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StGB NRW-Mitteilung 521/1997 vom 20.10.1997
Spitzengespräch über Sozialfragen
Am 18. September 1997 fand ein Gespräch zwischen Vertretern der kommunalen Spitzenverbände, Vertretern der Wohlfahrtsverbände und Bundesgesundheitsminister Seehofer über aktuelle kommunalrelevante Sozialfragen statt. In seinen Eingangsausführungen betonte der Minister, daß er trotz verschiedener Äußerungen auch aus dem politischen Raum nicht daran denke, die im Jahre 1996 beschlossene BSHG-Reform erneut einer Novellierung zuzuführen. Das Bundessozialhilferecht biete einen breiten Rahmen für eine praxisgerechte Beratung und Betreuung der Sozialhilfeempfänger und sei auch im Hinblick auf das immer wieder diskutierte Lohnabstandsgebot nicht reformbedürftig.
Aktuelles Thema seien daher auch nicht primär Rechtsänderungen, sondern deren Vollzug. In diesem Zusammenhang sprach Minister Seehofer die aktuell von seinem Ministerium auf den Weg gebrachten und mit Zustimmung des Bundesrates in Kürze zu erwartenden neuen Verordnungen über einen automatisierten Datenabgleich mit Rentenversicherungsträgern, der Arbeitslosenversicherung, aber auch zwischen den Sozialhilfeträgern sowie die Verordnung über die Pauschalierung der einmaligen Leistungen an.
Schließlich beabsichtige sein Haus einen verstärkten Arbeitsanreiz für Sozialhilfeempfänger dadurch zu schaffen, daß über die bisherigen minimalen Freibetragsgrenzen hinaus eine zusätzliche Nichtanrechnung in Höhe von 10 % bis 20 % erfolge.
Die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände legten zunächst die besondere Problemsituation bei den von den Kommunen zu tragenden Sozialhilfeleistungen dar. So seien in den letzten fünf Jahren die Sachinvestitionen bei den Kommunen erheblich zurückgegangen, während sich die Sozialleistungen im Haushalt von 11 % auf 25 % erhöht hätten. In der Sache unterstützten die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände die beiden von Herrn Seehofer angesprochenen Verordnungen. Insbesondere die Verordnung über den automatisierten Datenausgleich könne im Vollzug der Sozialhilfe zu Einsparungen führen und die gegenwärtige Regelungslücken der Abstimmung mit den Rentenversicherungsträgern sowie den Trägern der Arbeitslosenversicherung vermeiden helfen. Gewährleistet sein müsse aber in diesem Zusammenhang, daß die angestrebte zentrale Datenvermittlungsstelle kostenmäßig von den Ländern getragen werde.
Im Hinblick auf die mit einer Verordnung angestrebte Pauschalierung der einmaligen Leistungen gebe es zwar ein Bekenntnis aller Bundesländer auf grundsätzliche Zustimmung; es nutze jedoch wenig, wenn nunmehr die Bundesländer für ihren Bereich - wie z.T. angedeutet - die Pauschalierung äußerst unterschiedlich regeln würden. Insgesamt bestehe bei dieser Thematik die Problematik, daß die zunächst vorgesehenen Pauschalsätze für die einmaligen Hilfeleistungen in einigen Städten und Gemeinden bereits unter dem Niveau der rechtlich vorgesehenen Pauschalierungen liegen würden. Bundesminister Seehofer zeigte sich auf diesen Einwand der kommunalen Spitzenverbände bereit, die generelle Pauschalierung im Rahmen der Rechtsverordnung noch weiter abzusenken.
Sehr kritisch wurde von den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände die verbindliche Festschreibung erhöhter Freibeträge für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger bei der Aufnahme von Arbeit gesehen. Trotz des zu unterstützenden Begehrens, verstärkte Anreize für arbeitslose Sozialhilfeempfänger zu schaffen, liege angesichts von 4,3 Mio. Arbeitslosen zunächst das Problem in dem Nichtvorhandensein freier Stellen. Hinzu komme jedoch in der Sache, daß dieser Problembereich gegenwärtig mit dem von Arbeitgeberverband präferierten sog. Kombilohnmodell vermengt werde. Danach wird u.a. zur "erleichterten Arbeitseinstellung" Arbeitsloser gefordert, untere Lohngruppen um bis zu 30 % zu senken, ergänzende Leistungen aber zur Finanzierung des Lebensunterhalts dieses Personenkreises aus der Sozialhilfe zu gewähren. Dieses "Modell" sei aus Sicht der kommunalen Spitzenverbände keinesfalls akzeptabel. Hiermit würde nicht nur eine noch höhere Zahl von Sozialhilfeempfängern erreicht, die Tarifvertragsparteien würden zudem aus ihrer Verantwortung entlassen. Negativ und daher abzulehnen sei schließlich, daß mit einer derartig verbindlichen Vorgabe zu Lasten der Sozialhilfeempfänger Mitnahmeeffekte entstünden, so daß im Ergebnis die Gefahr bestehe, daß nur noch gegen ergänzende Sozialhilfeleistungen gearbeitet werde.
In einem weiteren Themenbereich sprachen die Teilnehmer des Gesprächs die Schnittstelle der von den Sozialämtern wahrgenommenen Aufgabe Hilfe zur Arbeit einerseits und Arbeitsvermittlung durch die Arbeitsverwaltung andererseits an. Die kommunalen Spitzenverbände erklärten, daß die Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik beim Bund und den Tarifvertragsparteien liege. Allerdings wurde insgesamt festgestellt, daß das gegenwärtige System der Zuständigkeit für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger bei der Arbeitsverwaltung einerseits und den Kommunen andererseits zu einem der Sache nicht dienenden Verschiebebahnhof führe. Die Arbeitsverwaltung habe ein primäres Interesse daran, nur in ihrem Leistungsbezug stehende Arbeitslose zu vermitteln, während die Sozialhilfeempfänger, insbesondere Langzeitarbeitslose, für sie von weniger Interesse wären. Hier sei es nach Auffassung der kommunalen Spitzenverbände unbedingt erforderlich, die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik, insbesondere die der Umschulung und Fortbildung auch für die Sozialhilfeträger im Rahmen der Programme Hilfe zur Arbeit zu öffnen und insgesamt für eine institutionalisierte und verbesserte Zusammenarbeit zwischen Arbeitsverwaltung und Sozialämtern Sorge zu tragen.
In einem dritten Gesprächsthema befaßten sich die Gesprächsteilnehmer mit einer Untersuchung "Menschen im Schatten - Erfahrungen von Caritas und Diakonie in den neuen Bundesländern". In diesem Bericht ist die Lebenslage der Rat- und Hilfesuchenden in den offenen Dienststellen von Caritas und Diakonie in den neuen Bundesländern u.a. mit dem Ergebnis untersucht worden, daß aufgrund einer Befragung der Hilfesuchenden die Verhaltensweisen und Strukturen der Sozialämter und deren Mitarbeiter von einem großen Teil der Befragten als insgesamt unzureichend bezeichnet worden sind. Nach der Untersuchung fühlten sich fast ¾ durch die Ämter und Behörden über ihre persönlichen Rechte und Pflichten nicht gut informiert und aufgeklärt. Dies müsse vor dem Hintergrund, daß nach der Untersuchung "auf 10 Sozialhilfeempfänger in den neuen Bundesländern 17 verdeckte Arme kommen", besonders beunruhigen. Caritas und Diakonie fordern in der Studie, Sozialhilferegelsätze bedarfsgerecht festzulegen.
Die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände relativierten den Aussagewert der Studie. Hierbei handele es sich hier eine subjektive Befragung der Sozialhilfeempfänger, aus der nicht unbedingt Defizite in der Beratungspraxis bei den Sozialämtern der neuen Länder hergeleitet werden könnten. Richtig sei allerdings, daß die Breite des bisherigen Beratungsangebots insbesondere der freien Träger aufgrund von Änderungen im Arbeitsförderungsrecht in Zukunft nicht mehr haltbar sei. Insofern müßten allerdings auch die freien Träger nach neuen Möglichkeiten eines integrierten und konzentrierten Beratungsangebots (z.B. Beratungshaus) suchen. Insgesamt wurde aus Sicht der kommunalen Spitzenverbände bemerkt, daß angesichts der veränderten Finanzmodalitäten der Bundesanstalt für Arbeit keineswegs die Kommunen Ausfallbürge für eine Begrenzung des Beratungsangebots sein dürften. Hier gelte es auch für die EWohlfahrtsverbände, qualitative Verbesserungen sowie eine Vernetzung der Beratung auch zwischen den verschiedenen freien Trägern zu erreichen.
Abschließend wurde zwischen den kommunalen Spitzenverbänden, den freien Trägern sowie Bundesminister Seehofer eine Fortsetzung des Gesprächs auch über die Studie vereinbart.
Az.: II 800