Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 457/2020 vom 16.06.2020

EuGH zur Zusammenarbeit bei der Abfallentsorgung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 04.06.2020 (C – 429/19) entschieden, dass eine interkommunale Zusammenarbeit zwischen abfallentsorgungspflichtigen öffentlichen Auftraggebern nur dann vergaberechtsfrei gemäß § 108 Abs. 6 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist, wenn der Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Kooperationsvereinbarung das Ergebnis einer Initiative der Vertragsparteien zur Zusammenarbeit ist und sich die Kooperationsvereinbarung nicht nur darauf beschränkt, dass der eine Vertragspartner den anderen Vertragspartner für die von ihm erbrachten Leistungen bezahlt. Dieses ist – so der EuGH – dann keine vergaberechtsfreie, echte Zusammenarbeit.

Gemäß § 108 Abs. 6 GWB ist eine interkommunale Zusammenarbeit zwischen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern im Bereich der Abfallentsorgung auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung (§§ 23 ff. GkG NRW) ausschreibungsfrei möglich, wenn

  • der geschlossene Vertrag eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern begründet oder erfüllt, um sicherzustellen, dass die von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden,
  • die Durchführung der Zusammenarbeit ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird und
  • die öffentlichen Auftraggeber auf dem Markt weniger als 20 % der Tätigkeiten erbringen, die durch die Zusammenarbeit erfasst sind.

Diese in § 108 Abs. 6 GWB geregelten Voraussetzungen müssen maßgeblich im Lichte der Begründungserwägung Nr. 33 in der EU-Richtlinie 2014/24/EU ausgelegt werden. Hiernach muss die interkommunale Zusammenarbeit auf einem „kooperativen Konzept“ beruhen, d.h. alle teilnehmenden öffentlichen Stellen müssen Beiträge zur Kooperation leisten. Zu beachten ist, dass sich der § 108 Abs. 6 GWB auf die interkommunale Zusammenarbeit auf schlichter vertraglicher Grundlage bezieht, d.h. die Bildung einer Zweckverbandes oder einer interkommunalen Anstalt des öffentlichen Rechts stellt für sich gesehen bereits ein sog. „kooperatives Konzept“ durch die Bildung und Gründung eines gemeinsamen neuen Rechtsubjektes dar und ist deshalb als ein innerstaatlicher Organisationsakt dem Vergaberecht entzogen (so jedenfalls: EuGH, Urteil vom 20.12.2016 – Az.: C 51/15 - ).

Gleiches muss grundsätzlich ebenso gelten, wenn auch der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung im Wege der sog. Delegation eine Aufgabenübertragung von einer öffentlichen Stelle auf eine andere stattfindet, denn in diesem Fall wird der übertragende Aufgabenträger im Umfang der Übertragung von seiner Pflicht zur Aufgabenübertragung befreit. Der übernehmende Aufgabenträger ist somit im Außenverhältnis aufgabenbezogen in vollem Umfang allein zuständig und damit verantwortlich für die Durchführung der Aufgabe (so zutreffend: Gruneberg/Frank, AbfallR 2016, S. 77 ff., S. 79; Portz AbfallR 2006, S. 82 ff., S. 83 f.; Krajewski/Wetkamp, DVBl. 2008, S. 355 ff., S. 362).  Damit ist grundsätzlich auch eine Aufgaben-Delegation i.S.d. §§ 23 ff. GKG NRW als innerstaatlicher Organisationsakt dem Anwendungsbereich des Vergaberechts entzogen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. vom 21.06. 2006 – VII Verg 17/06 –, AbfallR 2006 S. 194 = NZBau 2006 S. 662; OLG Frankfurt a.M. NZBau 2004, S. 692; OLG Naumburg, NzBau 2006, S. 5). Hierzu liegt allerdings noch keine Rechtsprechung des EuGH vor.

Fraglich war allerdings, ob eine öffentliche Ausschreibungspflicht auch dann nicht besteht, wenn eine gemeindliche Kooperation auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung letztlich so ausgestaltet ist, dass die eine Gemeinde sich nur Leistungen bei der anderen Gemeinde gegen Entgelt beschafft, ohne irgendeine weitere Leistung (einen Beitrag) zu interkommunalen Zusammenarbeit zu erbringen. Das OLG Koblenz hatte bereits mit Beschluss vom 03.12.2014 (– Az.: Verg 8/14 - ) entschieden, dass im Falle einer schlichten Drittbeauftragung (sog. Mandat) es nicht ausreicht, wenn die eine Gemeinde nur die andere Gemeinde für die von ihr erbrachten Leistungen eine Vergütung zahlt.

Diesen Rechtsstandpunkt vertritt nunmehr auch der EuGH (Urteil vom 04.06.2020 – Az.: C 429/19 - ).

Dennoch wird nicht vorausgesetzt, dass das sog. kooperative Konzept identische gegenseitige Dienstleistungen umfassen muss, sondern die Beiträge der öffentlichen Stellen können sich auch (nur) ergänzen. Ebenso müssen keine wesentlichen vertraglichen Pflichten übernommen werden, sondern es muss lediglich ein Beitrag zur gemeinsamen Aufgabenerfüllung erbracht werden. Dieses folgt auch ausdrücklich aus dem Erwägungsgrund Nr. 33 der EU-Richtlinie 2014/24/EU (vgl. Gruneberg/Frank, AbfallR 2016, S. 77 ff., S. 82; Ziekow, NzBau 2015, S. 258 ff., S. 263).

Es ist damit weiterhin nicht als zwingend erforderlich anzusehen, dass Gemeinden einen Zweckverband (§ 4 GKG NRW) oder eine interkommunale Anstalt des öffentlichen Rechts (§§ 27, 28 GKG NRW) gründen, wenn gleich aus dieses möglich ist, denn der EuGH hatte bereits mit Urteil vom 09.06.2009 ( – Az.: C 480/06 –) herausgestellt, dass die Zusammenarbeit zwischen Kommunen nicht an die Wahl einer bestimmten Rechtsform der Zusammenarbeit geknüpft ist.

 

Az.: 25.0.2.1 qu

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