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Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft
StGB NRW-Mitteilung 583/1997 vom 05.12.1997
Jahresgutachten 1997/98 zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
1. Gesamtwirtschaftliche Entwicklung
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat sein Jahresgutachten 1997/98 vorgestellt.
- Rückblick auf 1997
Für 1997 stellt der Rat fest, daß die Finanzpolitik dadurch gekennzeichnet war, neu sich auftuende Haushaltslöcher mit Blick auf die Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages durch kurzfristig wirkende Maßnahmen ohne mittelfristige Orientierung zu schließen. Die Defizitquote des Staatshaushaltes konnte - in der für die Konvergenzprüfung maßgeblichen Abgrenzung - dadurch auf den Wert von 3,1 v.H. gedrückt werden. Im Sog der Exportnachfrage habe sich die konjunkturelle Erholung der deutschen Volkswirtschaft vollzogen, ohne jedoch eine entlastende Wirkung für den Arbeitsmarkt zu bewirken. Inflationäre Verspannungen bestehen nicht. Nach der Stockung zum Jahreswechsel 1996/1997 sei die Produktion kontinuierlich angestiegen. Eine spürbare Dynamik sei daraus noch nicht erwachsen. Im Jahr 1997 werde sich das Bruttoinlandsprodukt um knapp 2 ½ v.H. erhöhen.
- Prognose für 1998
Für das Jahr 1998 erwartet der Rat einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von etwa 3 v.H. Es zeichne sich zwar eine stärkere Entwicklung der Binnennachfrage ab, nicht aber ein durchgreifender Wechsel der Auftriebskräfte ab. Die letzte inländische Verwendung - als Summe aus privatem Verbrauch, Staatsverbrauch und Bruttoinvestitionen - werde im kommenden Jahr mit 1,5 v.H. nicht viel an Fahrt gewinnen. Der private Verbrauch dürfte im kommenden Jahr mit 2 v.H. wieder etwas stärker ansteigen. Seit dem Rezessionsjahr 1993 habe der Konsum zwar stetig zugelegt - im Durchschnitt der letzten vier Jahre real um knapp 1 ¼ v.H. - ohne allerdings einen kräftigen Expansionspfad zu erreichen. Der starke Abbau der Beschäftigung, seit dem Jahre 1991 um fast 2,5 Millionen Erwerbstätige, habe über die damit verbundene Dämpfung der Einkommensentwicklung die Möglichkeiten einer kräftigen Expansion der privaten Nachfrage spürbar beschränkt. Dahin wirke ebenso die zunehmende Steuer- und Abgabenlast, die zu einem deutlichen Rückgang der Nettoverdienste geführt habe. Der Rat weist weiter darauf hin, daß die Finanzplanungen für das Jahr 1998 ein Defizit unterhalb des 97er Wertes von 3,1 v.H. aufweisen. Der Konsolidierungsbedarf, gemessen am strukturellen Defizit, steige hingegen sowohl im Jahr 1997 als auch im Jahr 1998 an. Bezogen auf das nominale Inlandsprodukt ergeben sich Defizitquoten von 1,3 v.H. und 1,5 v.H. Dabei sei zu berücksichtigen, daß für beide Jahre in hohem Maße Privatisierungserlöse erwartet werden, die als einmalige Einnahmen keinen dauerhaften Konsolidierungsbeitrag darstellen. Bereinige man das strukturelle Defizit darum, dann ergebe sich eine Defizitquote von über 1,6 v.H. für 1997 und über 1,8 v.H. für 1998.
Der Rat weist weiter darauf hin, daß die nur verhaltene Fortsetzung des Aufbauprozesses in den neuen Bundesländern Enttäuschung habe aufkommen lassen. So stieg die gesamtwirtschaftliche Produktion im Jahr 1997 lediglich um 2 v.H. und damit erstmals nicht mehr stärker als in Westdeutschland. Auch für das Jahr 1998 sei eine Rückkehr zu den kräftigeren Zuwachsraten der Vorjahre nicht in Sicht, das Bruttoinlandsprodukt werde nur mit 2 ¼ v.H. zunehmen. In diesem Zusammenhang unterstreicht der Rat deutlich, daß sich der Aufbauprozess in einer kritischen Phase befindet. Die Art, in der die Wirtschaftspolitik diese Phase begleitet, entscheide viel über ihre Dauer und darüber, wie auf mittlere Sicht die Chancen für eine sich selbst tragende Dynamik sind. Dabei sollte sich niemand Illusionen hingeben: die Basis für einen dynamischen Aufbauprozess könne nicht durch staatliche Wirtschaftsförderung, sondern nur durch innovatives unternehmerisches Engagement verbreitert werden. Dafür sei von der Lohnpolitik über einen realistischen Kurs ein entscheidender Beitrag zu leisten. Der Staat könne nur indirekt Beistand leisten, indem generell die Angebotsbedingungen verbessert werden. Insoweit stelle die Situation in Ostdeutschland keine besonderen Forderungen an die Wirtschaftspolitik, sondern verstärke jene, die sich für die deutsche Volkswirtschaft als ganzes ergeben.
- Zusammenfassung
Der Sachverständigenrat stellt fest, daß die wirtschaftliche Lage in Deutschland zur Jahreswende 1997/98 durch eine trotz Belebung der Konjunktur anhaltende Wachstumsschwäche gekennzeichnet sei. Die Arbeitslosigkeit sei bedrückend hoch. Bis in dieses Jahr hinein sei sie angestiegen und voraussichtlich würden in den Wintermonaten neue Höchststände zu verzeichnen sein. Wie der Wachstumsschwäche beizukommen sei und wie der Trend bei der Beschäftigung dauerhaft umgekehrt werden könne, werde in den kommenden Monaten ein beherrschendes Thema in der politischen Diskussion sein.
Nach Auffassung des Rates bilden die bevorstehenden Schritte zur Schaffung der Europäischen Währungsunion ein zweites Thema, das die Öffentlichkeit beschäftigen wird. Die deutsche Bevölkerung stehe diesem Projekt noch mit zwiespältigen Gefühlen gegenüber - einerseits mit einer positiven Einstellung zur europäischen Integration, andererseits mit Bedauern über das bevorstehende Ende der D-Mark und der Ungewißheit darüber, was an ihre Stelle treten wird. Mit Einführung der neuen Währung entsteht Anpassungsbedarf für die Unternehmen, zugleich ändern sich die Handlungsbedingungen für die Tarifvertragsparteien und für die staatliche Wirtschaftspolitik.
Der Rat stellt mit dem Titel
Wachstum, Beschäftigung, Währungsunion -
Orientierungen für die Zukunft
zentrale Themen des Jahresgutachtens 1997/98 heraus, die Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen sind und es im kommenden Jahr auch bleiben werden.
2. Entwicklung der öffentlichen Finanzen
Die Entwicklung der öffentlichen Finanzen trägt den Titel "Öffentliche Finanzen: Ohne klare Linie".
Der Rat unterstreicht deutlich, daß der Zustand der öffentlichen Finanzen mit ausschlaggebend sein wird, wenn über die Erfüllung der Kriterien des Maastrichter Vertrages entschieden wird. Vor diesem Hintergrund bekomme die angespannte Situation in den Haushalten aller Gebietskörperschaften, die das ganze Jahr über anhielt, eine besondere Brisanz. Die Steuereinnahmen blieben erneut deutlich hinter den Planungen zurück, die stärker als erwartet angestiegene Arbeitslosigkeit machte zusätzliche Ausgaben notwendig. Mit zunehmender Anspannung in den Haushalten verzettelte sich die Finanzpolitik in der kurzatmigen Suche nach Mehreinnahmen und nach Möglichkeiten für Ausgabenkürzungen. Eine mittelfristige Orientierung war nicht erkennbar, die Angebotsbedingungen blieben finanzpolitisch stark belastet.
3. Ausführungen zur Finanzpolitik
Seine Ausführungen zur Finanzpolitik überschreibt der Rat mit dem Titel "Finanzpolitik: Blockaden überwinden".
In seinen Ausführungen zur Finanzpolitik findet der Rat deutliche Worte. So weist er darauf hin, daß Fehlverhalten und Versäumnisse der Vergangenheit maßgeblich für die gegenwärtige Lage in den öffentlichen Haushalten verantwortlich sind. Geschehen sei in diesem Jahr nichts, was dagegen hätte dauerhaft Abhilfe schaffen können. So sei die Finanzpolitik immer tiefer in den Teufelskreis aus hohen Ausgaben, steigende Abgabenlast, schrumpfender Steuerbasis, anhaltend hohen Defiziten und immer drückenderer Zinslast geraten. Der vordergründige Blick auf finanzpolitische Indikatoren für das Jahr 1997 - vor allem Staatsquote und Abgabenquote - mögen zwar zu der Feststellung verleiten, daß sich die Lage entspannt habe. Tatsächlich jedoch verenge das fortgesetzte Unterlassen notwendiger Strukturreformen die Handlungsspielräume des Staates immer stärker. Fehlen der Mut und die Kraft, sich der qualitativen Konsolidierung im erforderlichen Maße anzunehmen, dann bestehe kein Halten mehr bei der Fahrt in die Zinsfalle und es könne allenfalls gelingen, die Misere in den öffentlichen Haushalten mit temporär wirkenden Maßnahmen zu überdecken. Daß auch dies zunehmend schwieriger wird, sei im Jahre 1997 für jeden deutlich erkennbar geworden.
Az.: V/1-902-00