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Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 748/2003 vom 05.09.2003
OVG NRW zur Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen
1. Die Unzumutbarkeit im Sinne des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots knüpft an den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG an, denn das BImSchG hat die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme auch für das Baurecht allgemein bestimmt.
2. Es ist Sache des Bauherren, im Genehmigungsverfahren den Nachweis zu erbringen, dass die zur Genehmigung gestellte Anlage die einschlägigen Zumutbarkeitskriterien einhält; dabei sind an die im Genehmigungsverfahren vorzunehmende prognostische Einschätzung einer Einhaltung der Zumutbarkeitskriterien insoweit hohe Anforderungen zu stellen, als sie in jedem Fall "auf der sicheren Seite" liegen muss.
3. Die Baufreiheit als das Recht, ein Grundstück baulich oder in sonstiger Weise zu nutzen, wird zwar vom Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) umfasst, sie ist aber nur nach Maßgabe des einfachen Rechts gewährleistet.
4. Die TA Lärm 1998 beansprucht nicht nur Geltung für die Prüfung und Überwachung von Anlagen, die einer Genehmigung nach dem BImSchG bedürfen, sondern auch bei der Prüfung der Einhaltung des § 22 BImSchG im Rahmen der Prüfung von Bauanträgen in Baugenehmigungsverfahren; ob die TA Lärm als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift anzusehen ist, kann dabei offen bleiben.
5. Nach dem sog. akzeptorbezogenen Ansatz der TA Lärm 1998 bemisst sich die Zulässigkeit einer zu prüfenden Anlage nicht mehr allein danach, ob die jeweilige Anlage für sich betrachtet den einschlägigen Immissionsrichtwert einhält, im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ist vielmehr eine näher modifizierte Gesamtbetrachtung vorzunehmen; zu den konkreten Anforderungen an diese Gesamtbetrachtung nach Nr. 3.2.1 der TA Lärm 1998.
6. Der akzeptorbezogene Ansatz gilt - wenn auch nur in abgeschwächter Form - gleichfalls für die (z.B. baurechtliche) Genehmigung von Anlagen, deren Immissionsauswirkungen nach § 22 BImSchG zu prüfen sind; zu den konkreten Anforderungen an diese Prüfung.
7. Auch wenn die Ermittlung von Lärmimmissionen nach dem Taktmaximalverfahren gewisse Schwächen aufweist, besteht jedenfalls ohne hinreichende wissenschaftliche Untermauerung kein Anlass, von seiner nach der TA Lärm vorgesehenen Anwendung abzusehen.
8. Zur Frage, ob die von Verkehrswegen (Bahnstrecke, Bundesstraße) ausgehenden Verkehrsgeräusche als "ständig vorherrschende Fremdgeräusche" im Sinne von Nr. 2.4 Absatz 4 der TA Lärm 1998 anzusehen sind.
OVG NRW, Beschl. v. 26.02.2003 - 7 B 2434/02
Aus den Gründen: [...] Seit langem ist höchstrichterlich geklärt, dass eine Anlage, deren Immissionen sich in den Grenzen des der Nachbarschaft gemäß § 5 Nr. 1 BImSchG Zumutbaren halten, auch in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nicht rücksichtslos ist. Es gibt kein bauplanungsrechtliches Rücksichtnahmegebot, das etwa dem Verursacher von Umwelteinwirkungen mehr an Rücksichtnahme zu Gunsten von Nachbarn gebieten würde, als es das BImSchG gebietet. Dieses Gesetz hat vielmehr die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme auch für das Baurecht allgemein bestimmt (vgl.: BVerwG, Urt. v. 30.09.1983 - 4 C 74.78 - BRS 40 Nr. 206 [S.453]; vgl. auch: BVerwG, Urt. v. 27.08.1998 - 4 C 5.98 - BRS 60 Nr. 83 [S. 318] und v. 23.09.1999 - 4 C 6.98 - BRS 62 Nr. 86 [S. 408]).
Die Unzumutbarkeit im Sinne des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots knüpft damit an den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG an. Hierbei handelt es sich um Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
Für die Beurteilung, ob Lärmimmissionen, die - wie hier - von einer gewerblichen Anlage ausgehen, im angeführten Sinne Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen bewirken, ist die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm einschlägig. Diese Technische Anleitung in ihrer nunmehr maßgeblichen Fassung vom 26.08.1998 (GMBI. S. 503) - TA Lärm - ist gemäß § 48 BImSchG nach Anhörung der beteiligten Kreise als Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BImSchG erlassen worden. Sie dient nach ihrer Nr. 1. dem Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche und misst sich - mit bestimmten, hier nicht interessierenden Ausnahmen - Geltung für alle Anlagen bei, die den Anforderungen des Zweiten Teils des Bundesimmissionsschutzgesetzes unterliegen, unabhängig davon, ob die Anlagen einer Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz bedürfen oder nicht. Sie erfasst damit auch die hier in Rede stehende Rundholzsortieranlage, die keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegt. Für solche Anlagen beansprucht die TA Lärm nunmehr Geltung insbesondere bei der Prüfung der Einhaltung des § 22 BImSchG im Rahmen der Prüfung von Bauanträgen in Baugenehmigungsverfahren; mithin auch für die Fälle, in denen bei der bauaufsichtlichen Genehmigung solcher Anlagen zu prüfen ist, ob bei der Errichtung und dem Betrieb solcher Anlagen schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. [...]
Es ist in der Tat Sache des Bauherren, im Genehmigungsverfahren den Nachweis zu erbringen, dass die zur Genehmigung gestellte Anlage die Zumutbarkeitskriterien der TA Lärm einhält. An die insoweit im Genehmigungsverfahren vorzunehmende prognostische Einschätzung einer Einhaltung der Zumutbarkeitskriterien, die im vorliegenden Fall angesichts des durch den mit einer früheren Baugenehmigung zugelassenen Probebetriebs der Rundholzsortieranlage auf messtechnisch ermittelte Erkenntnisse über das reale Immissionsverhalten gerade dieser konkreten Anlage aufbauen konnte, sind insoweit hohe Anforderungen zu stellen, als sie in jedem Fall "auf der sicheren Seite" liegen muss. [...]
Eine der grundlegenden Neuregelungen der TA Lärm gegenüber der früheren Fassung dieser Verwaltungsvorschrift (TA Lärm 1968) ist der sog. akzeptorbezogene Ansatz. Hiernach bemisst sich die Zulässigkeit einer zu prüfenden Anlage nicht mehr allein danach, ob die jeweilige Anlage für sich betrachtet den einschlägigen Immissionsrichtwert einhält. Im Genehmigungsverfahren ist vielmehr eine näher modifizierte Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Deren wesentliche Merkmale sind für die Zulassung von Anlagen, die einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen, in Nr. 3.2.1 der TA Lärm näher umschrieben. [...]
Dieser für die der Genehmigungspflicht nach dem BImSchG unterliegenden Anlagen in Nr. 3.2.1 der TA Lärm näher festgelegte akzeptorbezogene Ansatz gilt - wenn auch nur in abgeschwächter Form - gleichfalls für die Genehmigung von Anlagen, deren Immissionsauswirkungen nach § 22 BImSchG zu prüfen sind. [...]
Eine Anwendung von Nr. 3.2.1 Absatz 5 der TA Lärm - Unbeachtlichkeit eines Überschreitens des Immissionsrichtwerts wegen ständig vorherrschender Fremdgeräusche - scheidet hier hingegen ohne weiteres aus. Insoweit kann im vorliegenden Verfahren letztlich dahin stehen, ob die hier vornehmlich als Fremdgeräusche im Sinne von Nr. 2.4 Absatz 4 der TA Lärm in Betracht zu ziehenden Verkehrsgeräusche der zwischen dem Wohnhaus des Antragstellers und dem Betrieb der Beigeladenen gelegenen Verkehrswege (Bahnstrecke und Bundesstraße) jedenfalls deshalb nicht als ständig vorherrschend" anzusehen sind, weil sie immer wieder durch Ruhephasen (keine Vorbeifahrt eines Zugs oder eines Kraftfahrzeugs) unterbrochen werden, so dass die Geräusche des Betriebs der Beigeladenen zwar gelegentlich überdeckt werden, aber auch immer wieder individuell wahrnehmbar sind (vgl. zur Oberdeckung der Geräusche einer Windenergieanlage durch Windnebengeräusche: OVG NRW, Urt. v. 18.11.2002 - 7 A 2139/00 -). Dass die Verkehrsgeräusche hier nicht nach Nr. 3.2.1 Absatz 5 der TA Lärm beachtlich sind, folgt schon daraus, dass die Geräusche der Rundholzsortieranlage in besonderem Maß impulshaltig sind. [...]
Az.: II/1 615-02