Eindrücke vom
Hauptausschuss 2024
Mitteilungen - Wirtschaft und Verkehr
StGB NRW-Mitteilung 792/2006 vom 13.11.2006
Kommunale Erwartungen an eine ÖPNV-Reform
Das Präsidium des Städte- und Gemeindebundes NRW hat sich in seiner Sitzung am 31.10.2006 ausführlich mit den kommunalen Erwartungen an eine Organisations- und Finanzreform des ÖPNV in Nordrhein-Westfalen befasst und folgende Thesen verabschiedet:
1. Das Präsidium fordert, dass eine Organisations- und Finanzreform des ÖPNV in NRW von den Prinzipien Kundenorientierung, Kostenstraffung und finanzieller Sicherung eines angemessenen öffentlichen Nahverkehrs vor Ort geleitet ist.
2. Die kreisangehörigen Städte und Gemeinden erwarten vom Landesgesetzgeber, gemeinsam mit ihnen am Grundprinzip eines regionalisierten öffentlichen Personennahverkehrs festzuhalten und somit eine ÖPNV-Organisation möglichst nah beim Nachfrager anzusiedeln. Dies bedingt
die Aufgabenträgerschaft für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) einerseits und den öffentlichen Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) andererseits auf der kommunalen Ebene,
eine Stärkung der Aufgabenträgerstellung bei Kompetenzen und Finanzierung
eine Organisation von unten nach oben bei der notwendigen regionalen und landesweiten Zusammenarbeit von Aufgabenträgern insbesondere im SPNV.
3. Die kreisangehörigen Städte und Gemeinden erwarten eine Landesgesetzgebung im Gleichschritt mit der Novellierung der Rahmenbedingungen auf europäischer und Bundesebene. Einer auf gesicherter Rechtsgrundlage basierenden und nachhaltigen Landesgesetzgebung ist gegenüber einer kurzfristigen, die unter dem Vorbehalt weiterer Änderungen auf Bundes- und EU-Ebene steht, der Vorzug zu geben. Die Kommunen erwarten von der EU-Rahmenrechtsetzung, dass sie folgendes gewährleistet:
Wahlrecht der Aufgabenträger zwischen Vergabe von ÖPNV-Leistungen und Eigenproduktion
Fairer Wettbewerb zwischen kommunalen und privaten Verkehrsunternehmen sowie zwischen in- und ausländischen Verkehrsunternehmen
Rechtssichere und finanziell abgesicherte Möglichkeiten für eine angemessene ÖPNV-Daseinsvorsorge auch im ländlichen Raum
Anerkennung flexibler Kooperationsstrukturen als Ausdruck interkommunaler Zusammenarbeit auf Aufgabenträger- sowie unternehmerischer Ebene
Sicherstellung kommunalen Engagements bei Verkehrsunternehmen durch Eigentümerstellung bzw. (steuerlichen) Querverbund.
Von der Bundesgesetzgebung erwarten die Städte und Gemeinden
eine Klärung der rechtlichen Verhältnisse zwischen Verkehrsunternehmen, Aufgabenträgern und Genehmigungsbehörden
eine Harmonisierung des verkehrsbezogenen Vergabe- und Genehmigungsrechts
eine Öffnung der Förder- bzw. Finanzierungstatbestände für eine pauschalisierte Mittelweitergabe auf Basis einer angemessenen Grundfinanzierung durch den Bund.
4. Das bestehende Organisationssystem bei SPNV und ÖSPV in NRW hat sich grundsätzlich bewährt. Die kreisangehörigen Städte und Gemeinden stehen aber Novellierungsüberlegungen aufgeschlossen gegenüber. Eine Reduzierung der bestehenden neun Kooperationsräume auf wenige große Einheiten als Hauptbestandteil der aktuellen Novellierungsbemühungen kann nicht per se als effizienter angesehen werden. Etwaigen Synergieeffekten müssen erwartbare Kostensteigerungen aus folgenden Erwägungen gegenüber gestellt werden:
Erhöhte Planungs-, Abstimmungs- sowie Personalkosten aufgrund größerer Ortsferne
Effizienzverluste durch stärkere vertikale Hierarchiestrukturen
Risiken nicht orts- bzw. situationsgerechter ÖPNV-Produkte und -Dienstleistun€gen.
5. Eine Organisations- und Finanzreform des ÖPNV in NRW sollte sich darauf konzentrieren, bereits erfolgreich praktizierte Zusammenarbeit in einzelnen Regionen landesweit rechtlich, finanziell und organisatorisch handhabbar zu machen. Von einer stärkeren Hochzonung von Kompetenzen auf die Landesebene in Bezug auf das operative Geschäft sollte zugunsten einer integrierten Gesamtverkehrsplanung sowie einer Zusammenarbeit mit den Aufgabenträgern und ihren Kooperationseinheiten u.a. über Zielvereinbarungen abgesehen werden.
6. Die Städte und Gemeinden haben akzeptiert, dass auch der Bereich des öffentlichen Nahverkehrs einen Beitrag zur Konsolidierung des Landeshaushaltes leisten muss und bereits geleistet hat. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die Straffung und Entbürokratisierung des geltenden Finanzierungssystems, das bislang von einer intransparenten Zahl von Förderinstrumenten sowie deren Umsetzung durch Fachministerium, Bezirksregierungen, Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen gekennzeichnet ist. Dieses Instrumentarium kann einer weitgehend pauschalierten Betriebsmittel- sowie Investitionsförderung an die Aufgabenträger weichen, wenn diese auf der Grundlage nachvollziehbarer, objektiver, dauerhafter und eine auskömmliche Finanzierung in allen Landesteilen sichernder Kritierien erfolgt.
Aufgaben- und Ausgabenverantwortung müssen konsequent und unverfälscht miteinander einhergehen. Entscheidungsbefugnisse über Mittelverwendung und weitergabe an Leistungserbringer können von der Aufgabenträgerebene nur unter entsprechender Einbindung in die Planungs- und Gestaltungsstrukturen nach oben verlagert werden. Nicht hinnehmbar ist es demgegenüber, wenn etwaige pauschalierte Finanzmittel lediglich als Restdurchfluss bei den kommunalen Aufgabenträgern ankommen, nachdem übergeordnete Ebenen ohne korrespondierende kommunale Einflussmöglichkeiten Zugriff nehmen konnten.
7. Bei der ÖPNV-Förderung müssen auch zukünftig neben den verkehrlichen Zielen einer angemessenen Flächenversorgung die strukturpolitischen Auswirkungen besonders beachtet werden. Die kreisangehörigen Städte und Gemeinden erwarten, dass nicht in einzelnen Landesteilen bedingungslose Qualitätsansprüche aus vorgeschobenen Wettbewerbsgründen (u.a. modal split) finanziert werden und in anderen Landesteilen ÖPNV-entleerte Resträume entstehen. Ein zukünftiger Verteilungsschlüssel für die angestrebte Investitions- und Betriebsmittelpauschale muss berücksichtigen, dass
gerade auch im ländlichen Raum eine umsatz- und arbeitsmarktintensive mittelständische Unternehmerstruktur existiert
die demographische Entwicklung vielfach zur Verlängerung der Fahrtstrecken insbesondere im Schülerverkehr führen wird und
die verkehrlichen Relationen in den Teilräumen des Landes vielfach nicht lediglich durch Pendlerströme in die Oberzentren, sondern durch stark vernetzte, disperse Verkehre in der Region selbst gekennzeichnet sind.
8. Die Aufgabenträgerschaft auch durch kreisangehörige Kommunen hat sich in NRW bewährt. Attraktive und effiziente Orts-, Stadt- und Bürgerbussysteme sowie Anrufsammeltaxiverkehre sind Beispiele, die belegen, dass das Innovationspotenzial gerade in diesem Bereich außerordentlich hoch ist.
Eine ÖPNV-Novellierung, die vor dem Hintergrund zurückgehender Finanzmittel flexible und situationsgerechte Bedienungsformen und ÖPNV-Angebote vorantreiben will, darf intelligenten Lösungsansätzen vor Ort keinen Riegel vorschieben, indem sie die Aufgabenträgerschaft der kreisangehörigen Städte unter dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes auf eine Restgröße reduziert.
9. Das Präsidium erwartet auch im kreisangehörigen Raum eine Weiterentwicklung der öffentlichen Personennahverkehrsangebote insbesondere durch verstärkte interkommunale und interregionale Zusammenarbeit. In diesem Zusammenhang unterstützt das Präsidium ausdrücklich die bereits laufenden Aktivitäten, auch zu den Detailfragen einer ÖPNV-Novellierung eine fachlich übereinstimmende Position der Spitzenverbände der Kreise und der kreisangehörigen Kommunen zu erreichen.
10. Die Nachfrager im Orts- und Regionalverkehr können unabhängig vom benutzten Verkehrsmittel eine sichere, zuverlässige, pünktliche und unbürokratische Abwicklung ihrer Fahrten verlangen. Aus kreisangehöriger Sicht kommt dem Verkehrsmittel Bus in seiner Erschließungsfunktion für überwiegend ländlich strukturierte Räume und für Wohngebiete außerhalb der Ballungszentren dabei besondere Bedeutung zu. Für den Bus sprechen hohe Flexibilität im Einsatz, sein günstiges Kosten-/Nutzenverhältnis und der beachtliche ökologische Standard bei Lärmentwicklung, Energiekosten pro Beförderungsfall sowie Flächenverbrauch.
Az.: III 645-60