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StGB NRW-Mitteilung 48/2004 vom 03.12.2003
OVG NRW und Förderantrag freier Träger der Jugendhilfe
Das OVG Münster hat in seinem Urteil vom 10.07.2003 (Az: 16 A 2822/01) eine Gemeinde dazu verpflichtet, einen auf § 74 SGB VIII gestützten Förderantrag eines Trägers der freien Jugendhilfe trotz Ablauf des entsprechenden Haushaltsjahres neu zu bescheiden.
In dem zu entscheidenden Fall hatte ein Elternverein als Besitzer einer Kindertageseinrichtung einen Förderantrag für das Jahr 2000 gestellt. Der zuständige Jugendausschuß beschloß, die Angelegenheit bis zu den allgemeinen Haushaltsberatungen des Rates zu vertagen und diesen mit der Aufstellung des Haushaltsplanes 2000 zugleich über den Antrag entscheiden zu lassen. Dieser sah zwar freiwillige Zuschüsse an sonstige Träger der freien Jugendhilfe sowie vertragliche Zuschüsse für zwei andere Träger von Kindertageseinrichtungen vor,jedoch keine freiwillige Betriebskostenzuschüsse für Kindertageseinrichtungen oder sonstige Mittel zur Verfügung des Jugendhilfeausschusses. Die erstinstanzlich abgewiesene Klage hatte in der Berufung teilweise Erfolg.
Das OVG Münster stellt in seinem Urteil fest, daß der Ablauf des Haushaltsjahres nicht zur Erledigung eines auf § 74 SGB VIII gestützten Förderantrages führt. Vielmehr sei im Falle einer rechtswidrigen Nichtleistung der Jugendhilfeträger verpflichtet, die erforderlichen Mittel in dem Folgejahr in den Haushalt einzustellen. Dies gelte sowohl für den Fall, daß ein gesetzlicher Anspruch auf die begehrte Leistung besteht, da dieser durch das Fehlen entsprechender Haushaltsmittel nicht berührt werde, als auch entsprechend für den Fall, daß die Förderung im Ermessen der Behörde stehe. Begründet wird dies zum einen mit § 79 SGB VIII, wonach der Jugendhilfeträger seiner jugendhilferechtlichen Gesamtverantwortung durch entsprechende Förderungen gerecht werden muß, zum anderen mit § 74 SGB VIII selbst, der dahingehend ausgelegt wird, daß Zuwendungen nicht nur für solche Aufwendungen gewährt werden sollen, die dem Zuwendungsempfänger im selben Jahr entstanden sind. Denn eine solche Annahme ergäbe sich weder aus dem Wortlaut, noch aus Sinn und Zweck der Vorschrift, die die Eröffnung eines möglichst weiten Spektrums an Förderungsmöglichkeiten vorsieht. Auch die neben der Festbetrags- und Anteilsförderung anerkannte Form der Fehlbetragsfinanzierung wäre - so das OVG - sonst nicht denkbar, da die Ermittlung eines etwaigen Fehlbetrages regelmäßig erst nach Erstellung der jährlichen Betriebskostenabrechnung möglich sei. Schließlich spreche auch der Umstand, daß der Jugendhilfeträger sowohl für die Bereitstellung als auch für die Verteilung der Mittel zuständig sei, für eine solche Auslegung, da der Rat es demzufolge selbst in der Hand habe, Rechtsfehler zu beheben.
Das OVG Münster bejaht in dem zugrundeliegenden Fall einen Verstoß gegen § 74 SGB VIII, der nach Ansicht des OVGs einen über § 18 GTK NRW hinausgehenden Förderanspruch gewährt. Da dem Rechtsanspruch auf Förderung jedoch bereits durch das nordrhein-westfälische Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder Geltung getragen wird, gewährt nach dem OVG der § 74 SGB VIII der Gemeinde einen Ermessenspielraum bezüglich der Frage, ob der Träger eine solche Förderung erhält als auch hinsichtlich der Art und Höhe der Förderung. Dabei habe der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die besonderen jugendhilferechtlichen Vorgaben, nämlich das jugendhilferechtliche Gleichbehandlungsgebot ( § 74 Abs. 5 SGB VIII), die Orientierung an den Interessen des Betroffenen ( § 74 Abs. 4 SGB VIII) und den Grundsatz der Trägervielfalt ( § 3 Abs. 1 SGB VIII) zu beachten.
Das OVG kommt in dem Fall zum Ergebnis, daß die Gemeinde bei der Entscheidung über den Förderantrag ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. So sei bereits in dem Ablehnungsbescheid falsch angeführt worden, daß keine Mittel für freiwillige Zuwendungen an freie Jugendhilfeträger zur Verfügung stünden, gleichwohl aber solche Ansätze im Haushaltsplan 2000 zu finden seien.
Abgesehen hiervon hätte - so das OVG - auch erwogen werden müssen, ob und in welchem Umfang durch Einsparungen im Bereich der sonstigen Jugendhilfe Mittel hätten freigesetzt werden können, um so eine Ungleichbehandlung zwischen vertraglich abgesicherten und nicht vertraglich abgesicherten Trägern von Kindertageseinrichtungen zu verhindern. Bei etwaigen rechtlichen Verpflichtungen gegenüber bestimmten Trägern könne die Gemeinde immer noch eine Abwägung bezüglich der Höhe treffen oder Verträge notfalls kündigen. Jedenfalls lasse der Bescheid nicht erkennen, daß überhaupt eine Auswahlentscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgt sei, die sich an den Maßstäben des Kinder- und Jugendhilferechts orientiert.
Eine Ermessensreduzierung in der Weise, daß nur eine Förderung in Höhe des vom Kläger begehrten Betrages rechtmäßig wäre, wird vom OVG jedoch nicht angenommen. Die Beklagte ist demnach nur dazu verpflichtet, den Förderantrag neu zu bescheiden.
Abgesehen von der materiellen Rechtswidrigkeit des Ablehnungsbescheides, hält das OVG Münster aufgrund der Verfahrensweise die Versagung auch in formeller Hinsicht wegen eines möglichen Verstoßes gegen §71 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für eventuell rechtswidrig. Danach hat der Jugendhilfeausschuß im Rahmen der von der Vertretungskörperschaft zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel, der von ihr erlassenen Satzung und der von ihr gefaßten Beschlüsse über Förderanträge freier Jugendhilfeträger zu entscheiden. Zwar hätten die von der Vertretungskörperschaft gefaßten Beschlüsse grundsätzlich Vorrang und die Vertretungskörperschaft sei auch befugt, bestimmte jugendpolitische Schwerpunkte zu setzen und dem Ausschuß diesbezügliche Vorgaben zu machen, etwa Mittel für bestimmte Zwecke zu binden, doch müsse --so das OVG in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ( BVerwG, Urteil vom 15.12.1994 - 5 C 30.91 -, BverwGE 97, 223, 229 f.) - dem Jugendhilfeausschuß in Fragen der Jugendhilfe ein Entscheidungsbereich von substantiellem Gewicht verbleiben. Dies sei wohl nicht mehr gegeben, wenn der Rat durch entsprechende Bestimmungen in der Haushaltssatzung eine Entscheidung über die Verteilung der Mittel insgesamt vereitelt.
Da im vorliegenden Fall der Rat keine freiwillige Zuschüsse für Kindertageseinrichtungen in den Haushaltsplan aufgenommen hat und somit der Jugendhilfeausschuß keine eigene Entscheidung über den Antrag des Klägers getroffen hat, könnte es sich um eine solche Vereitelung handeln. Doch zieht das OVG Münster auch in Erwägung, daß es sich dabei um eine noch zulässige Schwerpunktsetzung handelt, da der Haushaltsplan für keine andere Kindertageseinrichtung freiwillige, sondern ausschließlich gesetzliche und vertragliche Betriebskostenzuschüsse vorsah. Da der Ablehnungsbescheid jedenfalls materiell rechtswidrig ist, wird die Frage vom OVG Münster letztlich offengelassen.
Bei Interesse kann das Urteil bei der Geschäftsstelle angefordert werden.
Az.: III/2 708-2