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StGB NRW-Mitteilung 56/2015 vom 02.12.2014
Europäischer Gerichtshof zu Sozialleistungen für EU-Ausländer/innen
Deutschland muss Bürgern aus anderen EU-Staaten keine Sozialleistungen zahlen, wenn diese mit dem Ziel nach Deutschland einreisen, eine Beschäftigung zu suchen oder Sozialhilfe zu beziehen. Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, dass ein Mitgliedstaat das Recht haben muss, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe zu kommen, diese Sozialleistungen zu versagen.
Deutschland kann damit den Leistungsbezug von SGB II- und SGB XII-Leistungen ausschließen, wenn EU-Bürger ausschließlich nach Deutschland kommen, um Sozialhilfe zu beziehen oder einen Job zu suchen, ohne über ausreichende Finanzmittel zu verfügen. Durch die Regelung soll Missbrauch und „eine gewisse Form von Sozialtourismus“ verhindert werden. Der Europäische Gerichtshof bestätigt mit seiner Entscheidung die Rechtsauffassung des DStGB. Deutschland ist aufgrund seiner hohen Sozialleistungen ein attraktives Zuwanderungsland. Es muss sichergestellt werden, dass nur wirklich Berechtigte Leistungen erhalten.
In dem konkreten Fall begehren eine Rumänin und ihr in Deutschland geborener Sohn Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Sie leben seit mehreren Jahren in der Wohnung einer Schwester der Klägerin und werden von dieser versorgt. Die Frau war weder in ihrem Heimatland noch in Deutschland jemals berufstätig und besitzt keine Ausbildung. Sie war offensichtlich auch nicht nach Deutschland eingereist, um Arbeit zu suchen und bemüht sich auch nicht darum, eine Beschäftigung in Deutschland zu finden. Das Jobcenter weigerte sich unter Berufung auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, der Klägerin SGB II-Leistungen zu gewähren.
Nach dieser Regelung sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zwecke der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen von SGB II-Leistungen ausgeschlossen. Der § 23 Abs. 3 SGB XII schließt Ausländer von Sozialhilfeleistungen aus, wenn sie allein mit dem Ziel nach Deutschland gekommen sind, Sozialhilfe zu erhalten oder eine Beschäftigung zu suchen. Hiergegen war die Klägerin gerichtlich vorgegangen. Das Sozialgericht Leipzig hat den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren angerufen und um Klärung der Frage gebeten, ob das EU-Recht der deutschen Rechtslage entgegenstehe.
In Beantwortung der Fragen des Sozialgerichts Leipzig hat der Europäische Gerichtshof (C-333/13) in seinem Urteil vom 11.11.2014 entschieden, dass Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu bestimmten Sozialleistungen (wie den deutschen Leistungen der Grundsicherung) nur verlangen können, wenn ihr Aufenthalt die Voraussetzungen der „Unionsbürgerrichtlinie“ erfüllt. Damit soll verhindert werden, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch nehmen.
Ein Mitgliedstaat muss daher die Möglichkeit haben, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines Mitgliedstaats zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügen, Sozialleistungen zu versagen; insoweit ist jeder Einzelfall zu prüfen, ohne die beantragten Sozialleistungen zu berücksichtigen. Unter diesen Umständen entscheidet der Gerichtshof, dass die Unionsbürgerrichtlinie und die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ ausschließt, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie zusteht.
Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit nicht die Voraussetzungen für die Gewährung besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen regelt. Da hierfür der nationale Gesetzgeber zuständig ist, hat er auch den Umfang der mit derartigen Leistungen sichergestellten sozialen Absicherung zu definieren. Die Mitgliedstaaten führen somit nicht das Recht der Union durch, wenn sie die Voraussetzungen und den Umfang der Gewährung besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen festlegen, so dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht anwendbar ist.
In Bezug auf die Klägerin und ihren Sohn führt der Gerichtshof aus, dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügen und daher kein Recht auf Aufenthalt in Deutschland nach der Unionsbürgerrichtlinie geltend machen können. Folglich können sie sich nicht auf das in der Richtlinie und der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit verankerte Diskriminierungsverbot berufen.
Ungeachtet dessen plant die Bundesregierung eine Einreisesperre bei Sozialmissbrauch. EU-Bürgern soll danach künftig bei Missbrauch von Sozialleistungen die Wiedereinreise in die Bundesrepublik verboten werden. Derzeit können EU-Bürger trotz aberkannten Aufenthaltsrechten jederzeit wieder in die Bundesrepublik zurückkehren. Geplant ist nunmehr, diese Personen von Amtswegen mit einer Wiedereinreisesperre zu belegen. Darüber hinaus soll Kindergeld nur noch dann ausgezahlt werden, wenn der Antragsteller eine Steueridentifikationsnummer vorlegen kann. (Quelle: DStGB Aktuell vom 14. November 2014)
Az.: III/2 810-12