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Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser
StGB NRW-Mitteilung 98/2016 vom 22.12.2015
Europäischer Gerichtshof zu Klagemöglichkeit wegen Umweltfolgen
Nach einem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) haben Bürger und Verbände in Deutschland zu wenig Möglichkeiten für Klagen im Umweltbereich. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Behördenentscheidungen über Bauprojekte (Bau von Bahnhöfen, Stromtrassen, Fabriken etc.) mit Auswirkungen für Mensch und Natur. Die deutschen Regelungen seien zu restriktiv, heißt es in dem Urteil vom 15. Oktober 2015 (Az.: C-137/14).
Die Europäische Kommission hatte der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfen, die hiesige Rechtslage beschränke zu stark dem Umweltschutz dienendes EU-Recht. Dabei hatte sie mit ihrer Vertragsverletzungsklage vom 21. März 2015 gleich mehrere Rechtsverstöße gegen die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-Richtlinie) und die Industrieemissionsrichtlinie (IED-Richtlinie) gerügt. Konkret geht es um Beteiligungsrechte der betroffenen Öffentlichkeit bei bestimmten privaten und öffentlichen Vorhaben.
Mit ihrem Urteil gaben die Richter des EuGH der EU-Kommission weitgehend Recht. Zu streng seien zum Beispiel die Regelungen zu Verfahrensfehlern. Die Richter bemängelten, eine Entscheidung für oder gegen ein Projekt könne nach deutschem Recht nur in wenigen Fällen aufgehoben werden, etwa, wenn es gar keine Prüfung der Folgen für die Umwelt gegeben habe. Unzulässig sei auch, dass Kläger zum Teil nachweisen müssten, dass ein Verfahrensfehler die Entscheidung über das umstrittene Vorhaben mit beeinflusst hat.
Auch die Einschränkungen des möglichen Zeitpunkts einer Klage gehen den Richtern zu weit. Wer sich juristisch gegen ein Projekt wehren wolle, müsse dies nach deutschem Recht tun, noch bevor die Behörden über die Genehmigung entschieden hätten. Schließlich monierte der EuGH eine Übergangsfrist, die der deutsche Gesetzgeber vorgesehen hat. Denn im November 2012 wurden die deutschen Vorschriften geändert, um ein früheres Urteil des EuGH in diesem Bereich umzusetzen. Dabei ist allerdings vorgesehen, dass für bestimmte Altverfahren weiterhin inzwischen abgeschaffte Regelungen gelten.
In einem Punkt wiesen die Richter die Klage der EU-Kommission jedoch ab. Wenn nämlich Einzelne — also Bürger oder Verbände — gegen Verwaltungsentscheidungen klagen, dann dürfen die Gerichte nur Faktoren bewerten, von denen die Kläger persönlich betroffen sind. Dies hält der EuGH für rechtens. Für Umweltverbände besteht diese Einschränkung nicht. Sie können auch allgemeiner im Sinne des Umweltschutzes klagen. Der Volltext des EuGH-Urteils findet sich als pdf-Datei auf den Seiten der europäischen Justiz unter http://curia.europa.eu (Suche nach Rechtssachen = C-137/14).
Anmerkung aus kommunaler Sicht
Mit seinem Urteil vom 15. Oktober 2015 hat der EuGH die Umweltverbandsklage und Klagen von „Normalbürgern“ gestärkt. Gleichzeitig aber wurde dadurch ein wesentliches Prinzip des deutschen Umweltrechtsschutzes, der Einwendungsausschluss (Präklusion), gekippt. Nach diesen Präklusionsvorschriften sind Einwendungen gegen ein Vorhaben bzw. die behördliche Entscheidung im weiteren Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren unerheblich und somit auch eine Klage unbegründet, wenn die gerügten Themen nicht rechtzeitig innerhalb der gesetzlichen Einwendungsfrist geltend gemacht wurden.
Diese Vorschriften dienen einerseits dazu, Betroffene und Umweltverbände dazu anzuhalten, auf aus den Antragsunterlagen erkennbare Mängel frühzeitig hinzuweisen, um das Verwaltungsverfahren effektiv zu gestalten. Auf der anderen Seite geben sie der Kommune und anderen Vorhabenträgern eine Rechtssicherheit und einen Bestandsschutz, denn diese müssen mit einer späteren Anfechtung der Genehmigung wegen nicht bereits im Verwaltungsverfahren eingewandter Mängel grundsätzlich nicht mehr rechnen.
Nach dem neuen Urteil können Umweltverbände oder sonstige Dritte etwaige Belange auch erst nach Genehmigungserteilung im gerichtlichen Verfahren vorbringen. Damit wird die Funktion der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren als Kontrollinstrument einerseits und als Rechtsschutzinstrument andererseits geschwächt. Dies könnte zu einer Erhöhung der Anzahl von Drittklagen gegen umweltrelevante Vorhaben führen.
Auf Seiten der Kommunen und der sonstigen Vorhabenträger, könnte dies insbesondere zu Bauverzögerungen und höheren Kosten durch Investitionshemmnisse führen. Hierzu darf es aber auch im Sinne der Durchsetzung des Umweltschutzes nicht kommen.
Az.: II gr-ko