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Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 321/2003 vom 25.03.2003
Mobilfunksendeanlage und kein Ende?
Das Oberverwaltungsgericht NRW hat sich mit der in der Presse vielfach Beachtung gefundenen Entscheidung vom 25.02.2003 - 10 B 2417/02 - noch einmal teilweise rechtsgrundsätzlich zu der baurechtlichen Einordnung von Mobilfunksendeanlagen geäußert.
Bei dem im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu beurteilenden Fall handelt es sich um einen 7,96 m über das Gebäudedach aufragenden Antennenmast. Die unmittelbare Umgebung des Gebäudes, auf dem der Antennenmast errichtet worden ist, wird durch eine 4- bis 5-geschossige Bebauung mit annähernd gleicher Firsthöhe geprägt. Die Mobilfunksendeanlage liegt von dem Wohnhaus des Antragstellers etwa 20 m entfernt.
Nach der Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post beträgt im vorliegenden Fall der Sicherheitsabstand der Anlage für die unterschiedlichen Sendebereiche in horizontaler Richtung zwischen 6,26 und 6,66 m und in vertikaler Richtung 1,13 m. Die Grenzwerte der 26. BImSchV werden eingehalten. Dem Antragsteller des etwa 20 m von der Antennenanlage entfernten Wohnhauses ist seitens des OVG NRW mit dem Beschluss vom 25.02.2003 die aufschiebende Wirkung seines Nachbarwiderspruchs gewährt worden. Das Vorhabengrundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Nach Einschätzung der 1. Instanz wie auch des entscheidenden OVG´s handelt es sich faktisch um ein allgemeines Wohngebiet i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 2 BauNVO.
Das Gericht vertritt zunächst die Auffassung, dass die Antennenanlage an den Vorschriften der §§ 30 bis 37 BauGB zu messen sei. Dies folge aus § 29 Abs. 1 BauGB. Der bundesrechtliche Begriff der baulichen Anlage setze neben dem im vorliegenden Fall ohne weiteres zu bejahenden verhältnismäßig weiten Begriff des Bauens als einschränkendes Merkmal eine (mögliche) planungsrechtliche Relevanz der Anlage voraus. Die Mobilfunksendeanlage habe nach Auffassung deshalb planungsrechtliche Relevanz, weil sie Belange berühre, die im Hinblick auf die Planungsanlässe des § 1 Abs. 3 BauGB und die Maßstäbe des § 1 Abs. 5 BauGB bei der Städteplanung zu berücksichtigen seien. Zu diesen Belangen zähle auch das Ortsbild der Gemeinde. Auf das Ortsbild habe eine Mobilfunksendeanlage der zu beurteilenden Art mit einem - gemessen von der Oberkante der Dachhaut - 7,96 m über das Gebäudedach aufragenden und deshalb im Ortsbild auffallenden Antennenmast durchaus Einfluss.
Da das Vorhaben in einem faktisch allgemeinen Wohngebiet gem. § 34 Abs. 2 BauGB liege und diese Bestimmung grundsätzlich nachbarschützende Qualität besitze, habe der Nachbar auf die Bewahrung der Gebietsart einen Schutzanspruch, der über das Rücksichtnahmegebot hinausgehe. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen sei, könne er deren Beachtung auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Der Nachbarschutz aus der Festsetzung eines Baugebiets - und auch jener nach § 34 Abs. 2 BauGB - gehe weiter als der Schutz aus dem Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 BauNVO. Auf die Bewahrung der Gebietsart habe der Nachbar einen Anspruch folglich auch dann, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung des Nachbarn führe, wie dies ansonsten notwendig wäre.
Der sog. Gebietsgewährleistungsanspruch zugunsten des Nachbarn greife gegenüber Vorhaben ein, die in der maßgeblich näheren Umgebung planungsrechtlich weder allgemein zulässig sind noch nach § 31 Abs. 1 oder 2 BauGB im Wege einer Ausnahme oder Befreiung zugelassen werden können.
Nach Auffassung des OVG NRW ist eine Mobilfunksendeanlage im allgemeinen Wohngebiet nicht allgemein zulässig. Sie kann allenfalls im Wege der Ausnahme oder Befreiung nach § 31 Abs. 1 oder 2 BauGB zugelassen werden.
Die genehmigte Mobilfunksendeanlage sei nach Auffassung des Gerichts auch nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO als Nebenanlage nicht allgemein zulässig. Unter Zugrundelegung des allgemein anerkannten Verständnisses des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (untergeordnete Nebenanlagen, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des gesamten Baugebiets selbst dienen) sei festzustellen, dass die streitige Mobilfunksendeanlage nicht nur dem Nutzungszweck der hier maßgeblichen näheren Umgebung, die im Rahmen der Anwendung des § 14 BauNVO nach § 34 Abs. 2 BauGB an die Stelle des Baugebiets nach § 14 BauNVO tritt, dient.
Ob die genehmigte Mobilfunksendeanlage im Wege der Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB entweder in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO oder in Verbindung mit § 34 Abs. 2 BauGB und § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zugelassen werden könne, werfe nach Auffassung des OVG NRW rechtlich schwierige Fragen auf, die sich im Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz nicht abschließend klären lassen.
Das OVG NRW weist sodann darauf in, dass § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO nur Nebenanlagen erfasst, die sich nicht an den Grenzen von Baugebieten orientieren. Demgegenüber ist § 14 Abs. 1 BauNVO auf solche Nebenanlagen beschränkt, deren Funktion sich auf das einzelne Baugrundstück oder speziell auf das konkrete Baugebiet bezieht.
In der Entscheidung wird sodann auf die in der Rechtsprechung umstrittene Einordnung: Nebenanlage oder Hauptanlage eingegangen. Zu dieser Alternative wird sodann ausgeführt, dass eine Genehmigung im Wege einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB von vornherein ausscheide, wenn man davon ausgehe, dass Mobilfunksendeanlagen der vorliegenden Art keine fernmeldetechnischen Nebenanlagen im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO seien. Nehme man hingegen an, dass Mobilfunksendeanlagen unter den Begriff der fernmeldetechnischen Nebenanlagen im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO fallen, so wäre der Tatbestand des § 31 Abs. 1 BauGB gegeben, so dass die Nachbarrechtswidrigkeit der erteilten Baugenehmigung davon abhinge, ob der Nachbar einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gem. § 31 Abs. 1 BauGB habe und - bejahendenfalls - ob die Entscheidung über die Erteilung der Ausnahme ermessensfehlerhaft ist.
Bei der Ermessensausübung seien die Belange des Nachbarn nicht erst dann zu berücksichtigen, wenn sich das Bauvorhaben ihm gegenüber als nach § 15 Abs. 1 BauNVO rücksichtslos erweise; vielmehr gebiete § 31 Abs. 1 BauGB die Berücksichtigung von Belangen des Nachbarn auch dann, wenn sie durch das genehmigte Bauvorhaben in einer Weise betroffen würden, die unterhalb der Schwelle der Rücksichtslosigkeit liegen.
Sollte die genehmigte Mobilfunksendeanlage nicht als fernmeldetechnische Nebenanlage, sondern als Hauptanlage anzusehen sein, die Gegenstand planungsrechtlicher eigenständiger Regelungen i.d.S. § 2 bis 13 BauNVO ist, käme die Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB und § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in Betracht. Dann müsste die Mobilfunksendeanlage ein "nicht störender Gewerbebetrieb" i.S. von § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO sein.
Bei der Beantwortung der Frage, ob es sich bei der Mobilfunksendeanlage um einen "nicht störenden Gewerbebetrieb" handele, seien alle mit der Zulassung des Betriebs nach dessen Gegenstand, Struktur und Arbeitsweise typischerweise verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung zu berücksichtigen. Dabei sei nach Auffassung des OVG NRW nicht nur auf Immissionen i.S.d. Bundesimmissionsschutzgesetzes abzustellen, sondern auch auf optische Auswirkungen des Vorhabens. Das Gericht stellt sodann in diesem Zusammenhang Folgendes fest: "Ein Vorhaben kann durchaus auch durch seine optische Erscheinung gebietswidrig laut wie die Erzeugung von Geräuschen sein". Damit sind nach diesseitiger Auffassung die Gesetze der Physik auf den Kopf gestellt.
Das Gericht untersucht sodann die Frage der Gebietsverträglichkeit der Mobilfunksendeanlagen. Dabei stellt das Gericht fest, dass eine Gebietsunverträglichkeit sich sowohl aus der Strahlenbelastung ergeben könne, die von der Mobilfunksendeanlage ausgehen würde, als auch von den optischen Auswirkungen, die mit dieser Anlage verbunden seien. Trotz der Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, die die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV bescheinige, müsse nach Auffassung des Gerichts durch die untere Bauaufsichtsbehörde in eigener Zuständigkeit geprüft werden, ob schädliche Umwelteinwirkungen i.S. von § 3 BImSchG - auch auf Nachbarn - hervorgerufen würden. Zu diesen Umwelteinwirkungen zählten auch die von Mobilfunksendeanlagen ausgehenden Strahlenimmissionen. Dabei müsse die Mobilfunksendeanlage so errichtet und betrieben werden, dass gegenwärtig keine schädlichen Umwelteinwirkungen entstehen können. Zum anderen seien, ungeachtet der Frage nach dem Bestehen einer sog. Vorsorgegrundpflicht im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG, auch zukünftig drohende - erkannte - erhebliche Beeinträchtigungen zu verhindern. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der zu erwartenden zukünftigen baulichen Entwicklung im Einwirkungsbereich der Anlage. Die untere Bauaufsichtsbehörde müsse folglich im vorliegenden Fall, in dem der Sicherheitsabstand - wie in der Standortbescheinigung angegeben - auf dem Nachbargrundstück liege, Feststellungen zur baulichen Erweiterung des Gebäudes auf diesem Grundstück treffen. Nach Auffassung des Gerichts bestehe die Möglichkeit, dass eine etwa rechtlich zulässige Aufstockung des Nachbargebäudes unter Umständen verhindert werden könne.
Wir empfehlen, diese Entscheidung bei der baurechtlichen Beurteilung von Mobilfunkanlagen nicht zu berücksichtigen. Vielmehr ist von der bisher von allen Verwaltungs- wie auch Zivilgerichten vertretenen Auffassung auszugehen, dass es hinsichtlich der Emissionen von Mobilfunkanlagen mit den Feststellungen der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post in den Standortbescheinigungen "sein Bewenden habe". Zudem ist die Gleichstellung von optischer Auswirkung mit Lärm geradezu abwegig (so zuletzt VG Gießen, Beschl. v. 08.07.2002 - 1 G 2239/02, NVwZ-RR 2003, 196 ff.).
Az.: II/1 615-02