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Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 411/2002 vom 05.07.2002
Privilegiertes Vorhaben im Außenbereich
Die bauplanungsrechtlichen und die naturschutzrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für Vorhaben im Außenbereich haben einen eigenständigen Charakter und sind unabhängig voneinander zu prüfen.
Im Falle eines privilegierten Außenbereichsvorhabens (§ 35 Abs. 1 BauGB) unterliegt die Frage, ob dem Vorhaben nach § 35 Abs. 1 BauGB öffentliche Gründe entgegenstehen, und die naturschutzrechtliche Entscheidung nach § 8 Abs. 3 BNatSchG in Verbindung mit den entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen der vollen gerichtlichen Kontrolle.
BVerwG, Urt. vom 13. Dez. 2001 - 4 C 3.01 - (VGH Mannheim)
Zum Sachverhalt:
Die Kl. begehrt die Feststellung, daß der Bekl. verpflichtet gewesen sei, einen Bauvorbescheid für vier Windkraftanlagen zu erteilen. Unter Änderung eines früheren Antrages beantragte die Kl. am 6. August 1997 einen Bauvorbescheid für die Errichtung von vier Windkraftanlagen der Leistungsklasse 600 kW mit 63 m Nabenhöhe und 44 m Rotordurchmesser im Gebiet der beigeladenen Stadt. Der Standort der geplanten Windkraftanlagen befindet sich im Außenbereich auf der Hochfläche der etwa 740 m über N.N. gelegenen L.Alb. Das Grundstück wird landwirtschaftlich genutzt; es steht weder unter Landschafts- noch unter Naturschutz. Die Hochfläche bietet einen guten Fernblick und ist dementsprechend auch von weither wahrnehmbar.
Die beigeladene Stadt erteilte ihr Einvernehmen mit dem Vorhaben unter der Bedingung, daß die Anlagen von keinem Haus der Tallage des Stadtteils W. aus sichtbar seien und die Lärmbelästigung nicht mehr als 37 dB(A) betrage.
Auf Grund einer naturschutzrechtlichen Weisung des Regierungspräsidiums Stuttgart lehnte das Landratsamt G. die Bauvoranfrage mit Bescheid vom 23. Juni 1998 ab.
...
Der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Klage hat das VG stattgegeben.
Auf die Berufung des beklagten Landes hat das BerGer das Urteil des VG geändert und die Klage abgewiesen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. April 2000- 8 S 318/00 - NVwZ 2000, 1063 - ZfBR 2001, 212).
Aus den Gründen:
... Das BerGer ist zu Recht davon ausgegangen, daß sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der vier Windkraftanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB richtet. Es handelt sich um Anlagen, die der Nutzung der Windenergie dienen und im Außenbereich bevorrechtigt zulässig sind.
Sie wären gleichwohl unzulässig, wenn ihnen öffentliche Belange entgegenstehen würden. Nach der Rechtsauffassung des BerGer ist dies der Fall. Es hat angenommen, daß den Windkraftanlagen der Kl. die in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführten Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege entgegenstehen. Zur Begründung hat das BerGer auf das Ergebnis der behördlichen Abwägung im Rahmen der - wegen des Eingriffscharakters des Vorhabens hier anzuwendenden - naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW zurückgegriffen. Gemäß § 8 a Abs. 2 Satz 2 BNatSchG bleibe nämlich für Vorhaben im Außenbereich die Geltung der Vorschriften über die Eingriffsregelung unberührt. Um Widersprüchlichkeit bei der Anwendung der §§ 8 a Abs. 3 BNatSchG, 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW einerseits und § 35 Abs. 1 und 3 BauGB andererseits zu verhindern, müsse das Ergebnis der behördlichen Abwägung im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung auch für die nachvollziehende Abwägung bei der Subsumtion unter die Rechtsbegriffe des § 35 Abs. 1 und 3 BauGB verbindlich sein. Die ablehnende Entscheidung des beklagten Landes nach § 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW i.V.m. § 8 Abs. 3 BNatSchG halt der gerichtlichen Überprüfung stand.
Dem ist nicht zu folgen. Die Rechtsauffassung des BerGer, das Ergebnis der naturschutzrechtlichen Abwägung könne für die Abwägung innerhalb des § 35 Abs. 1 BauGB übernommen werden, ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Sie verkennt den jeweils eigenständigen Charakter der bauplanungsrechtlichen und der naturschutzrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Außenbereichsvorhabens.
Nach § 8 a Abs. 2 Satz 2 BNatSchG, der gemäß § 4 Satz 3 BNatSchG unmittelbar geltendes Bundesrecht ist, bleibt für Vorhaben im Außenbereich nach § 35 BauGB die Geltung der Vorschriften über die Eingriffsregelung unberührt. Das bedeutet, daß bei einem Vorhaben im Außenbereich sowohl eine bauplanungsrechtliche Prüfung am Maßstab des § 35 BauGB als auch eine naturschutzrechtliche Prüfung am Maßstab der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung zu erfolgen hat. Ob das Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist, richtet sich nicht nach seiner naturschutzrechtlichen Zulässigkeit. Vielmehr stehen die Anforderungen des § 35 BauGB, auch soweit sie "naturschutzbezogen" im Sinne von Absatz 3 Nr. 5 sind, unabhängig neben den Anforderungen des Naturschutzrechts.
Das gilt auch für gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegierte Vorhaben. Diese sind dem Außenbereich vom Gesetzgeber im Grundsatz "planähnlich" zugewiesen (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 1967 - 4 C 86.66 - BVerwGE 28, 148). Sie sind gleichwohl nicht zulässig, wenn ihnen die in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange entgegenstehen. Ob dies der Fall ist, hat die Behörde innerhalb einer die gesetzhohe Wertung für den konkreten Einzelfall nachvollziehenden Abwägung zu ermitteln. Ein Ermessensspielraum steht ihr dabei nicht zu. Diese "nachvollziehende" Abwägung ist gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar (stRspr, vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 - 4 C 4.00 -, DVBI 2001, 1855).
Demgegenüber gebietet die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung zunächst, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu vermeiden und unvermeidbare Beeinträchtigungen nach Möglichkeit auszugleichen (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG). Schon dies macht die Eigenständigkeit der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung deutlich. Erst wenn - wie im vorliegenden Fall - ein Eingriff in Natur und Landschaft unvermeidbar und nicht ausgleichbar ist, muß gemäß § 8 Abs. 3 BNatSchG bzw. nach den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften ebenfalls eine Abwägung vorgenommen werden. Ob das Ergebnis dieser Abwägung grundsätzlich mit dem Ergebnis der Abwägung nach § 35 Abs. 1 BauGB identisch ist (so Louis, UPR 1995, 290 und Kom. zum BNatSchG, § 8 Rn. 75), kann offen bleiben.
...
Aber auch wenn die naturschutzrechtliche Abwägung regelmäßig zu demselben Ergebnis wie die planungsrechtliche Abwägung gemäß § 35 Abs. 1 BauGB kommen sollte, so sind die planungsrechtliche und die naturschutzrechtliche Prüfung doch zu trennen und jeweils unabhängig voneinander durchzuführen. Vom Zweck des Naturschutzrechts her, Natur und Landschaft zu schützen, ist es denkbar, daß ein im Außenbereich privilegiertes Vorhaben zwar die Hürde des § 35 Abs. 1 BauGB nimmt und gleichwohl an der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung scheitert oder zumindest nur mit Auflagen genehmigungsfähig ist (vgl. Gaentzsch, NuR 1986, 89; Gassner, BNatSchG, § 8 a Rn. 48).
Az.: II/1 620-01