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Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft
StGB NRW-Mitteilung 187/2003 vom 17.02.2003
Pressemitteilung: Städte und Gemeinden vor dem finanziellen Kollaps
Die Städte und Gemeinden von Nordrhein-Westfalen befinden sich in der schwersten Finanzkrise seit Gründung der Bundesrepublik. Die Einnahmen brechen weg, die Ausgaben steigen an. Der Finanzierungssaldo befindet sich im freien Fall von -510 Mio. € im Jahr 2000 auf - 2,1 Mrd. € im Jahre 2001 und katastrophale -3 Mrd. € im Jahr 2002. Eine solche Bilanz hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Es ist bereits fünf nach Zwölf. Immer mehr Städte und Gemeinden finanzieren ihre Personalkosten über Kassenkredite - Geld, das für Investitionen und damit für Wachstum und Arbeitsplätze fehlt. Mangels Investitionen verrotten immer mehr Schulen, Büchereien werden geschlossen, weitere Einschränkungen wie Suchtberatung, Vereinsförderung und Jugendarbeit folgen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW, Dr. Bernd Jürgen Schneider, heute in Lüdinghausen vor den Bürgermeistern des Kreises Coesfeld.
Alle Einnahmenquellen der Kommunen sind rückläufig. Nach der jüngsten Steuerschätzung haben die Kommunen in NRW allein im Jahr 2002 830 Mio. € Steuereinnahmen verloren. Im Jahr 2003 werden es fast 910 Mio. € sein. Der Gewerbesteuer-Einbruch des Jahres 2001 von 12 Prozent (netto) hat sich auch 2002 fortgesetzt: Der Rückgang wird weitere 13 Prozent betragen - ein Minus von 1,2 Mrd. € seit dem Jahr 2000. Auch der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer ist rückläufig. In der Konsequenz haben sich die Kassenkredite der NRW-Kommunen in den ersten drei Quartalen 2002 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt - von 2,1 Mrd. € Ende 2001 auf gut 4,5 Mrd. € am 30.09.2002.
Die kommunalen Investitionen stürzten von 1992 (4,7 Mrd. €) bis Ende 2002 (2,6 Mrd. €) um 2,1 Mrd. € = - 45 Prozent ab. Allein die Bauinvestitionen sind im Jahr 2002 um 4,9 Prozent zurückgegangen. 2001 war bereits ein Rückgang von sechs Prozent zu verzeichnen. Die kommunalen Ausgaben, insbesondere für soziale Leistungen, steigen unaufhaltsam. Die Zurückhaltung bei den Investitionen verhindert einen Konjunkturaufschwung; jeder Euro kommunale Investitionen löst drei weitere Euro private Investitionen aus. Die negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind gravierend, erklärte Dr. Schneider.
Angesichts dieser dramatischen Lage fordert der Städte- und Gemeindebund NRW Soforthilfen zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommunen und zur Belebung der lokalen Arbeitsmärkte. Dazu gehört insbesondere:
Ein kommunales Investitionsprogramm des Bundes von mindestens 10 Milliarden €
Die sofortige Senkung der Gewerbesteuerumlage auf das ursprüngliche Niveau. Dies würde die Kommunen bundesweit um 2,3 Mrd. € (NRW: 500 Mio. €) entlasten.
Durch eine grundlegende Reform der Gemeindefinanzen ist die Gewerbesteuer durch Ausweitung der Steuerpflicht auf die freien Berufe (z.B. Rechtsanwälte, Ärzte) zu modernisieren. Zusätzlich ist ein Hebesatzrecht auf den gemeindlichen Einkommensteueranteil einzuführen. Ein solches Hebesatzrecht stärkt die gemeindliche Finanzautonomie, fördert die Demokratie vor Ort und wirkt der Anspruchsinflation von Bürgern entgegen, die oft mehr Leistungen fordern, sich aber über die Finanzierung keine Gedanken machen.
Zusätzlich müssen in der Verfassung kommunale Mitwirkungsrechte nach dem Beispiel des österreichischen Konsultationsmechanismus sowie das Konnexitätsprinzip (Wer bestellt, bezahlt) verankert werden.
Unverzichtbar, so Schneider, sei zudem eine grundlegende Reform der sozialen Sicherungssysteme. Der ungebremste Anstieg Ausgaben der Kommunen für soziale Leistungen von 6,4 Mrd. € im Jahr 1990 auf 8,7 Mrd. € im Jahr 2003 sei für die Kommunen nicht länger zu verkraften. Allein in den zurückliegenden drei Jahren stiegen die kommunalen Sozialausgaben in NRW um rund 35 Prozent. Die Bundespolitik belastet die kommunalen Haushalte weiter durch die Gesetzgebung im Sozialbereich. Mit dem Grundsicherungsgesetz werden die Kassen der NRW-Kommunen mit rund 300 Mio. € belastet.
Die demografische Entwicklung verschärft den Druck auf die Rentenversicherung. Es besteht damit die Gefahr, dass die Leistungen der Grundsicherung immer stärker in Anspruch genommen werden müssen. Das finanzielle Risiko tragen die Kommunen. Die bisherigen sozialen Leistungen sind nicht mehr finanzierbar. Die Politik muss endlich handeln. Dazu gehört auch die notwendige Ehrlichkeit gegenüber den Bürgern. Mit immer weniger Steuern können nicht immer bessere Leistungen erbracht werden. Nicht alles was wünschenswert ist, ist auch finanzierbar.
Der Städte- und Gemeindebund NRW fordert daher ein Notprogramm zur Rettung der Kommunen:
1. Angesichts des Absturzes der Gewerbesteuer ist der Anteil von Bund und Ländern (Gewerbesteuerumlage) von derzeit 26, künftig 30 Prozent auf 20 Prozent zu senken.
2. Die landesseitig den Kommunen auferlegte Mitfinanzierung in den Bereichen Krankenhausinvestitionen und Unterhaltsvorschussgesetz ist zu beenden.
3. Die den Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen entstehenden Kosten sind diesen vom Land ohne Rückgriff auf das Gemeindefinanzierungsgesetz voll zu erstatten.
4. Zur Stärkung unserer Schulen ist die Schulpauschale aus Landesmitteln spürbar zu erhöhen.
5. Zum weiteren Schutz gegen Kostenverlagerungen muss im Grundgesetz und in der Landesverfassung das strikte Konnexitätsprinzip (Wer bestellt, bezahlt) verankert werden. Gleichzeitig ist den Kommunen ein Vetorecht gegen kostenträchtige Gesetze und Verordnungen einzuräumen.
6. Die den Kommunen übertragenen Aufgaben müssen in Umfang und Ausgestaltung den finanziellen Möglichkeiten angepasst werden. Die Mitfinanzierung staatlicher Aufgaben ist zu beenden.
7. Zur Stärkung der kommunalen Investitionskraft und damit zur Ankurbelung von Konjunktur und Arbeitsmarkt sind Investitionshilfen des Bundes aus seinen UMTS-Erlösen unerlässlich. Dies wäre ein Ausgleich für die Steuerverluste, die den Kommunen infolge der Abschreibung der Kaufsumme entstehen.
Az.: G/2