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Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser
StGB NRW-Mitteilung 275/1999 vom 20.04.1999
Erlaß zu Überschwemmungsgebieten
Das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen hat einen Erlaß zu den Überschwemmungsgebieten herausgegeben. Auslöser ist die Sechste Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 11.11.1996. Hierdurch sind die Regelungen zur Vorsorge gegen Hochwasser in den §§ 1a und 32 Wasserhaushaltsgesetz verschärft worden. Im einzelnen führt das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft in seinem Erlaß aus:
"Zum Vollzug des § 32 WHG sind in jüngster Zeit verschiedene Fragen an mein Haus herangetragen worden. Aus diesem Anlaß bitte ich, folgende Vollzugshinweise zu beachten:
Die 6. Novelle des WHG hat die Regelungen zum Schutz vor Hochwasser deutlich verschärft. Die Regelung des § 32 Abs. 1 Satz 1 WHG definiert, welche Gebiete Überschwemmungsgebiete im Sinne des Gesetzes sind. Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG sind die - in § 32 Abs. 1 Satz 1 WHG definierten - Überschwemmungsgebiete (1.) in ihrer Funktion als natürliche Rückhalteflächen zu erhalten; soweit dem überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit (2.) entgegenstehen, sind rechtzeitig die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen (3.) zu treffen. Das Gesetz läßt also eine Ausnahme von dem in § 32 Abs. 2 Satz 1 1. HS WHG normierten Gebot der Erhaltung von Rückhalteflächen nur zu, soweit für ein Vorhaben überwiegende Gründe des Wohl der Allgemeinheit sprechen und rechtzeitig die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen getroffen werden. Der Belang ist in allen Verfahren, die ein Überschwemmungsgebiet betreffen, zu beachten (4.).
1. Anwendungsbereich
Das Gebot des § 32 Abs. 2 WHG setzt nicht voraus, daß ein Überschwemmungsgebiet i.S. des § 32 Abs. 1 WHG oder Teile davon nach § 32 Abs. 1 Satz 2 WHG festgesetzt worden sind. Überschwemmungsgebiete i.S. des § 32 Abs. 1 Satz 1 WHG sind auch ohne förmliche Festsetzung in ihrer Funktion als natürliche Rückhalteflächen zu erhalten. Die Festsetzung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 WHG wird zukünftig nicht entbehrlich, da auch weiterhin aus Gründen der Bestimmtheit die Gebiete in ihren Grenzen parzellenscharf festgelegt sein müssen. Sie ist ferner erforderlich, um nach der noch bestehenden landesgesetzlichen Vorgabe der §§ 112, 113 des Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LWG) eine wasserrechtliche Genehmigungspflicht für bestimmte Maßnahmen zu begründen.
2. Überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit
Ob überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit der Erhaltung der Überschwemmungsgebiete in ihrer Funktion als natürliche Rückhalteflächen entgegenstehen, ist durch Abwägung zu ermitteln. Zunächst ist der Belang des § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG zu gewichten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber nach den Hochwasserereignissen der 90er Jahre mit der Neufassung des § 32 Abs. 2 WHG der Erhaltung von Überschwemmungsgebieten gegenüber anderen Belangen des öffentlichen Wohls wie der Schaffung von Wohnraum ein besonderes Gewicht verleihen will. Weiter ist zu berücksichtigen, daß dieses Anliegen des Gesetzgebers nicht nur im Wasserrecht zum Ausdruck gekommen ist, sondern auch im Planungsrecht. Im Sinne der nachhaltigen Raumentwicklung ist in § 2 Absatz 2 Nr. 8 Satz 7 Raumordnungsgesetz (ROG) festgelegt, daß für den für den vorbeugenden Hochwasserschutz zu sorgen ist, vor allem durch die Sicherung und Rückgewinnung von Auen, Rückhalteflächen und überschwemmungsgefährdeten Bereichen. Auch Ziel B III. 4.25 des Landesentwicklungsplans Nordrhein-Westfalen vom 11.05.1995 fordert, daß Überschwemmungsgebiete und Talauen der Fließgewässer als natürliche Retentionsräume zu erhalten und zu entwickeln sind. Nach den Erläuterungen unter Ziff. 4.36 darf in der Gebietsentwicklungsplanung innerhalb der natürlichen Überschwemmungsbereiche keine weitere Inanspruchnahme von Freiraum zugunsten von Siedlungserweiterungen erfolgen. Ich verweise insofern auf meinen Erlaß von 07.04.1998 (VI A 5/VI B 4 - 73.14.03).
Bei kleineren Maßnahmen ist zu berücksichtigen, daß diese für sich genommen zwar nur zu einer geringen Beeinträchtigung des Hochwasserabflusses führen mögen, aber sich derartige Maßnahmen erfahrungsgemäß addieren, so daß der Belang des § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG auch bei kleineren Maßnahmen nicht von vornherein nur mit geringem Gewicht betroffen sind. Lediglich bei Maßnahmen, die keinerlei Auswirkungen auf die von § 32 verfolgten Zielsetzungen haben, ist das Gebot des § 32 Abs. 2 WHG nicht zu beachten. § 32 WHG schützt neben Wasserabfluß, Wasserrückhaltung und Wasserqualität auch die ökologischen Strukturen der Gewässer und ihrer Überflutungsflächen. Nicht nur die Fläche selbst, sondern auch die Qualität der Fläche soll unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor Überschwemmungen erhaltene und verbessert werden.
Dann sind in einem zweiten Schritt die für die Planung oder das Vorhaben sprechenden Gründe des Allgemeinwohls zu gewichten. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob es alternative Standorte gibt. Der beabsichtigte Ausgleich ist bei der Abwägung nicht relevant. Erst wenn die Abwägung ergeben hat, daß im Einzelfall Gründe des Allgemeinwohls den Belang des vorbeugenden Hochwasserschutz überwiegen, sind die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu treffen.
3. Ausgleichsmaßnahmen
Ausgleichsmaßnahmen sind gleichzeitig mit dem Eingriff zu realisieren. Welche Ausgleichsmaßnahmen "notwendig" sind, muß unter Berücksichtigung der gebietsspezifischen Besonderheiten im Einzelfall beurteilt werden. Sollten Ausgleichsmaßnahmen nicht möglich sein, ist das vorhaben unzulässig bzw. der Planung steht der Belang des § 32 Abs. 2 WHG entgegen, ohne daß er zugunsten anderer Belange abgewogen werden kann.
4. Verfahren
das Gebot des § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG ist ein materieller Belang, der in allen Planungsverfahren, die ein Überschwemmungsgebiet betreffen und bei allen Vorhaben im Überschwemmungsgebiet zu berücksichtigen ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und nach welchen Vorschriften die Planung erfolgt bzw. die Vorhaben zugelassen werden. Es wird darauf hingewiesen, daß § 32 WHG eine Konkretisierung des § 1 a Abs. 2 WHG darstellt, der im Rahmen der 6. Novelle des WHG ebenfalls aus Gründen des vorbeugenden Hochwasserschutzes ergänzt worden ist. Als wasserrechtliche Grundsatznormen richtet sich § 1 a Abs. 2 WHG an Vorhabensträger und Behörden gleichermaßen. Die Regelung des § 32 Abs. 2 WHG wird im Rahmen der anstehenden Novelle des Landeswassergesetzes (LWG) landesrechtlich ausgefüllt. Allerdings gilt die Regelung des § 32 Abs. 2 WHG auch ohne Umsetzung durch das LWG unmittelbar.
Az.: II/2 21-00