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StGB NRW-Mitteilung 814/1999 vom 20.11.1999
Schadensersatz und Baugrundrisiko bei Altlasten-Standorten
Die Frage, wer das Baugrundrisiko beim Bauen auf Altlasten-Standorten zu tragen hat, ist vom Gesetzgeber nicht geregelt worden. Auch das neue Bundes-Bodenschutzgesetz (in Kraft seit 01. März 1999) hat dazu keine Regelung gebracht. (Zum Bundes-BodSchG vgl. Mitt. vom 05.03.99, Nr. 174).
Infolgedessen hat sich ein vom Bundesgerichtshof (BGH) entwickeltes Richterrecht gebildet, dessen Grundzüge wie folgt aussehen:
Der Eigentümer muß das Risiko der wirtschaftlichen Nutzbarkeit seines Grundstücks in der Regel selbst tragen. Wenn er eine Bodenbelastung selbst verursacht hat, leuchtet dies ohne weiteres ein. Für den Fall, daß er ein Grundstück vom Verursacher der Altlast erworben hat, wird der BGH-Grundsatz damit gerechtfertigt, daß jeder Erwerber die Möglichkeit hat, sich beim Grundstückserwerb durch eine entsprechende Altlast-Gewährleistungsklausel im Kaufvertrag abzusichern.
Dieser Grundsatz wird damit gerechtfertigt, daß die technisch-physikalische Bebaubarkeit eines Grundstücks im Risikobereich des Eigentümers liegt. Insoweit wird eine Altlast ebenso behandelt wie ein altlastfreies Grundstück, das etwa wegen naturgegebener Untergrundverhältnisse nicht mit den im Bebauungsplan zugelassenen 5 Geschossen bebaut werden kann oder das, weil es sich z.B. um einen Rutschhang handelt, gar nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand so bebaubar ist, wie der Bebauungsplan das erlaubt.
Der BGH macht aber von dieser grundsätzlichen Verantwortlichkeit des Grundstückseigentümers folgende gewichtige Ausnahme:
Die Vorschriften des BauGB zur Beachtung der Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung, ebenso wie Vorschriften zur Kennzeichnung von Altlastflächen (§ 1 Abs. 5 Nr. 1 und 7, § 5 Abs. 3 Nr. 3 und § 9 Abs. 5 Nr. 3) dienen zwar vorrangig der geordneten städtebaulichen Entwicklung. Sie enthalten aber zugleich drittschützende Amtspflichten, soweit es um Gefahren für Leben und Gesundheit geht, die von der Altlast verursacht werden. Der BGH begründet diese Amtspflicht mit der überragenden Bedeutung der Rechtsgüter "Leben und Gesundheit".
Eine Gemeinde muß also bei der Aufstellung eines Bebauungsplans prüfen, ob der Plan seinen Zweck erfüllen kann, gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu sichern. Gibt es Anhaltspunkte, daß im Plangebiet eine Altlast besteht, so muß die Gemeinde dies aufklären. Wenn sie dies trotz solcher Anhaltspunkte nicht tut, kann daraus ein Amtshaftungsanspruch entstehen, mit dem der Bauherr seinen Schaden (Minderwert des Grundstücks; vergebliche Investitionen) gegen die Gemeinde geltend machen kann (§ 839 BGB, Art. 34 GG).
Weil der BGH den Amtshaftungsanspruch an die überragend wichtigen Rechtsgüter "Leben und Gesundheit" anknüpft, anerkennt er keinen Schadensersatzanspruch, wenn Leben und Gesundheit nicht gefährdet sind.
Daraus folgt, daß (trotz Amtspflichtverletzung durch eine planende Gemeinde) kein Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung besteht, wenn die Altlast nur dazu führt, daß ein Grundstück nicht so bebaut werden kann, wie es der Bebauungsplan zuläßt. Das gilt etwa für den Fall, daß der Untergrund für das planungsrechtlich eigentlich zulässige Gebäude (Fabrikhalle, mehrstöckiges Wohnhaus) nicht tragfähig genug ist und deshalb nur ein kleineres Gebäude möglich ist oder eine Bebauung technisch gar nicht realisiert werden kann.
Diese seit dem BGB-Urteil vom 26.01.1989 (BGHZ 106, 323 = NJW 89, 976) praktizierte Rechtsprechung hat der BGH trotz Kritik in der Fachliteratur aufrechterhalten. Noch unverständlicher wird die BGH-Rechtsprechung in dem Fall, daß eine Altlast zunächst nicht nur zu Beeinträchtigungen der Bebaubarkeit geführt hat, sondern auch zu gewissen Gesundheitsgefahren (Ausgasung von Deponiegasen). Wenn es aber möglich ist, die Standfestigkeit und damit die plangemäße Bebaubarkeit des Grundstücks durch Müllaustausch/Bodenaustausch herzustellen und diese Maßnahme gleichzeitig die Gesundheitsgefahren beseitigt, lehnt der BGH einen Amtshaftungsanspruch ab. Die Aufwendungen gehören lt. BGH zu Risiken der wirtschaftlichen Nutzbarkeit von Grund und Boden (BGH NJW 1993, 384).
Die zum Amtshaftungsanspruch bei Bebauungsplänen entwickelten Grundzüge gelten in gleicher Weise bei für Altlastflächen erteilten Baugenehmigungen und Bauvorbescheiden: Amtshaftungsansprüche können gegen die Körperschaft der Baugenehmigungsbehörde geltend gemacht werden.
Die vielfach geäußerte Kritik hat beim BGH in einem neuen (noch unveröffentlichten) Urteil vom 29.07.1999 (Az: III ZR 234/97) zu einer gewissen Korrektur geführt (der BGH behauptet zwar, er weiche hier nicht von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Es ist aber bezeichnend, daß das Berufungsgericht - OLG Brandenburg - die Amtshaftungsklage unter Berufung auf die bisherige BGH-Rechtsprechung abgewiesen hat).
Nach diesem BGH-Urteil besteht eine Amtspflicht, bei der Aufstellung von Bebauungsplänen und der Erteilung von Baugenehmigungen vom Bauherrn nicht beherrschbare Beeinträchtigungen der Standsicherheit eines Gebäudes in bergschadengefährdetem Gelände zu prüfen. Das Urteil ist zwar konkret in einem Fall ergangen, in dem es um die Ermittlung und Beurteilung von Bergschäden ging. Es ist aber davon auszugehen, daß es auf alle Fälle angewandt werden wird, in denen es um Standsicherheitsgefahren geht, die vom Bauherrn nicht feststellbar und nicht beherrschbar sind. Das Urteil wird vor allem für Kommunen von Bedeutung sein, auf deren Gebiet Baugrundrisiken durch Bergwerke bestehen.
Es ist beabsichtigt, das Urteil auszugsweise in der Verbandszeitschrift "Städte- und Gemeinderat" abzudrucken.
Az.: II