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Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft
StGB NRW-Mitteilung 442/2015 vom 03.08.2015
Gutachten zur Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen
Kürzlich wurde ein für die Industrie- und Handelskammern des Heringsdorfer Kreises erstelltes „Gutachten zur Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab dem Jahr 2020 - ausgewählte Reformaspekte für mehr Transparenz und Leistungsgerechtigkeit“ vorgelegt. Urheber des Gutachtens ist Prof. Dr. Thomas Lenk von der Universität Leipzig. In diesem wird ein Konzept zur Neugestaltung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs vorgestellt, das an den Grundsätzen der geltenden Finanzverfassung festhält. Mit dem Ziel, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet herzustellen und zu wahren, wird vorgeschlagen, zukünftig nicht mehr das örtliche Steueraufkommen zum entscheidenden Maßstab des Finanzausgleiches zu machen, sondern die Wirtschaftskraft.
Insgesamt würde es bei einer Umsetzung des von Professor Dr. Lenk und seinem Mitautor Philipp Glinka vorgelegten Reformmodells zu zum Teil deutlichen Verschiebungen der Geber- und Nehmerpositionen im Finanzausgleich kommen. Der Bund würde zur Gruppe der Entlasteten gehören - gleichwohl der Bundesfinanzminister bereits dem Vernehmen nach bekundet hat, mehr als 8 Mrd. Euro Bundesmittel im Jahr in den Finanzausgleich einzubringen. Vor diesem Hintergrund dürfte das vorgelegte Reformmodell wenig Aussicht auf Übernahme in der Politik haben.
Derzeitige Regelungen
Nach den derzeit geltenden Regelungen des Finanzausgleiches werden die Aufkommen aus der Einkommen-, Kapital- und Körperschaftsteuer den Ländern zunächst nach dem Prinzip des örtlichen Aufkommens zugeordnet und in einem weiteren Schritt nach der Vorschrift des Zerlegungsgesetzes für die jeweilige Steuer zerlegt. So gilt für die Lohnsteuer das Wohnsitzprinzip und die Körperschaftssteuer das Betriebsstättenprinzip. Der Länderanteil der Umsatzsteuer wird zu mindestens 75 % nach Einwohnerzahl verteilt, während maximal 25 % für den Umsatzsteuervorwegausgleich verwendet werden. Dieser richtet sich gem. § 2 Finanzausgleichsgesetz (FAG) nach dem Verhältnis der primären Finanzausstattung eines Landes zu dem Länderdurchschnitt. Als weiterer Ausgleichsmechanismus ist nach § 4 FAG der horizontale Länderfinanzausgleich vorgesehen, wonach Länder mit niedrigem Steueraufkommen von Ländern mit überdurchschnittlichem Steueraufkommen unterstützt werden. Für Bundesländer, deren Finanzkraft trotz des Länderfinanzausgleiches unter 100 % des Länderdurchschnittes liegt gibt es einen vertikalen Finanzausgleich aus dem Bundeshaushalt, die Bundesergänzungszuweisung nach § 11 FAG.
Kritik am Maßstab des örtlichen Aufkommens
Im Vordergrund der von Prof. Lenk vorgeschlagenen Reform steht die primäre Zuordnung der Lohn- und Einkommensteuer sowie der Körperschaft- und der Kapitalertragsteuer. Die derzeitigen Zuordnungs- und Zerlegungsregeln dieser Gemeinschaftssteuern auf der Länderebene bilden nach den gutachterlichen Ausführungen den Ausgangspunkt für die hohe Einnahmenspreizung zwischen den Ländern. Die derzeitige Zuordnung nach dem örtlichen Aufkommen sei als Maß für die Leistungsfähigkeit eines Landes zur Erfüllung seiner verfassungsrechtlich zugetragenen Aufgaben aus verschiedenen Gründen zweifelhaft. Darüber hinaus bestünden bei der geltenden Zuordnung vermeidbare Defizite in der Leistungsgerechtigkeit, die wie folgt dargelegt werden:
Die Steuereinnahmen, die nach der Zerlegung gemäß den geltenden Zerlegungsregeln den einzelnen Ländern zur Verfügung stehen, spiegelten nicht die wirtschaftliche Potenz der Länder wider. In der Regel sei die Wirtschaftskraft von den Steuereinnahmen überzeichnet. Wirtschaftsstarke Länder verfügten über noch höhere Steuereinnahmen im Vergleich zu ihrer Wirtschaftskraft jeweils im Verhältnis zum Durchschnitt. Dies sei insbesondere auf den progressiven Einkommensteuertarif zurückzuführen. Die Zerlegung der Einkommensteuer nach dem Wohnsitzprinzip gehe davon aus, dass öffentliche Leistungen am Wohnort beansprucht werden. Insbesondere bei größeren Städten und Metropolregionen, die einen hohen Pendleranteil aufweisen und die resultierenden infrastrukturellen Belastungen zu tragen haben, werde die Äquivalenz zwischen den Einnahmen und den finanziellen Lasten durchbrochen. Besonders für die Stadtstaaten, die oftmals Arbeits- aber nicht Wohnsitzland sind, führe das zu einer konzeptionellen Benachteiligung.
Die Lohnsumme als Verteilungsmaßstab für die Zerlegung der Körperschaftsteuer länderübergreifend tätiger Unternehmen mit produktiven Betriebsstätten benachteilige Länder, in denen die Löhne verhältnismäßig gering seien. Insbesondere seien die ostdeutschen Länder davon betroffen.
Insgesamt führten die Korrekturen des örtlichen Aufkommens nach den Zerlegungsregeln zu einer hohen Komplexität bereits vor allen Ausgleichsstufen. Der konkreten Ausgestaltung dieser Regeln hafte stets der Verdacht der Willkür an.
Vorteile der Wirtschaftskraft als Maßstab
Zur Beseitigung der benannten Schwächen wird deshalb die Wirtschaftskraft als neuer Maßstab für die primäre Zuordnung der Lohn- und Einkommen-, der Körperschaft- und Kapitalertragsteuer vorgeschlagen. Als zuordnungsrelevante Größe zur Messung der Wirtschaftskraft wird die gütersteuerneutrale Bruttowertschöpfung (BWS) je Einwohner festgelegt. Die Vorteile einer an der BWS orientierten Zuordnung der Gemeinschaftssteuern gegenüber dem Status quo seien:
- Die BWS wird nach einheitlichen Kriterien und gemäß des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen ermittelt. Zur Messung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit stoße die BWS auf eine breite wissenschaftliche und politische Akzeptanz.
- Das Wirtschaftswachstum gehöre zu den politischen Primärzielen. Etwaige Moral-Hazard-Probleme könnten im Zusammenhang der BWS grundsätzlich ausgeschlossen werden.
- Die aufwendige Zerlegung der Gemeinschaftssteuern nach dem Zerlegungsgesetz würde vollständig entfallen. Folglich wäre die primäre Steuerzuordnung wesentlich transparenter und objektiver. Steuereinnahmen aus den benannten Gemeinschaftssteuern seien unmittelbar an die Wertschöpfung gekoppelt und unabhängig von unternehmensinternen Gewinnverschiebungen oder der Unternehmensstruktur. Technische Benachteiligungen bestimmter Ländergruppen seien damit ausgeschlossen.
Durch die veränderte Zuordnungsmethode würde es auch zu Veränderungen der Aufteilung der Umsatzsteuer auf die einzelnen Länder kommen. Dabei würde der Umsatzsteuervorwegausgleich reduziert, da sich das Verhältnis der Finanzkraft der Länder zueinander reduzieren würde. Im Ergebnis hätte dies zur Folge, dass der Länderanteil der Umsatzsteuer sich mehr an der Einwohneranzahl orientieren würde. Der Anteil der ostdeutschen Flächenländer an der Umsatzsteuer würde sinken, da diese im aktuellen System von dem Umsatzsteuervorwegausgleich am stärksten profitieren.
Finanzielle Auswirkungen dieses Reformmodells
- Die empirischen Ergebnisse des Gutachtens kommen zu Rechenergebnissen, nach denen 11 von 16 Ländern von der vorgeschlagenen Reform finanziell profitieren würden. Dabei übersteigen die Gewinne für ein Land und die diesem dazugehörigen Gemeinden in der Steuerzuordnung die zurückgehenden Ausgleichszuweisungen zum Teil deutlich. Zu diesen Ländern gehören Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, das Saarland sowie die ostdeutschen Länder und die Stadtstaaten.
- Die Geberländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen würden nach diesem Reformmodell im Gesamtsaldo finanzielle Einbußen im Vergleich zum Status Quo erleiden. Das Gutachten gelangt aber zu der Einschätzung, dass diese Bundesländer gleichwohl signifikant geringer in der horizontalen Umverteilung belastet würden: das Volumen der Umsatzsteuerergänzungsanteile reduziere sich von 11,4 Milliarden auf 8,4 Milliarden Euro um etwa 26 %; das Volumen im Länderfinanzausgleich gehe von 8,4 Milliarden auf 6,6 Milliarden Euro um etwa 22 % zurück.
- Die Empfängerländer Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein würden in der Gesamtbetrachtung leicht verlieren. Sie profitieren derzeit von den angrenzenden Metropolregionen (Rhein-Main-Gebiet bzw. Hamburg) und den geltenden Zerlegungsregeln.
- Die allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen für leistungsschwache Länder gingen von 3,2 Milliarden auf 2,45 Milliarden Euro zurück. Das entspricht einem relativen Rückgang von etwa 24 %. Also würde der Bund zu den Gewinnern der Reform zählen.
Des Weiteren würden durch die vorgeschlagene Reform die Summe der Ausgleichszahlungen des Länderfinanzausgleiches reduzieren und die Anzahl der „Geberländer“ erhöhen. Die Ausgleichszahlungen würden von insgesamt 8,4 Mrd. Euro auf 6,6 Mrd. Euro reduziert. Das „Geberland“ Bayern würde hierbei von einer Reduzierung seiner Beiträge von 4,3 Mrd. Euro auf 2,9 Mrd. Euro am meisten profitieren, aber auch Hessen und Baden-Württemberg würden jeweils ca. 310 Mio. Euro weniger aufwenden müssen. Niedersachsen würde von einem „Nehmerland„ zu einem „Geberland“ werden.
Die Bundesergänzungszuweisungen von 3,2 Mrd. Euro würden sich um 750 Mio. Euro reduzieren. Dabei würden sich die Zahlungen an Nordrhein-Westfalen um 275 Mio. Euro und die Zahlungen an die ostdeutschen Flächenländer um 300 Mio. Euro reduzieren. Größter Empfänger von Zuweisung würde Berlin bleiben mit ca. 1 Mrd. Euro. Der Autor schlägt vor diese 750 Mio. Euro als Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zu verwenden und Länder bei der Bewältigung von Sonderlasten zu unterstützen. Das Gutachten von Professor Dr. Lenk ist im Internet verfügbar unter: http://www.uni-leipzig.de/fiwi/Team/pdf/Gutachten_Reform.pdf .
Az.: 41.2.1-003/002