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StGB NRW-Mitteilung 717/1998 vom 20.12.1998
Erstattung von Sozialhilfeleistungen an Bosnienflüchtlinge
Nach einem Beschluß der Innenministerkonferenz vom 22. Mai 1992 wurden Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina in Deutschland aufgenommen, wenn hier lebende Verwandte und Bekannte, Wohlfahrtsorganisationen oder Kirchen gegenüber der Ausländerbehörde erklärten, Obdach und Lebensunterhalt zu gewähren. Derartige Erklärungen ziehen gem. § 84 des Ausländergesetzes die Verpflichtung nach sich, sämtliche öffentliche Mittel zu erstatten, die von einer öffentlichen Stelle für den Lebensunterhalt des Ausländers aufgewendet werden.
Die Klägern, eine in München lebende Bosnierin, die selbst nur über ein bescheidenes Einkommen verfügt und deren Haushalt sechs Personen umfaßt, hatte im September 1992 die Einreise ihres Bruders und dessen vierköpfige Familie durch die schriftliche Erklärung ermöglicht, deren Lebensunterhalt zu tragen. Aufgrund dieser Erklärung wurde sie zur Zahlung der der Familie ihres Bruders für die Zeit von Oktober 1992 bis Oktober 1993 gewährten Sozialhilfe in Höhe von DM 26.636 herangezogen. Die Klage hatte vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof teilweise Erfolgt. Nach dessen Ansicht besteht ein Erstattungsanspruch nur für den dreimonatigen Zeitraum der Gültigkeit der Einreisevisa; die Verpflichtungserklärung erstrecke sich nicht auf den anschließenden Zeitraum des gemäß dem Beschluß der Innenministerkonferenz lediglich geduldeten Aufenthalts der Flüchtlinge.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die grundsätzliche Erstattungspflicht der Klägerin bejaht. Die von der Klägerin und nicht auch von einem Behördenvertreter unterzeichnete Verpflichtungserklärung genügt als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung der gesetzlich vorgesehenen Schriftform. Inhalt und Reichweite der Erklärung sind nach objektiven Umständen hinreichend bestimmbar; maßgebend ist hier der Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina und dem Beschluß der Innenministerkonferenz vom 22.05.1992. Weder dem Ausländergesetz noch allgemeinen Rechtsgrundsätzen läßt sich entnehmen, daß Verpflichtungserklärungen befristet sein und sich auf einen bestimmten Aufenthaltstitel beziehen müßten; daher ist es insbesondere unschädlich, daß den bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet Duldungen erteilt wurden. Die politische Entscheidung, Bosnienflüchtlingen die Einreise nur bei Vorliegen einer Verpflichtungserklärung nach § 84 des Ausländergesetzes zu gestatten, verstößt weder gegen rechtsstaatliche Grundsätze noch gegen die guten Sitten (§ 138 BGB).
Der angefochtene Bescheid ist dennoch aufgehoben worden, weil die Beklagte gebotene Ermessenserwägungen nicht angestellt hat. Das Ausländergesetz regelt nicht die Frage, ob die Behörde einen Erstattungsanspruch gem. § 84 geltend machen muß oder ob sie insoweit Ermessen auszuüben hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat unter Rückgriff auf den verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und auf gesetzliche Regelungen vergleichbarer Fallgestaltungen entschieden, daß die Behörde in atypischen Fällen nach Ermessen darüber zu entscheiden hat, ob und in welchem Umfang sie den Erstattungspflichtigen heranzieht. Ein solcher Fall liegt hier vor. Zum einen waren die Regeln der Innenministerkonferenz zur Aufnahme von Bosnienflüchtlingen auf Beschleunigung und Vereinfachung des Aufnahmeverfahrens angelegt. Dementsprechend wurde die finanzielle Leistungsfähigkeit der Verpflichtungsgeber im allgemeinen nicht geprüft, so daß es geboten ist, persönlichen Härten bei Erlaß der Heranziehungsbescheide Rechnung zu tragen. Zum anderen waren die finanziellen Lasten, die sich aus der Aufnahme von Bosnienflüchtlingen ergeben konnte, weder für den Einzelnen nicht für die Ausländerbehörden abschätzbar. Indem die zuständigen Behörden dessen ungeachtet Flüchtlingen die Einreise gestatteten, haben sie Mitverantwortung für das damit verbundene Risiko übernommen. Das erfordert die Prüfung, ob es nach Maßgabe aller Umstände gerechtfertigt ist, daß die finanziellen Folgen dieser Risikoentscheidung allein von den Verpflichtungsgebern getragen werden. Im Rahmen der danach gebotenen Ermessensausübung wird nicht nur auf die Besonderheiten der Einzelfälle einzugehen, sondern auch zu berücksichtigen sein, daß die staatliche Fürsorge für die Bosnienflüchtlinge, die - anders als die von der Klägerin unterstützte Familie - ohne Visum eingereist sind, insgesamt von der Allgemeinheit getragen worden ist.
BVerwG 1 C 33.97 - Urteil vom 24.11.1998
Az.: I/1 810-1