Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 48/2023 vom 18.01.2023

OVG NRW zur Einhaltung von Abstandsflächen – Verschattung einer Solaranlage

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) hat mit Beschluss vom 02.11.2022 (Az. 2 A 518/22) entschieden, dass bei Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen gegenüber einem Grundstück mit einem mit einer Solar- bzw. Photovoltaikanlage ausgerüsteten Gebäude eine vorhabenbedingte teilweise Verschattung der Anlage grundsätzlich nicht als Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu werten ist. Es besteht laut dem Gericht regelmäßig kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass ein bestehender Lagevorteil einer nach Südwesten ausgerichteten Photovoltaikanlage fortbestehen wird.

Im zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um eine Nachbarschaftsanfechtung und um die Frage, ob eine Verschattung der eigenen Solaranlage eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots begründet. Der klagende Nachbar hatte sein Gebäude mit einer Solaranlage ausgestattet. Das streitige Bauvorhaben sieht die Errichtung einer Kindertagesstätte vor und liegt in einem reinen Wohngebiet. Es überragt das Nachbargebäude, ohne dass die Höhen im Berufungsverfahren angegeben wurden. Die Abstandsflächen können aber noch auf dem Baugrundstück abgebildet werden; zwischen Bau- und Nachbargrundstück liegt zudem ein weiteres, schmaleres Flurstück. Der Nachbar hatte in der ersten Instanz erfolglos auf den Gebietserhaltungsanspruch (Kindertagesstätte) und das Rücksichtnahmegebot mit Blick auf Niederschlagswasser bei Starkregenereignissen verwiesen. Die Berufung wurde nun um den Einwand der Ertragseinbußen durch Verschattung der Solaranlagen ergänzt.

Im Ergebnis blieb die Berufung ohne Erfolg. Das OVG NRW hat unterstrichen, dass Funktion und Schutzzweck der Abstandsflächen nicht zu Gunsten von Solaranlagen modifiziert werden. Im Kern stellt das Gericht in Bezug auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots auf den allgemeinen Grundsatz ab, dass immer dann, wenn Abstandsflächen eingehalten werden, für das Nachbargrundstück regelmäßig kein schutzwürdiges Vertrauen darin besteht, dass seine Lagegunst aufrechterhalten wird. Eine nur ausnahmsweise zu bejahende Rücksichtslosigkeit erfordere vielmehr eine substantiierte Angabe konkreter Anhaltspunkte. Für Solaranlagen gilt insoweit nichts anderes: Die Einhaltung der Abstandsflächen indiziert die Einhaltung der erforderlichen Rücksichtnahme. Das Gericht lässt folglich den Einwand von Ertragseinbußen bis zu 40 Prozent infolge einer Verschattung nicht als hinreichenden Ausnahmefall gelten. Hierbei hat das OVG NRW seine jüngste Rechtsprechung bestätigt, die abseits von den aus einer Gesamtbetrachtung resultierenden Ausnahmefällen noch Verschattungen von 2/3 der Solaranlagen und einen damit einhergehenden Ausfall von 75 bis 80 Prozent nicht hat ausreichen lassen (OVG NRW, Beschl. v. 18.07.2022 – 7 A 924/21).

Anmerkung aus kommunaler Sicht

Die Entscheidung verdeutlicht die bestehende Konfliktlinie zwischen einer sachgerechten Steuerung der Innenentwicklung und der Umsetzung der Energiewende „vor Ort“. Aus baurechtlicher Sicht ist die Entscheidung nachvollziehbar, da Abstandsflächen insbesondere eine ausreichende Belüftung und Besonnung von Nachbargrundstücken schützen, hierbei jedoch das Schutzgut Mensch und nicht die erneuerbare Stromerzeugung in den Mittelpunkt stellen. Genehmigungsfragen zu PV-Anlagen beziehen zudem regelmäßig nicht potenzielle Entwicklungen in der näheren Umgebung ein und können daher nicht Vertrauensschutz über die eigene Grundstücksgrenze hinweg entfalten. Ungeachtet dessen ist es erforderlich, dass diejenigen, die frühzeitig ihre Beteiligung an der Energiewende geleistet haben, durch – zulässige – Nachbarvorhaben nicht unzumutbar benachteiligt werden. Kommunal sollte daher im Einzelfall geprüft werden, inwieweit sich im Bestand eine "Gemengelage" an PV-Anlagen gebildet hat, die eine Steuerung durch die Bauleitplanung erfordern.

Mit Blick auf die Neuausweisung von Baugebieten gilt im Übrigen: Um sicherzustellen, dass Gebäude in einem Neubauquartier die Sonnenenergie sowohl aktiv als auch passiv bestmöglich nutzen können, kann in einem Bebauungsplan Vorsorge durch die Gestaltung der Baufelder betrieben werden. In Betracht kommen dafür insbesondere Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 Var. 3 BauGB zur Stellung der Gebäude. Denn die Ausrichtung eines Gebäudes hat einen erheblichen Einfluss auf dessen Belichtung und Besonnung sowie die Verschattung bzw. die Verhinderung von Verschattung von Nachbargebäuden. Darüber hinaus bleibt es dabei, dass über § 9 Abs. 1 Nr. 23 lit. b) BauGB eine Solardachpflicht festgesetzt werden kann.

 

 

Az.: 20.1.1.8-003/001 ste

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