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Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 135/2007 vom 17.01.2007
OVG NRW zu schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche
Das OVG NRW hat mit Urteil vom 11.12.2006 (Az.: 7 A 964/05) wichtige Ausführungen zur Auslegung des § 34 Abs. 3 BauGB im Hinblick auf „schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden“ getätigt.
In dem entschiedenen Fall geht es um eine beabsichtigte Nutzungsänderung eines Möbelmitnahmemarktes in einen Elektrofachmarkt mit ca. 2.250 m² Verkaufsfläche. Das streitige Vorhaben lag im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der für den Standortbereich ein Sondergebiet für Fachmärkte mit insgesamt maximal 3.000 m² Verkaufsfläche "für nicht citytypische Sortimente" zulässt. Wegen der fehlenden Bestimmtheit des gewählten Begriffes "citytypisch" hat das OVG die Ungültigkeit des Bebauungsplanes in seiner Gesamtheit angenommen.
Das Vorhaben war daher nach § 34 BauGB zu beurteilen. Der baurechtlichen Genehmigung steht jedoch nach Auffassung des OVG § 34 Abs. 3 BauGB entgegen. Ob das Vorhaben nach § 34 Abs. 1 oder nach § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilen ist, ließ das OVG letztlich dahinstehen, weil es wegen der zentrenschädigenden Wirkungen mit der Zulassungsvoraussetzung des § 34 Abs. 3 nicht vereinbar und deshalb unzulässig sei.
Zunächst befasst sich das OVG mit der Definition der zentralen Versorgungsbereiche. Es unterscheidet zwischen unterschiedlichen Typen, nämlich zwischen Innenstadtzentren, Nebenzentren sowie Grund- und Nahversorgungszentren. Solche Zentren seien sowohl aus konkreten Planungen als auch aus den vorhandenen örtlichen Gegebenheiten ablesbar. Ob und inwieweit erst noch zu entwickelnde zentrale Versorgungsbereiche über § 34 Abs. 3 BauGB geschützt werden können, ließ das Gericht offen, weil in dem Fall die zentrenschädigende Wirkung auf die bestehende Innenstadt abzuleiten sei. Einer exakten Grenzziehung des Innenstadtzentrums bedarf es nach Auffassung des OVG nicht, weil das Baugrundstück in jedem Falle nicht mehr dem zentralen Versorgungsbereich der Innenstadt zuzuordnen sei.
Sodann befasst sich das OVG näher mit dem Kriterium der schädlichen Auswirkungen. Diese nimmt es, wenn der betroffene zentrale Versorgungsbereich in seiner Funktionsfähigkeit beachtlich beeinträchtigt werden kann.
Diese beachtliche Funktionsstörung liegt im Fall der Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Standortgemeinde jedenfalls dann vor, wenn
"- das Vorhaben außerhalb eines zentralen Versorgungsbereiches angesiedelt werden soll,
- sein Warenangebot gerade (auch) solche Sortimente umfasst, die zu den für die gegebene Versorgungsfunktion des betreffenden zentralen Versorgungsbereiches typischen Sortimenten gehören und
- das Vorhaben nach seiner konkreten Lage und Ausgestaltung erwarten lässt, dass die Funktionsfähigkeit des betroffenen zentralen Versorgungsbereiches insbesondere durch zu erwartende Kaufkraftabflüsse in beachtlichem Ausmaß beeinträchtigt und damit gestört wird."
Dabei kommt es nach Auffassung des OVG nicht maßgeblich auf die üblicherweise in den Vordergrund gestellten prognostizierten Umsatzverteilungen an. Diese voraussichtlichen Umsatzverteilungen als solche seien kein maßgebliches Kriterium für die mit dem Begriff "schädliche Auswirkungen" erfassten Funktionsstörungen. Schon die zu erwartenden Umätze ließen sich nur bedingt einigermaßen verlässlich greifen. Noch schwieriger sei die Einschätzung der voraussichtlichen Umsatzumverteilungen, die von verschiedenen Faktoren abhingen, die allesamt baurechtlich nicht relevant und damit kein geeignetes Kriterium für die bauplanungsrechtliche Beurteilung von Vorhaben seien.
Das OVG stellt stattdessen auf die Verkaufsfläche ab, die generell primärer Maßstab für die Beurteilung der städtebaulichen Wirkung von Einzelhandelsbetrieben sei. Für das Kriterium, ob Funktionsstörungen des Zentrums zu erwarten seien, sei "in erster Linie ausschlaggebend, welche Verkaufsfläche der jeweils in Rede stehende Betrieb im Vergleich zu der gesamten Verkaufsfläche derselben Branche in dem zentralen Versorgungsbereich hat", auf den er einwirke. Für den Fall der Auswirkungen auf einen in der Realität bereits vorhandenen zentralen Versorgungsbereich sei maßgeblich auf die relative Größe der Verkaufsfläche des Vorhabens im Vergleich zu der Verkaufsfläche abzustellen, die im beeinträchtigten Versorgungsbereich bereits vorhanden sei.
Ein generell maßgeblicher Prozentsatz lasse sich allerdings nicht feststellen. In Anlehnung an die Vermutungsregelung des § 11 Abs. 3 BauNVO sei jedoch davon auszugehen, dass es einen bestimmten Prozentsatz des Anteils der branchenspezifischen Verkaufsfläche im vorhandenen Versorgungsbereich gebe, bei dessen Überschreitung im Sinne einer widerlegbaren Vermutung angenommen werden könne, dass das betreffende Vorhaben schädliche Auswirkungen erwarten lasse.
Einer abschließenden Entscheidung, welche Größe dieser für die widerlegbare Vermutung maßgebliche Prozentsatz habe, bedürfe es im vorliegenden Fall jedoch nicht, weil hier zur Überzeugung des Senats feststehe, dass solche Auswirkungen zu erwarten seien. In dem entschiedenen Fall betrage die vorgesehene Verkaufsfläche des Vorhabens immerhin 75 % der in der Innenstadt bereits vorhandenen Gesamtverkaufsfläche der in einem solchen Elek-trofachmarkt geführten Warengruppen. Außerdem mache der angestrebte Umsatz des Vorhabens rd. 60 % des in der betroffenen Innenstadt bereits getätigten (branchenspezifischen) Umsatzes aus. Bei diesen Größenordnungen sei ohne weiteres davon auszugehen, dass die Auswirkungen auf den zentralen Versorgungsbereich der Innenstadt als beachtliche Funktionsstörungen und damit schädliche Auswirkungen im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB zu qualifizieren seien.
Da das OVG aus diesen Überlegungen heraus die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 BauGB bejahte, ließ es auch dahingestellt, wer das Vorliegen dieser weiteren Zulassungsvoraussetzung darzulegen und im Streitfall ggfls. nachzuweisen hat.
Das Gericht brauchte auch nicht die Frage zu behandeln, welche Indizwirkung die Lage eines Einzelhandelsbetriebes mit zentrenrelevanten Hauptsortimenten außerhalb der in einem vom Rat beschlossenen räumlich-funktionalen Einzelhandels- und Zentrenkonzept bestimmten zentralen Versorgungsbereiche für die Annahme zentrenschädigender Auswirkungen haben kann. In der beklagten Stadt lag zwar eine entsprechende konzeptionelle Empfehlung aus einem GMA-Gutachten vor, das Konzept war aber noch nicht vom Rat beschlossen worden.
Az.: II/1 611-22