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StGB NRW-Mitteilung 372/1996 vom 05.08.1996
Fundtiere und Kostenerstattungsanspruch des Tierarztes
Das OVG Münster hat mit Beschluß vom 06.03.1996, 13 a 638/95, eine wichtige und für Städte und Gemeinden günstige Entscheidung gefällt. Danach hat ein Tierarzt regelmäßig keinen Anspruch gegen die örtliche Ordnungsbehörde aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag auf Erstattung seines Honorars, wenn er ihm zugeführte kranke Fundtiere ohne Rücksprache mit der örtlichen Ordnungsbehörde behandelt oder euthanisiert.
Der Beschluß ist wegen seiner besonderen Bedeutung nachfolgend wörtlich wiedergegeben:
"Aus den Gründen:
Der klagende Tierarzt hat keinen Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (GOA). Daß eine solche auch im öffentlichen Recht möglich ist und unter welchen Voraussetzungen ein Aufwendungsersatzanspruch des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn entstehen kann, hat das VG unter Zitierung der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zutreffend dargestellt. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Auch der Senat sieht die Voraussetzungen für einen Aufwendungsersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten aus öffentlich-rechtlicher GOA nicht als gegeben an.
Dabei läßt der Senat offen, ob eine öffentlich-rechtliche GOA schon deshalb ausscheidet, weil der Kläger seine Aufwendungen ggf. in Ausübung eines Auftrages oder Dienstvertrages zwischen ihm und den Überbringern der Tiere erbracht hat ...
Zu den Voraussetzungen der öffentlich-rechtlichen GOA gehört in erster Linie, daß die Durchführung des Geschäfts, d.h. die Vornahme der kostenverursachenden Handlung, überhaupt und gerade durch einen Privaten anstelle der Behörde dem öffentlichen Interesse entspricht.
Vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom
06.09.1988 - 4 C 5.86 -, NJW 1989, 922.
Dieses öffentliche Interesse tritt wegen der vom VG aufgezeigten Besonderheiten im öffentlichen Recht an die Stelle des für einen Aufwendungsersatzanspruch nach privatrechtlicher GOA notwendigen Interesses des Geschäftsherrn an der Fremdübernahme und seines wirklichen oder mutmaßlichen Willens (vgl. § 683 Satz 1 BGB), denn das Interesse und der Wille der Behörde als Geschäftsherr sind stets auf das öffentliche Interesse gerichtet.
Diesem öffentlichen Interesse kann die Durchführung eines Geschäfts durch einen privaten Dritten zunächst nur dann entsprechen, wenn die auf Aufwendungsersatz in Anspruch genommene Behörde zur Vornahme dieses Geschäfts überhaupt zuständig und entweder hierzu verpflichtet gewesen wäre oder - bei ihr insoweit eingeräumtem Handlungsermessen - sie dieses Geschäft üblicherweise in der vom Geschäftsführer praktizierten Weise vorgenommen hätte. Der Behörde kann nicht durch die Einschaltung eines Privaten eine Handlungspflicht auferlegt und daraus folgend eine Kostenpflicht aufgebürdet werden, wenn sie nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen nicht handeln muß und dies auch üblicherweise nicht tut. Hinzukommen muß ferner, daß gerade die Übernahme durch einen privaten Dritten dem öffentlichen Interesse entspricht.
Im vorliegenden Fall ist bereits nichts dafür ersichtlich, daß jedem Einzelfall der Tierbehandlung oder Euthanasierung durch den Kläger eine Situation zugrunde lag, die eine Zuständigkeit des Beklagten begründet und ihn entweder zu einem entsprechenden Handeln zwingend verpflichtet oder doch wenigstens üblicherweise zu einem derartigen Handeln bewogen hätte.
Eine Zuständigkeit und Handlungspflicht für den Beklagten ergab sich weder aus dem Tierschutzgesetz noch dem Tierkörperbeseitigungsgesetz. Das Tierschutzgesetz bindet insoweit nur Tierhalter, der der Beklagte nicht war, und das Tierkörperbeseitigungsgesetz regelt nur die Beseitigung von Körpern und Körperteilen toter Tiere, nicht aber die Behandlung oder Tötung lebender Tiere. Das Tierseuchengesetz regelt u.a. die behördlichen Maßnahmen zur Verhütung oder Bekämpfung eines Seuchenfalles. Eine solche tierseuchenrechtlich relevante Situation ist für die Fälle der Behandlung oder Euthanasierung durch den Kläger nicht dargetan.
Eine Zuständigkeit und Verpflichtung des Beklagten zum Tätigwerden ist auch nicht aufgrund allgemeinen Ordnungsrechts oder Seuchenrechts erkennbar. Weder ist feststellbar, daß in allen vom Kläger angeführten Behandlungs- und Euthanasiefällen eine allgemein ordnungsrechtliche oder seuchenrechtliche Gefahr vorlag (vgl. §§ 1, 14 OBG) noch, daß bei gegebener Gefahr das Ermessen des Beklagten auf eine Verpflichtung zur Vornahme von Abwehrmaßnahmen entsprechend den vom Kläger durchgeführten reduziert war oder der Beklagte üblicherweise in entsprechender Weise tätig würde.
Aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung kann bereits nicht davon ausgegangen werden, daß von einem Vogel, einer Katze, einem Kaninchen, einem Igel usw. generell eine konkrete Gefahr, z.B. für die Gesundheit des einzelnen oder der Gemeinschaft ausgeht. Dafür, daß auch in den vom Kläger behandelten bzw. euthanisierten Tieren keine konkrete Gefahr vorlag, spricht, daß die Tiere alle von einem Überbringer zum Kläger geschafft wurden und dies allem Anschein nach problemlos war. Sie sind offenbar nicht von dem kranken Hund oder der Katze gebissen oder gekratzt worden. Die vom Kläger angesprochene Möglichkeit, daß ein verletzter Hund beißen oder den Verkehr gefährden könne, stellt keine konkrete Gefahr im ordnungsrechtlichen Sinne dar. Daß ein verletztes oder krankes Tier leidet, ist nicht zu bestreiten, stellt aber ebensowenig eine Gefahr dar wie sein absehbarer Tod. Das unter Umständen mit Leiden verbundene Ableben eines Tieres ist ein natürlicher Vorgang und verlangt regelmäßig keinen "helfenden" Eingriff des Menschen. Der Eindruck der kranken oder moribunden Kreatur auf den Menschen und der daraus erwachsende verständliche Wunsch des Einzelnen, der leidenden Kreatur helfen zu wollen, ist keine Gefahrensituation. Daß ein verendetes Tier eine Gefahr z.B. infolge Verwesung bedeuten kann, nötigt evtl. zur Beseitigung seines Kadavers, nicht aber zur Heilbehandlung oder Euthanasierung, um deren Kosten es hier erkennbar nur geht. Demgemäß begründet auch die veterinärmedizinisch-ethische Einschätzung, durch Heilbehandlung oder Euthanasierung Leiden erleichtern zu müssen, nicht ohne weiteres eine Gefahr in ordnungsrechtlichem Sinne, die das Einschreiten des Beklagten erfordert hätte. Fehlte es aber an einer Gefahrensituation, so war eine Zuständigkeit des Beklagten nicht begründet. Dann kann der Kläger auch kein Geschäft anstelle des Beklagten durchgeführt und dies auch nicht einem öffentlichen Interesse entsprochen haben.
Selbst wenn eine die Zuständigkeit des Beklagten begründende Gefahrensituation jedoch in jedem zur Abrechnung gestellten Einzelfall vorgelegen haben sollte, ist nicht feststellbar, daß der Beklagte zur tiermedizinischen Heilbehandlung oder Euthanasierung verpflichtet gewesen wäre oder solche Maßnahmen auch nur der Üblichkeit entsprochen hätten. Es ist nämlich grundsätzlich der Standpunkt vertretbar, im Falle kranker, altersschwacher oder verletzter herrenloser Tiere, wie der vom Kläger behandelten Vögel, Igel, Tauben, wilde Katzen, Hunde, die von ihnen allenfalls ausgehende geringfügige Gefahr in Kauf zu nehmen und sie ihrem Lebensraum zu überlassen, wo sie natürlichen Abläufen entsprechend sterben, oder sie notfalls zu isolieren, um nach ihrer Verendung ihre Kadaver zu beseitigen. Ein solcher Standpunkt entspräche überdies dem Interesse der Allgemeinheit an einer überschaubaren und sinnvollen Verwendung öffentlicher Mittel. Es wäre auch vertretbar, wenn die Behörde altersschwache oder kranke oder verletzte größere Tiere nur bei gegebener eigener Entscheidungsmöglichkeit z.B. nach Vorführung der Tiere durch eigene Bedienstete oder einen beauftragten Tierarzt ihrer Wahl behandeln oder euthanasieren ließe. Insoweit ist nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte im amtsgerichtlichen Verfahren generell erklärt hat, die Kosten für solche Maßnahmen an herrenlosen Tieren durch den Kläger nicht zu übernehmen, d.h. sinngemäß solches Tätigwerden eines Privaten als seinem Willen im Sinne des § 683 BGB widersprechend anzusehen.
Entgegen der Ansicht des Klägers wird die Heilbehandlung oder Euthanasieung der ihm zugeführten Tiere nicht deshalb zu einem dem wahren oder mutmaßlichen Willen des Beklagten entsprechenden Geschäft, weil die Tiere etwa Fundsachen waren. Ausgehend von § 965 BGB waren sie nämlich keine Fundsachen, auch wenn landläufig die Besitznahme von herrenlosen Sachen als "finden" bezeichnet und von "gefundenen Tieren" gesprochen wird. Fundsachen sind nur verlorene Sachen und Finder ist, wer eine verlorene Sache in Besitz nimmt. Es ist nicht feststellbar, daß die dem Kläger zugeführten Tiere zuvor im rechtmäßigen Besitz anderer waren und deren Besitz zufällig und nicht nur vorübergehend abhanden gekommen ist. Herrenlose Sachen sind keine verlorenen Sachen (vgl. Palandt, BGB, Vor § 965). Wildlebende Tiere, wie die hier dem Kläger teilweise zugeführten, sind herrenlose Tiere. Dadurch, daß Dritte sie bargen und dem Kläger zur Behandlung zuführten, haben sie keinen Besitz begründen wollen. Greifen die Fundvorschriften nicht ein, kann der Kläger eine Verwahrungs- und Obhutspflicht des Beklagten als Polizeibehörde für Fundsachen im Sinne des § 967 BGB und daran anknüpfend eine Geschäftsführung zugunsten des Beklagten nicht "konstruieren".
Ein Anspruch des Klägers aus öffentlich-rechtlicher Bereicherung scheidet, wie vom VG ebenfalls zutreffend dargelegt, aus, weil nicht feststellbar ist, daß der Kläger rechtsgrundlos ein kostenaufwendiges Geschäft des Beklagten wahrgenommen hat. Sonstige Anspruchsgrundlagen sind weder geltend gemacht noch ersichtlich."
Az.: I/1 013-00-1