Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 211/2005 vom 02.02.2005

OVG NRW zum Zweiten Rettungsweg

1. Nach den seit 1984 maßgeblichen Brandschutzregelungen der Bauordnung NRW bedarf es eines zweiten Rettungswegs, wenn kein Sicherheitstreppenhaus vorhanden ist.

2. Der zweite Rettungsweg ist gewährleistet, wenn jede Nutzungseinheit mit Aufenthaltsräumen über eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle verfügt oder der zweite Rettungsweg baulich durch eine zweite notwendige Treppe sichergestellt ist.

3. Für den Einsatz von Anlegeleitern als Rettungsgeräten der Feuerwehr reicht es nicht aus, wenn die Anlegeleiter nur bis an die Brüstungsoberkante der zur Rettung in Betracht kommenden Stelle (Fenster, Balkon) heranreicht; die Leiter muss vielmehr mit mehreren Sprossen über die Oberkante der Brüstung hinausreichen.

4. Als bauliche Sicherstellung des zweiten Rettungswegs kommt auch eine außen am Gebäude angebrachte Spindeltreppe in Betracht (wie OVG NRW, Urt. v. 28.08.2001 – 10 A 3051/99 –).

5. Notleitern mit Rückenschutz gemäß DIN 14094-1 können zwar taugliche Mittel zur Gefahrenabwehr sein, sie sind aber kein gleichwertiger Ersatz für ein Sicherheitstreppenhaus (Klarstellung zu OVG NRW, Beschluss v. 22.07.2002 – 7 B 508/01 –).

6. Die erheblichen Risiken für Leib und Leben Dritter im Falle eines Brandes rechtfertigen es auch bei nachträglichen Anforderungen an den Brandschutz, solche Schutzmaßnahmen zu fordern, die in jeder Hinsicht „auf der sicheren Seite“ liegen; die Bauaufsichtsbehörde ist daher nicht gehalten, sich allein im finanziellen Interesse des Ordnungspflichtigen auf die Forderung der Anbringung von Notleitern zu beschränken.

OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2004 – 7 B 2142/04 –.

Der Antragsteller wandte sich gegen eine Ordnungsverfügung des Antragsgegners, mit der ihm unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgegeben worden war, das Treppenhaus seines bestehenden Mehrfamilienhauses aus Gründen des Brandschutzes zu einem Sicherheitstreppenhaus umzubauen. Sein Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gibt keinen Anlass, die Wertung des VG in Frage zu stellen, dass die angefochtene Ordnungsverfügung des Antragsgegners nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung offensichtlich rechtmäßig ist.

Zu Unrecht meint die Beschwerde, das VG habe schon deshalb von einem Ermessensfehler beim Einschreiten des Antragsgegners ausgehen müssen, weil die Einsatzhöhe der bei der Feuerwehr E. vorhandenen Anlegeleitern nicht konkret geprüft worden sei. Der angefochtenen Ordnungsverfügung liegt die tatsächliche Einschätzung zugrunde, „dass Personen aus dem 4. Stockwerk mit den vorhandenen Gerätschaften der örtlichen Feuerwehr in einem Brandfall nicht gerettet werden können“. Dass es an solchen Rettungsmöglichkeiten im vorliegenden Fall fehlt, haben die durch das Vorbringen des Antragstellers veranlassten Überprüfungen bestätigt.

In der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts ist für das hier einschlägige Landesrecht geklärt, dass es nach den seit 1984 maßgeblichen Brandschutzregelungen der Bauordnung NRW in den Fällen, in denen kein Sicherheitstreppenhaus vorhanden ist, eines zweiten Rettungsweges bedarf. Dieser ist nur dann gewährleistet, wenn jede Nutzungseinheit mit Aufenthaltsräumen über eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle verfügt oder der zweite Rettungsweg baulich durch eine zweite notwendige Treppe sichergestellt ist. (Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.07.2002 - 7 B 508/01 -, BRS 65 Nr. 140.)

Die Beschwerde irrt, wenn sie meint, die erstgenannte Alternative sei bereits dann erfüllt, wenn die für Rettungseinsätze der Feuerwehr vorhandenen Anlegeleitern mit den oberen Enden ihrer Holme gerade bis an die Oberkante der jeweiligen Fenster- oder Balkonbrüstung heranreichen, über die hinweg gefährdete Personen auf die Leiter umsteigen müssen. Insoweit kommen selbstverständlich nur solche Rettungsmöglichkeiten in Betracht, die den einschlägigen Sicherheitsvorschriften entsprechen. Dabei liegt auf der Hand, dass es aus Gründen der Sicherheit beim Übersteigen von der bzw. auf die Leiter erforderlich ist, dass mehrere Sprossen über die Brüstungsoberkante des Einstiegs hinweg reichen, insbesondere um einen sicheren Halt beim Überstieg zu gewährleisten. Dementsprechend sehen die im Anhang zur Dienstvorschrift (FwDv10) „Tragbare Leitern“ abgedruckten UVV Feuerwehren (Fassung 01.01.1993) - im Internet abrufbar unter www.feuerwehr-lahr.org/fwdv10.htm - in den Durchführungsregelungen zu § 20 Abs. 4 vor, dass der Absturzgefahr von Feuerwehrleitern vor allem dann vorgebeugt wird, wenn u.a. beim Übersteigen der Leiter mindestens 3 Sprossen über die Übersteigstelle hinausragen. Aus der auch vom Antragsteller – allerdings nur unvollständig - vorgelegten Unfallverhütungsvorschrift GUV-V D 36 „Leitern und Tritte“ folgt nichts Gegenteiliges. Nach § 22 dieser Unfallverhütungsvorschrift dürfen Anlegeleitern nur an sichere Stützpunkte angelegt werden (Abs. 1), und zwar nur so, dass sie mindestens 1 m über Austrittsstellen hinausragen, wenn nicht andere gleichwertige Möglichkeiten zum Festhalten vorhanden sind (Abs. 2). Auch frei stehend verwendete Anlegeleitern – d.h. Anlegeleitern mit angebrachten Stützeinrichtungen (Erläuterung zu § 2 Abs. 2) – dürfen nicht bis zur obersten Sprosse bestiegen werden, vielmehr dürfen nach § 23 Abs. 1 der Unfallverhütungsvorschrift die obersten vier Sprossen von frei stehend verwendeten Anlegeleitern nicht bestiegen werden.

Dass diese Kriterien am Wohnhaus des Antragstellers nicht erfüllt werden, ist an Hand der Lichtbilder ohne weiteres erkennbar. (Wird ausgeführt.)

Ein Ermessensfehler beim Einschreiten des Antragsgegners folgt nicht daraus, dass er ursprünglich Notleitern gem. DIN 14094-1 nicht als hinreichend sicheres Mittel zur Gefahrenabwehr gewertet hat.

Insoweit ist zunächst klarzustellen, dass aus der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts keineswegs abzuleiten ist, Notleitern mit Rückenschutz kämen generell als gleichwertiger Ersatz für ein Sicherheitstreppenhaus in Betracht. § 17 Abs. 3 Satz 2 BauO NRW konkretisiert die Anforderungen an den bei Fehlen eines Sicherheitstreppenraums erforderlichen zweiten Rettungsweg dahin, dass neben einer mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbaren Stelle ausdrücklich nur „eine weitere notwendige Treppe“ in Betracht kommt. Demgemäß kann bei nachträglichen Anforderungen zum Brandschutz zwecks Anpassung bestehender Gebäude an die nunmehr geltenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen etwa eine außen am Gebäude anzubringende Spindeltreppe gefordert werden. (Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.08.2001 – 10 A 3051/99 –, BRS 64 Nr. 201.)

Dem steht nicht entgegen, dass der Senat in seiner von der Beschwerde mehrfach erwähnten Rechtsprechung - vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.07.2002 – 7 B 508/01 –, BRS 65 Nr. 140 - im Einzelfall auch eine Notleiter mit Rückenschutz gem. DIN 14094 als (noch) taugliche Vorkehrung zur Sicherstellung des zweiten Rettungswegs bezeichnet hat. In jenem Fall hatte sich die Behörde von vornherein auf die Forderung beschränkt, eine solche Notleiter anzubringen. Es kam damit entscheidungserheblich u.a. darauf an, ob Notleitern mit Rückenschutz überhaupt als taugliches Mittel zur Gefahrenabwehr bei bestehenden Gebäuden gefordert werden können. Dies hat der Senat zwar bejaht, dabei aber zugleich zum Ausdruck gebracht, dass eine solche Maßnahme etwa dann ausscheidet, wenn es um die Rettung aus solchen – etwa rückwärtig gelegenen - Nutzungseinheiten geht, bei denen gefährdete Personen auf eine Selbstrettung ohne jede fachliche Mithilfe angewiesen sind.

Auch wenn hiernach Notleitern mit Rückenschutz als denkbare Alternative zu dem im vorliegenden Fall geforderten Umbau des Treppenhauses in einen Sicherheitstreppenraum in Betracht kommen, lassen die mit der Benutzung von Notleitern zwangsläufig verbundenen Risiken bei der (Selbst-)Rettung von Personen es nicht als fehlerhaft erscheinen, dass der Antragsgegner davon abgesehen hat, lediglich das Anbringen von Notleitern zu fordern. Die erheblichen Risiken für Leib und Leben Dritter im Falle eines Brandes rechtfertigen es auch bei nachträglichen Anforderungen an den Brandschutz, solche Schutzmaßnahmen zu fordern, die in jeder Hinsicht „auf der sicheren Seite“ liegen. Die zuständige Behörde ist nicht gehalten, allein im finanziellen Interesse des Ordnungspflichtigen wesentliche Abstriche an den zum Schutz von Leib und Leben sachgerechten Sicherheitserfordernissen hinzunehmen.

Die von der Beschwerde thematisierte Frage des möglichen Einsatzes von Notleitern mit Rückenschutz stellt sich nach alledem nur insoweit, als die Anbringung solcher Notleitern möglicherweise ein zulässiges Austauschmittel im Sinne von § 21 Satz 2 OBG ist. Nach dieser Vorschrift ist dem Betroffenen dann, wenn zur Gefahrenabwehr mehrere Mittel in Betracht kommen und die Behörde nach Satz 1 der genannten Vorschrift zulässigerweise eines dieser Mittel bestimmt hat, auf Antrag zu gestatten, ein anderes ebenso wirksames Mittel anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird. Bei der Anwendung von § 21 OBG geht es nicht, wie die Beschwerde meint, um die Grundsätze eines zivilrechtlichen Vergleichs nach § 779 BGB. Das Angebot eines Austauschmittels ist vielmehr ein öffentlich-rechtliches Instrument, das dem Ordnungspflichtigen gestattet, an Stelle der von der Behörde zulässigerweise geforderten Maßnahme zur Gefahrenabwehr eine andere, ihm – aus welchem Grund auch immer – genehmere Maßnahme wählen zu können. § 21 Satz 2 OBG setzt voraus, dass der Betroffene die aus seiner Sicht gleich geeignete Maßnahme zur Gefahrenabwehr konkret benennt, und zwar innerhalb der Frist des § 21 Satz 3 OBG. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Ordnungspflichtigen, den Nachweis zu erbringen, dass die von ihm vorgeschlagene Alternative in gleicher Weise zur Gefahrenabwehr geeignet ist.

Insoweit kann dahinstehen, welche rechtlichen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind, wenn der Pflichtige ein geeignetes Austauschmittel anbietet, namentlich ob ein solches Angebot überhaupt die Rechtmäßigkeit der zunächst angeordneten Gefahrenabwehrmaßnahme berührt oder nur die Rechtmäßigkeit der anschließenden Vollstreckung. (Vgl. hierzu etwa: OVG NRW, Urteil vom 22.01.1996 – 10 A 1464/92 –, BRS 58 Nr. 115 und OVG Rh.-Pf., Urteil vom 20.11.1996 – 8 A 13546/95 –, BRS 58 Nr. 214, jeweils m.w.N.)

Hier fehlt es schon am Angebot eines geeigneten Austauschmittels durch den Antragsteller. Die Anbringung einer Notleiter nur an einer Gebäudeseite reicht bereits deshalb nicht aus, weil auch die Küchenfenster der Wohnungen 2 und 4 im 4. Obergeschoss nicht hinreichend sicher angeleitert werden können und jede Nutzungseinheit über den zweiten Rettungsweg verfügen muss. Fehl geht auch der Einwand des Antragstellers, bei der Anbringung von Notleitern sei es allenfalls erforderlich, Ausstiegspodeste vor den Küchenfenstern des 4. Obergeschosses vorzusehen. Zutreffend weist der Antragsgegner darauf hin, dass Notleitern dann, wenn sie als Rettungsweg angebracht werden, auch in den darunter liegenden Geschossen – abgesehen von Wohnungen im Erdgeschoss, die ohne weiteres über Fenster bzw. den Balkon verlassen werden können – Zugangsmöglichkeiten haben müssen. Das Risiko, dass im Brandfall (vor Eintreffen der Feuerwehr) gefährdete Personen versuchen, den als solchen erkennbaren und hierzu angelegten Rettungsweg zu erreichen, um beispielsweise an der Außenseite des Rückenschutzes zum Erdboden zu gelangen, ist nicht von der Hand zu weisen.

Az.: II/1 660-00/1

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