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StGB NRW-Mitteilung 595/2018 vom 20.11.2018
Normenkontrollrat zu Bürokratie- und Kostenbelastung neuer Regelungen
Unter der Überschrift „Deutschland: weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung, bessere Gesetze. Einfach machen!“ zieht der Normenkontrollrat eine Bilanz der Bürokratie- und Kostenbelastungen neuer Regelungen der letzten 12 Monate und zeigt Wege auf, wie Rechtsetzungsprozesse effektiver gestaltet und Defizite bei der Digitalisierung behoben werden können. Bei der Quantifizierung und Transparenz gesetzlicher Folgekosten liegt Deutschland weit vorn. Dagegen besteht bei der Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung riesiger Nachholbedarf.
Für eine erfolgreiche Umsetzung wird ein Digitalpakt von Bund, Ländern und Kommunen vorgeschlagen, der alle mittnimmt und überall mit ausreichend Budget und Personal unterlegt ist. Verbesserungen seien auch bei der Verbesserung der Gesetzesqualität notwendig. Gute Gesetzgebung gehe nur mit Praxisnähe und Umsetzungserfahrung von Ländern und Kommunen im Kontakt mit Bürgern und Unternehmen. Das Erfahrungswissen bleibt jedoch immer wieder ungenutzt. Es sollten erst die Inhalte, dann die Paragrafen folgen. Die Empfehlungen und Schlussfolgerungen des NKR können aus kommunaler Sicht nur unterstrichen werden.
Dies gilt vor allem im Hinblick auf die Verbesserung der Gesetzesqualität und die frühzeitige Beteiligung der kommunalen Praxis und kommunalen Spitzenverbände in Gesetzesvorhaben, die aufgrund von Eilbedürftigkeit faktisch immer weiter runter reduziert wird. Für die Umsetzung der Digitalisierungsvorhaben, wie das Onlinezugangsgesetz, gilt, dass die Kommunen auf Augenhöhe miteinbezogen und personell als auch finanziell von Bund und Ländern so unterstützt werden, dass sie den Aufgaben gerecht werden können. Aus dem Jahresbericht 2018 des Normenkontrollrates (NKR) geht Folgendes hervor:
Bei der Quantifizierung gesetzlicher Folgekosten liegt Deutschland weit vorn. Kein anderes Land ist dabei annähernd so erfolgreich. In den letzten zwölf Jahren konnte ein wirklicher Kulturwandel erreicht werden. Rückläufiger Erfüllungsaufwand für Unternehmen und Verwaltung, für die Bürger nahezu keine Erhöhung und niedrigere Einmalkosten – das sind Mut-Macher. Bei der sogenannten „One in one out“-Bilanz befindet sich Deutschland in der erweiterten Spitzengruppe. Im Saldo wurden die Unternehmen bei den Folgekosten seit 2015 um 1,8 Mrd. Euro entlastet. Allerdings ist die Bilanz unvollständig, denn zusätzliche 435 Mio. Euro an Kosten aus der Umsetzung von EU-Recht sind nicht enthalten.
Bei Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung der Verwaltung liegt Deutschland seit Jahren weit zurück und nur im hinteren Mittelfeld. Bürger und Wirtschaft erwarten aber einfache digitale Verwaltungsangebote, bei denen sie ihre Daten nur einmal angeben müssen (Once-Only-Prinzip). Davon ist Deutschland aber immer noch weit entfernt. Fragen wie Nutzerfreundlichkeit von Gesetzen, die flächendeckende Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes oder die Frage, ob wir tatsächlich so viele Schriftformerfordernisse brauchen, müssen nicht nur diskutiert, sondern entschieden und umgesetzt werden. Aus dem Jahresgutachten gehen folgende zehn Kernbotschaften hervor:
- Wo bleibt der Digitale Staat? Bürger und Wirtschaft erwarten einfache digitale Verwaltungsangebote und wollen ihre Daten nur einmal angeben („Once-Only“-Prinzip). Bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) muss deshalb Nutzerfreundlichkeit im Vordergrund stehen. Das geht nur mit modernen Registern und einem vertrauenswürdigen Datenaustausch zwischen Behörden. Vorschläge für ein flexibles und transparentes Datenmanagement liegen auf dem Tisch – wann kommt die Umsetzung?
- Bundeskanzleramt, Bundesinnenministerium und Ministerpräsidenten in der Verantwortung: Die Digitalisierung der 575 Bürger- und Unternehmensleistungen des OZG bis 2022 ist eine enorme Kraftanstrengung. Sie verlangt große Beharrlichkeit der Politik und zusätzliches Personal. Ohne eine leistungsfähige Umsetzungs-Organisation ist der Erfolg des OZG gefährdet! Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltung müssen deshalb auf allen staatlichen Ebenen zur Chefsache werden und zu einem TOP bei jeder Konferenz von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten.
- Gemeinschaftswerk Onlinezugangsgesetz – Alle Länder müssen mitmachen: Erfolgreich ist das OZG nur dann, wenn digitale Verwaltungsleistungen flächendeckend in ganz Deutschland, d.h. von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen angeboten werden. Das geht nur gemeinsam. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern – drei besonders starke Länder – halten sich noch auffallend zurück. Gebraucht wird ein Digitalpakt von Bund, Ländern und Kommunen, der alle mittnimmt und überall mit ausreichend Budget und Personal unterlegt ist.
- Realitätslücke schließen: ‚One in one out‘-Regel weiterentwickeln: Mit einer Kostenentlastung für die Unternehmen um per Saldo 1,8 Mrd. Euro seit 2015 kann sich die ‚One in one out‘- Bilanz sehen lassen – dennoch sind die Unternehmen unzufrieden. Denn zusätzliche 435 Mio. Euro an Kosten aus der Umsetzung von EU-Recht werden nicht mit einbezogen, sind aber für die Wirtschaft unmittelbar spürbar. EU-Recht muss mit einbezogen werden, damit politische Bilanzierung und unternehmerische Realität zusammenpassen!
- Kosten der EU-Gesetzgebung – ein Thema für Unternehmen und Parlament: Seit 2016 werden Vorschläge der EU-Kommission auf ihre Kostenwirkung für Unternehmen in Deutschland überprüft (sog. EU ex ante-Verfahren) – allerdings nur regierungsintern. Unternehmen, Verbände und Vollzugsbehörden sind nicht mit einbezogen, Bundestag und Bundesrat nicht informiert. Das kann so nicht bleiben. Unmittelbar Betroffene haben Wissen und Erfahrung, können besser als Ministerien Folgekosten realistisch beziffern, das Parlament hat Anspruch auf Information – alles eigentlich Selbstverständlichkeiten!
- Qualitätsstandards für Evaluierungen einführen: Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, Gesetze nach 3 bis 5 Jahren auf Wirksamkeit und Zielerreichung hin zu überprüfen. Dafür brauchen wir verbindliche Standards und eine gute Qualitätssicherung – und am Ende auch konkrete Handlungsempfehlungen, die allzu oft noch fehlen. Schließlich wollen wir aus Erfahrungen lernen und es anschließend besser machen.
- Wann geht es endlich los? – Drittes Bürokratieentlastungsgesetz jetzt angehen: Im Koalitionsvertrag wird ein Drittes Bürokratieentlastungsgesetz angekündigt. Konkrete Vereinfachungsvorschläge der Wirtschaftsverbände hierfür liegen seit dem Frühjahr auf dem Tisch. Und jetzt? Wann kommt der Vorschlag des BMWi – bitte ein Eckpunktepapier, kein Rechtstext! – auf den Tisch, damit die inhaltliche Diskussion endlich beginnt? Denn von 1440 Tagen der Legislaturperiode liegen 360 schon hinter uns.
- Rechtssetzung neu denken: Erst der Inhalt, dann die Paragrafen! Was ist das Problem? Was ist das Ziel? Wie kommen wir dorthin? Diese Fragen werden bei neuen Gesetzesplänen zu wenig gestellt. Stattdessen gibt es von Anfang an ausformulierte Rechtstexte – für kaum jemanden verständlich, noch einladend zu neuen Inhalten und innovativen Verfahren. Wir brauchen Eckpunktepapiere, die eine breite öffentliche Diskussion über Ziele und Handlungsalternativen möglich machen – so wie jetzt beim Eckpunktepapier zum Fachkräftezuwanderungsgesetz. Das muss zur Regel werden.
- Gute Gesetzgebung – nicht ohne Praxisnähe und Umsetzungserfahrung: Gesetze werden in Deutschland von Ländern und Kommunen im Kontakt mit Bürgern und Unternehmen umgesetzt. Diese wichtige Praxiserfahrung bleibt bei der Vorbereitung neuer Bundesgesetze immer wieder ungenutzt, denn Bundesministerien sind weit von der Praxis entfernt, und Länder gewähren nur unzureichend Einblick in ihre Verwaltungskosten. Deswegen hatten alle Beteiligten 2017 ein ebenenübergreifendes Testverfahren verabredet, um Praxiserfahrungen bei neuen Gesetzen konsequenter zu nutzen. Dieses Testverfahren muss jetzt endlich anlaufen.
- Nach der Krise ist vor der Krise – Audit und Stresstest für Bundesbehörden: Die Flüchtlingskrise hat gezeigt: Behörden sind nicht auf außergewöhnliche Belastungen oder gar Krisen vorbereitet. Dabei ist eine leistungsfähige Verwaltung für das Funktionieren von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft unerlässlich. Deshalb müssen sich relevante Behörden regelmäßig Überprüfungen (Audits) und Stresstests stellen. Damit muss jetzt begonnen werden – vor der nächsten Krise.
Der Jahresbericht des NKR ist im Internet unter www.normenkontrollrat.bund.de abrufbar (Quelle: DStGB Aktuell 4218 vom 19.10.2018)
Az.: 11.0.3