Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft

StGB NRW-Mitteilung 21/2022 vom 10.01.2022

Insolvenzen von Gasanbietern belasten Grundversorger

Die hohen Gaspreise haben in jüngster Zeit zu einigen Insolvenzen unter Gasanbietern geführt. Letztverbraucher, die Energie für den eigenen Verbrauch kaufen, werden in diesen Fällen ersatzweise durch den Grundversorger mit Gas beliefert. Dies ist mit erheblichen zusätzlichen finanziellen Belastungen der Grundversorger verbunden, da die Beschaffung am aktuellen Markt mit deutlich höheren Kosten verbunden ist und Preisanpassungen nur mit deutlicher Vorlaufzeit möglich sind. Aktuell wird daher kontrovers die Frage diskutiert, ob unterschiedliche Grundversorgungspreise für Bestands- und Neukunden ab einem bestimmten Zeitpunkt erlaubt sind, die die jeweiligen konkreten Beschaffungskosten berücksichtigen. Die Rechtsprechung hat sich zu dieser Frage noch nicht positioniert. Jedoch haben die Landeskartellbehörde NRW und Niedersachsen eine Preisdifferenzierung bejaht und folgen damit der Auffassung vieler Stimmen der Kommunalwirtschaft. Über die kartellrechtliche Bewertung der Landeskartellbehörde NRW hatten wir Sie mit Schnellbrief Nr. 600 vom 17.11.2021 informiert.  

Ersatzversorgung

Kommt es zu einer Lieferunterbrechung durch den Gasversorger, erfolgt die Ersatzversorgung mit Energie nach den Vorschriften der §§ 36 ff. Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sowie §§ 3 ff. Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz (GasGVV). Diese Ersatzversorgung besteht aber nur gegenüber Letztverbrauchern, die Energie in Niederspannung oder Niederdruck beziehen. Die Laufzeit beträgt maximal drei Monate.

Für Haushaltskunden dürfen laut Bundesnetzagentur die Kosten der Ersatzversorgung die allgemeinen Preise der Grundversorgung nicht übersteigen (vgl. auch § 38 Absatz 1 Satz 2 EnWG). Dies gilt nicht für Letztverbraucher, die Nicht-Haushaltskunden sind, also mit einem Jahresverbrauch von über 10.000 kWh für berufliche bzw. gewerbliche Zwecke. Gesonderte Ersatzversorgungspreise für Nicht-Haushaltskunden können allerdings jederzeit unter Einhaltung der 6-Wochen-Frist gemäß § 5 Absatz 2 GasGVV zum Monatsbeginn durch öffentliche Bekanntgabe und zeitliche Veröffentlichung (im Internet sowie per brieflicher Mitteilung an die zu diesem Zeitpunkt gegebenenfalls ersatzversorgten Letztverbraucher) angepasst werden.

Befristete Preisdifferenzierung bei Bestands- und Neukunden

Stark umstritten ist allerdings die Frage, ob unterschiedliche, den Beschaffungskosten entsprechende Grundversorgungspreise für Bestands- und Neukunden ab einem bestimmten Zeitpunkt erlaubt sind. Eine aus der Rechtsanwaltschaft vertretene Rechtsmeinung sieht dies als unzulässig an. Der VKU vertritt zu der Frage die Rechtsansicht, dass der grundversorgungsberechtigte Haushaltskunde lediglich einen Anspruch auf Grundversorgung zu einem Preis hat, der dem Grundversorger wirtschaftlich zumutbar ist. Konkret bezieht sich dieser auf den Wortlaut der §§ 36 Absatz 1 Satz 1 und 39 Absatz 1 EnWG, wonach in diesen Regelungen von den „Allgemeinen Preisen des Grundversorgers“ gesprochen wird. Ebenso könne historisch die bis zum 01.07.2007 für die Grundversorgung in Niederspannung geltende Bundestarifordnung Elektrizität (BTOElt) herangezogen werden, die das Angebot unterschiedlicher Bedarfsarten ausdrücklich vorsah. Weiter bestand die Verpflichtung nach der bereits zum 29.04.1998 außer Kraft getretenen Bundestarifordnung Gas (BTOGas), im Rahmen der Tarifversorgungspflicht als allgemeine Tarife mindestens einen Kleinverbrauchs- und einen Grundpreistarif zu bilden und öffentlich bekannt zu geben. Ausdrücklich sei dabei in der Elektrizitätsversorgung gefordert gewesen, dass sich Tarife an den Kosten der Versorgung zu orientieren haben und die Versorgungsbedürfnisse der Kunden in einem für das Versorgungsunternehmen wirtschaftlich zumutbaren Maße ausgerichtet sein müssten. An diesen Grundsätzen habe sich nichts geändert.

Differenzierte Gaspreise für Bestands- und Neukunden verstießen ebenfalls nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn es liege eine rechtlich zulässige Unterscheidung zweier unterschiedlicher Sachverhalte vor, die in den unterschiedlichen Grundversorgungspreisen für Bestands- und Neukunden lägen. Der sachliche Grund sei in den zum jeweiligen Zeitpunkt unterschiedlichen Beschaffungskosten am Gasmarkt zu sehen. Kartellrechtliche Bedenken seien nicht gegeben, da die Preisdifferenzierung keinen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung darstelle (vgl. § 19 Absatz 2 Nr. 3 GWB), sondern die unterschiedlichen Beschaffungskosten sachlich gerechtfertigt seien und auch gegenüber der Kartellbehörde begründet werden müssten.

Erste Einschätzung der Kartellbehörden

Eine Kurzbewertung der Landeskartellbehörde NRW hat die Anfrage eines Stadtwerks bezüglich der energie- und kartellrechtlichen Zulässigkeit der Preisdifferenzierung zwischenzeitig bejaht. An dieser können sich die Energieversorger in NRW orientieren. In einer vorläufigen Mitteilung bestätigt die Landeskartellbehörde Niedersachsen (LKB), dass sie die Rechtsauffassung der Energiekartellbehörde beim Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein– Westfalen teilt und es auch in Niedersachsen bezüglich unterschiedlicher Preise im Rahmen der Grundversorgung aus Sicht der LKB weder aus energierechtlicher noch aus kartellrechtlicher Sicht Bedenken gibt. Aus der Stromgrundversorgungsverordnung bzw. der Gasgrundversorgungsverordnung ergeben sich laut den Niedersachsen keine Vorgaben zur Gestaltung oder Höhe der allgemeinen Preise. Jedoch müsse bei der Anpassung der Tarife die Einhaltung der o.g. Frist und Form gewahrt werden.

Von einer Handlungsempfehlung wurde seitens des VKU mit Blick auf die rechtlichen und wirtschaftlichen Unsicherheiten bislang abgesehen. Vielmehr müsse der jeweilige Grundversorger selber abwägen, ob er unterschiedliche Tarife einführe. In den entsprechenden Gremien des VKU bestand bislang dahingehend Einigkeit, dass ein Neukundentarif kein dauerhafter Tarif sein werde, sondern sich die Tarife für Bestands- und Neukunden bei einer Entspannung an den Energiemärkten wieder angleichen und zu einem einheitlichen Tarif zusammengeführt werden müssten.

Anmerkung

Ob Gasversorger diesen Weg wählen, sollte sorgsam individuell mit Blick auf die rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken abgewogen werden. Die Position des VKU ist durchaus vertretbar. Denn mit der Regelung in § 36 EnWG wird das Ziel verfolgt, besonders schutzwürdige Energieverbraucher zu einheitlichen Bedingungen abzusichern. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, dass die Grundversorger die Energieversorgung sicherstellen müssen und sich dieser Verantwortung auch nicht entziehen können. Sofern durch die Neukunden das Geschäft mit den Bestandskunden wirtschaftlich gefährdet wird, erscheint es auch sachgerecht, eine Differenzierung vorzunehmen. Aus der Gasgrundversorgungsverordnung ergeben sich auch keine Vorgaben zur Gestaltung oder Höhe der allgemeinen Preise. Insofern erscheint es legitim, wenn temporäre Tarife geschaffen werden, die gewisse Risiken und Belastungen berücksichtigen, um die zeitweise Übernahme von Neukunden (die selbst dieses Risiko durch den früheren Anbieterwechsel in Kauf genommen haben) wirtschaftlich zu realisieren. Schließlich soll die Ersatzversorgung nicht länger als drei Monate andauern. Es ist nicht vermittelbar, warum der Grundversorger bzw. dessen Bestandskunden das wirtschaftliche Risiko tragen sollen, wenn ein anderer Energieanbieter auf dem liberalisierten Gasmarkt scheitert und der Kunde in die Ersatzversorgung zurückfällt. Denn diese stehen nicht in einer Solidargemeinschaft mit allen Energieverbrauchern, sondern der Grundversorger soll nur die Lieferung mit Gas übergangsweise gewährleisten. Um die Grundversorger nachträglich wirtschaftlich zu unterstützen, könnte eine längere Bindung an die Grundversorgung zielführend sein.

Az.: 28.6.1-002/011 we

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