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Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 152/2012 vom 16.02.2012
OVG Sachsen zum Schutz von Nachbarrechten bei Mobilfunkmasten
Das OVG Sachsen hat mit Beschluss vom 27.05.2011 - 1 A 297/10 — Folgendes entschieden:
- Eine Baugenehmigung eines Mobilfunkbetreibers kann nicht mit dem Argument angefochten werden, dass die Grenzwerte der 26. BImSchV keine ausreichende Sicherheit für die Nachbarn bieten.
- Das erkennende Gericht kann bei Vorliegen konkreter gesicherter Erkenntnisse von erheblichem wissenschaftlichem Gewicht eine eigene Risikoeinschätzung vornehmen, sofern die vom Verordnungsgeber der 26. BImSchV getroffene Risikoeinschätzung von diesem als überholt eingeschätzt wird.
Problem/Sachverhalt
Ein Grundstückseigentümer klagt gegen die Baugenehmigung über einen in seiner unmittelbaren Nähe errichteten Mobilfunkmast. Neben baurechtlich relevanten nachbarrechtlichen Einwendungen trägt er auch konkrete Aspekte der Gesundheitsgefährdung vor, die durch Mobilfunkstrahlung entstehen. Im Laufe des langjährigen Verfahrens werden zahlreiche Studien und aktuell greifbare Einschätzungen einschlägiger Wissenschaftler dem Verwaltungsgericht vorgelegt. Das Verwaltungsgericht weist die Klage ab, da zum einen die baurechtlich relevanten nachbarrechtlichen Belange nicht verletzt seien und darüber hinaus sich die Belastung mit Mobilfunkstrahlen im Rahmen der Grenzwerte der 26. BImSchV halte. Hiergegen wendet sich der sodann erhobene Antrag auf Zulassung der Berufung und geht auf die notwendige europaweite Harmonisierung der Grenzwerte ein. Der Eigentümer argumentiert, dass die Grenzwerte deutlich gesenkt werden müssten, zumal diese in anderen Staaten der europäischen Gemeinschaft deutlich niedriger seien.
Entscheidung
Ohne Erfolg. Das OVG Sachsen lässt den Antrag auf Berufung nicht zu. Insbesondere gelten nach wie vor die Grenzwerte der 26. BImSchV. Der Bedarf einer Harmonisierung oder Rückgriff auf niedrigere Grenzwerte bestehe nicht. Auch seien konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse weder dargelegt noch ersichtlich. Das OVG Sachsen stellt jedoch klar, dass im konkreten Einzelfall ein erkennendes Gericht allerdings dann die Möglichkeit habe, eine eigene Risikoeinschätzung vorzunehmen. Damit könne dann ein Gericht im Einzelfall die Grenzwerte der 26. BImSchV nicht mehr gelten lassen, wenn konkrete Anhaltspunkte und Fakten vorliegen, die von erheblichem wissenschaftlichen Gewicht seien, so dass bereits zu diesem Zeitpunkt die mit der 26. BImSchV getroffene Risikoeinschätzung als überholt angesehen werden könne.
Praxishinweis
Die Entscheidung reiht sich in eine lange Reihe von gerichtlichen Feststellungen ein, soweit es um die derzeitige Rechtslage im Hinblick auf die Grenzwertdiskussion geht (statt vieler OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.01.2004 - 7 B 2482/03). Allerdings hat diese Entscheidung auch insoweit richtungsweisenden Charakter, als dass Gerichte, die sich zukünftig mit Einwendungen im Hinblick auf die Grenzwerte beschäftigen, gehalten sind zu prüfen, ob nicht eine eigene Risikoeinschätzung geboten ist.
Damit kann gerade im Hinblick auf eine Gesundheitsgefährdung eine eigene Entscheidung des Gerichtes statt des Verordnungsgebers im Einzelfall getroffen werden, also auch bevor der Verordnungsgeber selbst reagiert. Eine Entscheidung, die zumindest ansatzweise im Rahmen der Gesundheitsdiskussion um Mobilfunkstrahlen zu Gunsten der betroffenen Nachbarn wirkt. (Quelle: IBR Januar 2012, S. 48)
Az.: II gr-ko