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StGB NRW-Mitteilung 55/1996 vom 05.02.1996
OVG Münster zur Frauenförderquote im öffentlichen Dienst
Das OVG Münster hat mit Beschluß vom 19.12.1995, 6 B 2688/1995, sich zur Frage geäußert, welche Auswirkungen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17.10.1995, C-450/93, auf Bestimmungen des Landesbeamtenrechts hat, die eine sog. Öffnungsklausel vorsehen.
Die Entscheidung wird wegen ihrer besonderen Bedeutung nachfolgend auszugsweise veröffentlicht.
" Die Antragstellerin steht als Oberstudienrätin im Dienst des Landes. Im Verfahren zur Besetzung der Beförderungsstelle einer Studiendirektorin/eines Studiendirektors (Besoldungsgruppe A 15 BBesO) gab die Bezirksregierung dem beigeladenen Konkurrenten den Vorzug, der - wie die Antragstellerin - mit dem Spitzenprädikat beurteilt, jedoch dienst- und lebensälter ist. Der Senat hielt den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht für gerechtfertigt. Die Antragstellerin trete zwar im Vergleich mit dem Beigeladenen möglicherweise hervor, weil ihr das Spitzenprädikat mit dem Zusatz "Die Leistungsquote liegt im oberen Bereich." zuerkannt worden sei. Dies ändere aber nichts daran, daß die Antragstellerin und der Beigeladene im Sinne der Rechtsprechung des BVerwG (Beschluß vom 10.11.1993 - 2 ER 301.93 -, DVBl. 1994, 118) im wesentlichen gleich beurteilt seien und die auf Hilfskriterien gestützte Auswahlentscheidung voraussichtlich ermessensfehlerfrei sei.
Aus den Gründen;
Eine der Antragstellerin günstigere Entscheidung ist nicht im Hinblick auf § 25 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NW in der Fassung des Frauenförderungsgesetzes vom 31.10.1989 (GV NW 567) gerechtfertigt. Nach dieser Vorschrift sind allerdings Frauen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt zu befördern, soweit im Bereich der für die Beförderung zuständigen Behörde im jeweiligen Beförderungsamt der Laufbahn weniger Frauen als Männer sind und sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen. Die Beschwerdeerwiderung spricht außerdem dafür, daß im Zuständigkeitsbereich der Bezirksregierung in der maßgebenden Laufbahn Frauen unterrepräsentiert sind. Damit wird die Frage des Vorrangs eines Gesetzes nicht nur für die Verwaltung, sondern auch für die Rechtsprechung erheblich (Art. 20 Abs. 3 GG).
Der Senat hält § 25 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NW zwar in ständiger Rechtsprechung
- zuletzt Beschluß vom 31.10.1995
- 6 B 2809/95 -
für unvereinbar mit höherrangigem nationalen Recht. Dies führt jedoch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einer unterlegenen Bewerberin nicht mehr dazu, daß der Senat wegen Art. 100 Abs. 1 GG eine Vorlage an das BVerfG oder jedenfalls den Erlaß einer Sicherungsanordnung in Betracht ziehen müßte. § 25 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NW ist nicht nur mit höherrangigem nationalen Recht unvereinbar, sondern darüber hinaus auch mit Europäischem Gemeinschaftsrecht. Eine Entscheidung des BVerfG kann im Verfahren des Art. 100 Abs. 1 GG nicht mehr eingeholt werde, weil § 25 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NW nicht mehr entscheidungserheblich ist. Die Unanwendbarkeit der Norm steht bereits aus anderen Gründen fest.
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 17.10.1995 - C-450/93 -, NJW 1995, 3109 = DVBl. 1995, 1231, eine Entscheidung zur Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 09.02.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (Abl. 76 L 39/40) getroffen. Der Gerichtshof hat erkannt, Art. 2 Abs. 1 und 4 dieser Richtlinie stehe einer nationalen Regelung entgegen, nach der bei gleicher Qualifikation von Bewerbern unterschiedlichen Geschlechts um eine Beförderung in Bereichen, in denen die Frauen unterrepräsentiert sind, einer Bewerberin automatisch der Vorrang eingeräumt werde, wobei eine Unterrepräsentation dann vorliege, wenn in den einzelnen Vergütungsgruppen der jeweiligen Personalgruppe nicht mindestens zur Hälfte Frauen vertreten seien, und dies auch für die nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Funktionsebenen gelte. Der Entscheidung des EuGH liegt die Annahme zugrunde, die zitierte Richtlinie sei hinreichend bestimmt, um vom Einzelnen vor den nationalen Gerichten zu dem Zweck in Anspruch genommen zu werden, die Anwendung jeder nationalen Norm auszuschließen, die Art. 2 Abs. 1 und 4 der Richtlinie nicht entspricht.
Rechtsakten des Gemeinschaftsrechts kommt für den Fall des Widerspruchs zu innerstaatlichem Gesetzrecht auch vor deutschen Gerichten der Anwendungsvorrang zu. Dieser Anwendungsvorrang gegenüber späterem wie früherem nationalen Gesetzesrecht beruht auf einer ungeschriebenen Norm des primären Gemeinschaftsrechts, der durch die Zustimmungsgesetze zu den Gemeinschaftsverträgen in Verbindung mit Art. 24 Abs. 1 GG der innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl erteilt worden ist.
BVerfG, Urteil vom
28.01.1992 - 1 BvR 1025/82 und andere -,
NJW 1992, 964.
Die Auffassung des EuGH zur rechtlichen Qualität der genannten Richtlinie hält sich im Rahmen des durch das Zustimmungsgesetz zum EWG-Vertrag abgesteckten Integrationsprogramms. Dieses wahrt seinerseits die rechtsstaatlichen Grenzen, die einer Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 GG von Verfassungs wegen gesetzt sind. Das BVerfG übt die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Grundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden in Anspruch genommen wird, seine Gerichtsbarkeit nicht aus.
BVerfG, aaO.
Die Entscheidung des EuGH bezieht sich allerdings nicht auf § 25 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NW, sondern auf § 4 Abs. 1 und 2 des Gesetzes zur Gleichstellung von Frau und Mann im öffentlichen Dienst des Landes Bremen (Landesgleichstellungsgesetz) vom 20.11.1990 (Gbl. 433). Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
" (1) Bei der Einstellung, einschließlich der Begründung eines Beamten- und Richterverhältnisses, die nicht zum Zwecke der Ausbildung erfolgt, sind Frauen bei gleicher Qualifikation wie ihre männlichen Mitbewerber in den Bereichen vorrangig zu berücksichtigen, in denen sie unterrepräsentiert sind.
(2) Bei der Übertragung einer Tätigkeit in einer höheren Lohn-, Vergütungs- und Besoldungsgruppe sind Frauen bei gleicher Qualifikation wie ihre männlichen Mitbewerber vorrangig zu berücksichtigen, wenn sie unterrepräsentiert sind. Das gilt auch bei der Übertragung eines anderen Dienstpostens und bei Beförderung."
Die Vorschrift unterscheidet sich aber - aus Sicht des Gemeinschaftsrechts - im Hinblick auf die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern nicht wesentlich von der Regelung des § 25 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NW. Ausgangspunkt einer differenzierenden Betrachtung könnte allenfalls die in letzterer Bestimmung enthaltene Öffnungsklausel sein, wonach der Vorrang bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung nicht gilt, wenn in der Person eines (männlichen) Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen. Der Öffnungsklausel kommt jedoch aus Sicht des Gemeinschaftsrechts keine wesentliche Bedeutung zu. Dem Urteil des EuGH liegt der Beschluß des BAG vom 22.06.1993 - 1 AZR 590/92 - (BAGE 73, 269) zugrunde, in dem das BAG davon ausgegangen ist, § 4 des bremischen Landesgleichstellungsgesetzes sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß in bestimmten Härtefällen von der grundsätzlichen Bevorzugung der Frau bei der Beförderung eine Ausnahme zu machen sei (aaO., Seite 287). Das BAG hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich das Frauenförderungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zitiert und dessen Öffnungsklausel als § 4 des bremischen Landesgleichstellungsgesetzes immanent angesehen. Der EuGH weist auf diese Auslegung durch das BAG ausdrücklich hin (Nr. 9 des Urteils). Dem Entscheidungssatz im Urteil des EuGH wie auch den Entscheidungsgründen ist nichts dafür zu entnehmen, daß eine derartige Öffnungsklausel einer Vorrangregel die gemeinschaftsrechtlich unzulässige Automatik nehmen könnte."
Az.: I/1 043-00 wi/mu