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Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser
StGB NRW-Mitteilung 571/2023 vom 23.08.2023
OVG NRW zum Bebauungsplan und Entwässerung
Das OVG NRW hat mit Beschluss vom 18.08.2023 (2 B 349/23.NE) in einem gerichtlichen Eilverfahren den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO bezogen auf den Vollzug eines Bebauungsplanes wegen einer angeblichen, mangelhaften öffentliche Abwasserbeseitigung im Baugebiet abgelehnt. Der Antragsteller befürchtete Überflutungsgefahren für sein Grundstück. Laut dem OVG NRW war die Entwässerungskonzeption im Bebauungsplan jedoch so angelegt, dass ein schwerer Nachteil für den Antragsteller durch den Vollzug des Bebauungsplanes nicht erkennbar war. Es stehe – so das OVG NRW - zu erwarten, dass die vorgesehenen Maßnahmen (Höhe der Bordsteinkante entlang der Planstraße, Errichtung einer Verwallung am nördlichen (und westlichen) Rand des Plangebietes – rechtzeitig greifen würden und sich zugunsten des Antragstellers auswirken werden. So diene die Verwallungsanlage der Rückhaltung von Niederschlagswasser und stelle wie das Anlegen von privaten Mulden zur Versickerung/Zurückhaltung von Niederschlagswasser aus dem Bereich von versiegelten/überbauten Flächen eine Maßnahme zum Schutz von Boden und Natur i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.08.2021 – 4 CN 9/00 - ; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.04.2021 – 2 A 21.18 -).
Das Entwässerungskonzept sei – so das OVG NRW – zudem auf der Grundlage der einschlägigen technischen Regelwerke (u. a. DWA-A 118 – Stand: 2006) zur hydraulischen Bemessung von Entwässerungssystemen, der DIN 1986-100 (Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke) und der DIN EN 752 (Stand: 2017) zu den Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden erstellt worden. Dieses bestreite – so das OVG NRW - auch der Antragsteller nicht. Eine planbedingte Gefährdung des Grundstücks der Antragsteller durch Überflutung durch Oberflächenwasser sei auf der Grundlage der vorliegenden, gutachterlichen Stellungnahmen nicht zu erwarten, auch nicht bei Starkregenereignissen.
Die Veränderungen gegenüber dem Ist-Zustand seien in Bezug auf das Grundstücks des Antragstellers als eher gering oder marginal einzustufen, ohne dass etwas dafür sprechen würde, dass eine bereits bestehende unhaltbare Gefährdungslage sich verfestigten würde. Insoweit verweist das OVG NRW darauf, dass sich aus dem planerischen Gebot der planerischen Konfliktbewältigung grundsätzlich kein Anspruch ableiten lässt, eine vorgefundene durch den Bebauungsplan indes unverändert (fort)bestehende Gefahrenlage zu beeinflussen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.06.2023 – 2 D 347/21.NE).
Die Geschäftsstelle weit ergänzend auf Folgendes hin:
Der Beschluss des OVG NRW vom 18.08.2023 (2 B 349/23.NE) zeigt auf, dass eine grundlegende Orientierung an den technischen Regelwerken (u. a. DWA A 118 zur Überstauhäufigkeit, DIN 1986-100 und DIN EN 752 zum Überflutungsschutz) eine tragfähige Plattform ist, um die Fragen der ordnungsgemäßen Beseitigung des Niederschlagswassers auch in einem Bebauungsplan sachgerecht zu regeln.
Gleichwohl muss stets beachtet werden, dass die Verwaltungsgerichte nicht über Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB, Art. 34 GG) gegen Gemeinden entscheiden und die zivilgerichtliche Rechtsprechung zur Amtshaftung sehr strengere Maßstäbe anlegt. Auf der Grundlage der bislang ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 22.04.2004 - Az.: III ZR 108/03 - ) haftet eine Stadt nur dann nicht für Überflutungsschäden durch Starkregen-Ereignisse auf privaten Grundstücken, wenn das Starkregen-Ereignis eine Wiederkehrintensität von mehr als einmal in 100 Jahren aufgewiesen hat, d.h. es liegt ein Starkregen vor, dessen Wiederkehrintensität 1 x in 100 Jahren überschreitet. Der BGH stellt bei der Frage der Haftung für Überschwemmungsschäden aber nicht nur auf den sog. Berechnungsregen ab, sondern erwartet stets auch eine Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse im Einzelfall (vgl. grundlegend: das sog. Weinberg-Urteil zu Hangwasser: BGH, Urteil vom 18.2.1999 – Az.: III ZR 272/96 -). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 18.2.1999 – Az.: III ZR 272/96 -) zur Amtshaftung (Art. 34 GG, § 839 BGB) müssen bei der Dimensionierung des öffentlichen Kanals somit neben dem sog. Berechnungsregen auch die konkreten örtlichen Verhältnisse im Einzelfall im jeweiligen Entwässerungsgebiet (z. B. Hangwasser, Schichtenwasser) Berücksichtigung finden.
Zwischenzeitlich orientiert sich die Rechtsprechung einiger Verwaltungsgerichte und Zivilgerichte aber auch an den technischen Regelwerken wie z. B. der DIN EN 752 zum Überflutungsschutz (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 15.09.2021 – 1 ME 100/21 – zur Auslegung eines öffentlichen Kanalnetzes in Anwendung des DIN EN 752 -; OVG NRW, Urteil vom 20.06.2022 – 11 A 2800/18 –; OVG NRW, Beschluss vom 18.08.2023 - 2 B 349/23.NE; OLG Koblenz, Beschluss vom 27.7.2009 – Az.: 1 U 1422/08; LG Trier, Urteil vom 21.5.2007 – Az.: 11 O 33/06 – : haftungsausschließende Gewalt bereits bei einer Wiederkehrintensität von einmal in 25 bis 30 Jahren in Anknüpfung an DIN EN 752 – Überflutungshäufigkeit bei Wohngebieten).
Neuere Rechtsprechung des BGH liegt gleichwohl nicht vor, so dass offen ist, ob der BGH dieser Rechtsprechungslinie ebenfalls folgen wird. Zuletzt hat der BGH mit Beschluss vom 20.12.2018 (Az.: III ZR 5/18 - ) die Revision gegen ein Urteil des OLG Düsseldorf vom 20.12.2017 (Az. 18 U 195/11) nicht zugelassen, wonach eine Gemeinde unter dem Gesichtspunkt des Hochwasser- und Überflutungsschutzes haftet, wenn Ackerwasser in ein Baugebiet fließt und dort zu Schäden führt. Dabei überdehnt das OLG Düsseldorf allerdings den Begriff des Hochwassers, weil laut dem BGH (Urteil vom 04.04.2002 – III ZR 70/01 – ; ebenso: LG Mönchengladbach, Urteil vom 29.07.2005 – Az.: 2 O 9/05 – abrufbar: www.justiz.nrw.de) eine Verpflichtung der Gemeinde unter dem Gesichtspunkt des Hochwasserschutzes ausscheidet, wenn ein Gewässer nicht vorhanden ist. Ebenso unterliegt Ackerwasser nicht der Abwasserbeseitigungspflicht der Gemeinde, weil es sich um Wasser von Niederschlägen handelt, welches auf unbefestigten Flächen niedergegangen ist und es sich somit im Sinne der bundesrechtlichen Abwasserdefinition in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG nicht um Wasser handelt, welches unmittelbar („vom Himmel kommend“) auf bebaute und/oder befestigte Fläche niedergegangen ist und von dort aus gesammelt abfließt (so jedenfalls: OVG NRW, Urteil vom 20.06.2022 – 11 A 2800/18 – Rz. 100 der Urteilsgründe).
Insgesamt bleibt es somit unverzichtbar, die Fragen des Überflutungsschutzes und der Klimaanpassung im Rahmen der Aufstellung eines Bebauungsplanes sorgfältig zu prüfen und entsprechende Festsetzungen in den Bebauungsplan aufzunehmen (vgl. Queitsch UPR 2023, S. 201 ff.). Insoweit zeigt das OVG NRW in seinem Beschluss vom 18.08.2023 (2 B 349/23.NE) auf, dass eine grundlegende Orientierung an den technischen Regelwerken (u. a. DWA A 118 zur Überstauhäufigkeit, DIN 1986-100 und DIN EN 752 zum Überflutungsschutz) eine tragfähige Plattform darstellt, um zu vermeiden, dass ein Bebauungsplan bezogen auf die Beseitigung des Niederschlagswassers an einem bauplanerischen Abwägungsdefizit leidet und deshalb als unwirksam eingestuft wird.
Az.: 24.1.1 qu