen Energiewesen hätte man sich eindeutiger und darüber hinaus im Gesetz direkt und nicht in einer externen Entschließung gewünscht. Zu konstatieren ist jedoch, daß die erheblichen Anstrengungen der kommunalen Spitzenverbände auf Bundes- wie auf Landesebene auch wesentliche Verbesserungen im kommunalen Sinne zur Folge hatten.
Zu nennen ist hier vorrangig die weitgehende Sicherung des bundesweit auf 6 Milliarden DM geschätzten Konzessionsabgabenaufkommens. Zunächst bleibt die Höhe der jeweils vereinbarten Konzessionsabgabe unverändert. Es liegt jedoch in der Kompetenz des Bundeswirtschaftsministeriums die Höchstsätze zu ändern. Da der Wegfall der Ausschließlichkeit im Rahmen des Konzessionsverhältnisses dessen Werthaltigkeit für die Versorgerseite beeinträchtigt hat, ist damit zu rechnen, daß über kurz oder lang die Diskussion über die Berechtigung der Höchstsätze eröffnet wird. Diese wird spätestens anstehen, wenn die allgemeine Preisentwicklung eine Erhöhung der Höchstsätze nahelegt. Es mag sich dann für die Städte und Gemeinden als vorteilhaft erweisen, daß die Entscheidung des BMWI an eine Zustimmung des Bundesrates geknüpft ist. Als Erfolg darf auch verbucht werden, daß nunmehr die Pflicht zur Zahlung der vollen Konzessionsabgabe auch im vertragslosen Zustand gesetzlich geregelt ist, wenn auch nur für einen Zeitraum von einem Jahr nach Ablauf des Konzessionsvertrages. Damit werden Städte und Gemeinden nicht mehr darauf verwiesen sein, ihr berechtigtes Interesse an der fortgesetzten Konzessionsabgabenzahlung - mit ungewissem Ausgang - gerichtlich geltend zu machen.
Auch konnte den Bestrebungen der Regional- und Verbundunternehmen, differenzierte allgemeine Tarife in einheitlichen Versorgungsgebieten durchzusetzen, ein Riegel vorgeschoben werden. Zwar sind unterschiedliche Tarife in verschiedenen Gemeindegebieten nicht vollkommen ausgeschlossen, jedoch sind den Versorgern hohe Hürden gesteckt. So muß eine Preisdifferenzierung zunächst sachlich gerechtfertigt sein, wobei anzumerken ist, daß sich Sachgründe aus Versorgersicht wohl reichhaltig werden finden lassen. Wesentlich ist jedoch, daß mit einer Differenzierung keinerlei Preiserhöhung einhergehen darf, somit nur die Preissenkung als Instrument zur Verfügung steht. Dies dürfte den Enthusiasmus der privaten Energiewirtschaft zur Einführung unterschiedlicher allgemeiner Tarife deutlich senken, zumal sich etwaig bestehende Preisunterschiede noch an einem generellen Zumutbarkeitskriterium, bezogen auf das gesamte Versorgungsgebiet, werden messen lassen müssen. Der zentralen kommunalen Forderung, daß ein neuer ordnungsrechtlicher Rahmen der Energiewirtschaft allen Verbrauchern zugute kommen müsse, ist damit entsprochen.
Weiterhin wurde der Forderung nach einem Alleinabnehmersystem in der Novelle Rechnung getragen. Aus Sicht kommunaler Versorgungsunternehmen sind mit dieser Netzzugangsvariante erhebliche Vorteile verbunden. Angeführt wird hier vor allem die ununterbrochene unmittelbare Lieferbeziehung zum Kunden. Der Alleinabnehmer als vertraglicher Versorger habe von vornherein eine bessere Ausgangsposition, um seinen Großkunden zusätzliche Versorgungsangebote vorzulegen, z.B. neben einer von einem Dritten übernommenen Grundbelieferung auch die notwendige Zusatzversorgung für den Restbedarf und die Notfallreserve. Des weiteren könnten zusammengefaßte Energiedienstleistungen zur Unterstützung wirtschaftlicher Energieverwendung im Zusammenhang mit der aufrechterhaltenen direkten Lieferbeziehung angeboten werden. Andererseits ist die Alleinabnehmervariante als untaugliches Wettberwerbsinstrument bezeichnet und der von ihr zu erwartende Wettbewerbsvorteil als marginal eingeschätzt worden. Welche dieser Auffassungen sich bestätigt, kann derzeit nicht prognostiziert werden und muß der weiteren Entwicklung überlassen bleiben. Es ist deshalb grundsätzlich hinnehmbar, daß die Auswirkungen des Alleinabnehmersystems im Jahre 2003 nochmals überprüft werden sollen. Es wäre nicht sinnvoll, an einer Zugangsvariante festhalten, die sich als nicht praxistauglich erweist. Deshalb kann auch das zwischen verhandeltem Netzzugang und Alleinabnehmersystem bestehende Regel / Ausnahmeprinzip, den Erfolg nicht schmälern, daß es schließlich doch noch gelungen ist, der Kommunalwirtschaft diese Wettbewerbsvariante zu eröffnen.
Die besondere Bedeutung der Kraft/Wärme Kopplung konnte, nicht zuletzt im Interesse der kommunalen Stadtwerke, stark akzentuiert werden. Netzzugangsverweigerungen können auf die Unzumutbarkeit externer Versorgung wegen nachteiliger Auswirkungen auf den Wirtschaftlichkeitsgrad der eigenen Erzeugungsanlagen gestützt werden. Die inhaltliche Ausfüllung des Zumutbarkeitskriteriums wird, mangels näherer gesetzlicher Definition, voraussichtlich den Kartellbehörden und der Rechtsprechung überlassen bleiben, weshalb erst mittelfristig Rechtssicherheit erwartet werden darf. Die Installierung dieses Abwehrmechanismus zugunsten ökologisch sinnvoller kommunaler Energierzeugung kann jedoch schon als respektabler Teilerfolg angesehen werden. Dies gilt, unter dem Gesichtspunkt der Stärkung der Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer im Allgemeinen und der dort belegenen Stadtwerke im Besonderen, auch für den "Braunkohlevorbehalt", der eine Netzzugangsverweigerung auch ermöglicht, wenn eine ausreichend hohe Verstromung von Braunkohle nicht gewährleistet ist.
3. Ausblick
Das neue Energiewirtschaftsgesetz wird nicht nur die kommunale Energieversorgungswirtschaft, sondern auch die Städte und Gemeinden vor neue Herausforderungen stellen. So wird es u.a. nötig sein, die bestehenden Konzessionsverträge im Hinblick auf die neue Gesetzeslage umzustellen. Die Hauptgeschäftsstelle plant, zu diesem Thema einen Erfahrungsaustausch und gegebenfalls die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zu organisieren.
Gleichzeitig müssen neue Varianten des Marktverhaltens für kommunale Energieversorger unterstützt werden, etwa nach dem Beispiel einer Einkaufsgesellschaft für Energiebezug in Schleswig/Holstein. Hier gilt es, kommunale Mitentscheidungs- und Kontrollrechte zu sichern.
Mit einiger Sicherheit läßt sich vorhersagen, daß die Regionalversorgungsunternehmen versuchen werden, die Höhe von Konzessionsabgaben zu drücken und differenzierte Preise in geschlossenen Versorgungsgebieten durchzusetzen. Es liegt auf der Hand, daß in erster Linie der ländliche Raum mit relativ wenigen Tarifkunden das Ziel solcher Maßnahmen sein wird. Das kommunale Lager muß darauf vorbereitet sein, solchen Vorstößen durch rasches und solidarisches Verhalten öffentlichkeitswirksam entgegenzutreten. Die Bundesregierung muß an ihrer Zusage, daß die Höhe der Konzessionsabgabe unangetastet bleibt, festgehalten werden.
Nicht auszuschließen sind ferner horizontale kommunale Kompetenzkonflikte, die sich am Vordringen von Stadtwerken auf das Gebiet anderer Städte und Gemeinden entzünden. Das neue Energiewirtschaftsrecht erlaubt derartiges Wettberwerbsverhalten grundsätzlich.
4. Verfassungsklage gegen das Energiewirtschaftsgesetz
Die Opposition und einige Bundesländer haben beschlossen, das Energiewirtschaftsgesetz verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen, weil die Ausschaltung des Bundesrates bei einem Gesetzgebungsverfahren, das eine völlige Neuordnung der Strom- und Gaswirtschaft zur Folge hat, die Verfassungsrechte des Ländergremiums eindeutig verletzt habe. Der Bundesrat hatte das Energiewirtschaftsgesetz in seiner Stellungnahme mehrheitlich abgelehnt, weil er u.a. wesentliche Rechte der Kommunen gefährdet sah. Unabhängig vom Ausgang der Klage müssen sich die Stadtwerke jedoch weiter fit für den kommenden Wettbewerb machen. Der Markt wird seine Eigendynamik entwickeln und deshalb ist eher Schnelligkeit und Flexibilität als Größe und Unbeweglichkeit gefragt. Neben ihrer Kundennähe müssen die Stadtwerke gerade diese Vorteile ausspielen.
Az.: 811-00