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Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft
StGB NRW-Mitteilung 300/1996 vom 20.06.1996
Steuerliche Behandlung der Abwasser- und Abfallentsorgung
Über die für die Städte und Gemeinden weitreichende Frage, ob die Abwasser- und Abfallentsorgung zukünftig steuerlich nicht länger als Hoheitsbetrieb, sondern als Betrieb gewerblicher Art mit der Folge einer umfassenden Steuerpflichtigkeit zu bewerten ist, hat die Geschäftsstelle zuletzt in den Mitteilungen NWStGB Heft 5/96, S. 82, berichtet. Die weitere Entwicklung läßt sich aktuell wie folgt umreißen:
1. BFH-Verfahren
Zur Überraschung aller Beteiligten ist das vor dem BFH anhängige Revisionsverfahren (V R 122/93) gegen das erstinstanzliche Urteil des FG Münster vom 23.09.1993 (5 K 5380/90 U), für das bereits eine mündliche Verhandlung vor dem BFH auf den 30.05.1996 termininiert worden war, durch Klagerücknahme des klagenden Märkischen Kreises bei gleichzeitiger Zustimmung der beklagten nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung Mitte Mai beendet worden. Mit dieser Klagerücknahme hat das gesamte finanzgerichtliche Verfahren ein vorzeitiges Ende gefunden, d. h. auch der Ausgangsentscheidung des FG Münster ist damit die Grundlage entzogen worden.
Ungeachtet des Ausgangs des konkreten Verfahrens ist damit allerdings keineswegs die finanzgerichtliche Abklärung der wichtigen Steuerfrage als erledigt zu betrachten, da vor dem BFH zwei weitere Verfahren zum Problem der Steuerpflicht der Abfallentsorgung anhängig sind (I R 1/94 und I R 2/94; Erstinstanz: Niedersächsisches Finanzgericht, Urteile vom 4.8.1993 - VI 513, 515, 517/88 bzw. VI 514, 516, 518/88 -). Gegenstand dieser Verfahren ist die Frage, ob die Zusammenfassung mehrerer Abfallaktivitäten einer Gebietskörperschaft, nämlich Altglas-, Papier- und Schrott-Verkauf, Stromerzeugung und -verkauf aus einem Blockheizkraftwerk sowie Müllsackverkauf, in einem Betrieb gewerblicher Art möglich ist. Nicht absehbar ist im Moment, wann diese Verfahren vor dem BFH zur Entscheidung anstehen.
2. Bisherige finanzgerichtliche Erwägungen
Kläger in dem angesprochenen, nunmehr durch Klagerücknahme erledigten BFH-Revisionsverfahren war eine Gebietskörperschaft (Kreis in Nordrhein-Westfalen), die die Abfallentsorgung in ihrem Gebiet betreibt. Den gesammelten Abfall verbrennt er in einem von ihm unterhaltenen Müllheizkraftwerk. Die bei der Verbrennung freiwerdenden Energie wird in Strom und Fernwärme umgewandelt und an die Stadtwerke verkauft. Zwischen dem Kläger und dem Finanzamt ist streitig, ob die Gewinnung von Strom und Fernwärme aus Abfall und deren Verkauf dem hoheitlichen Handeln des Klägers zuzurechnen ist oder einen Betrieb gewerblicher Art darstellt. Nach Auffassung des Finanzamtes sind die Umsätze aus den Energielieferungen dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen und somit nicht umsatzsteuerbar. Der Kläger hält hingegen hinsichtlich der Lieferungen von Strom und Fernwärme die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 Körperschaftsteuergesetz (KStG) für die Annahme eines Betriebs gewerblicher Art für gegeben und sieht diese Lieferungen als steuerbare Leistungen nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) an. Für einen Teil der von ihm bezogenen Vorleistungen macht er den Vorsteuerabzug nach § 15 UStG geltend.
Das Finanzgericht Münster hatte mit Urteil vom 23.09.1993 die Steuerpflicht bejaht und folgendes festgestellt:
"Die Lieferungen von Strom- und Fernwärme aus einem Müllheizkraftwerk einer Gebietskörperschaft an ein Stadtwerk gegen Entgelt stellen steuerbare und steuerpflichtige Leistungen im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art dar (§ 2 Abs. 3 UStG, § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 KStG). Eine Ausübung öffentlicher Gewalt (Hoheitsbetrieb i.S.d. § 4 Abs. 5 KStG) ist bei dieser Tätigkeit nicht gegeben."
Mit Rücksicht darauf, daß diese Auffassung des FG Münster der bislang von den Obersten Finanzbehörden der Länder eingenommenen Rechtsauffassung widersprach, hatte das Finanzamt Revision beim BFH eingelegt. Wegen der grundlegenden Bedeutung der Angelegenheit war der Bundesfinanzminister auf Aufforderung des Bundesfinanzhofs dem in Frage stehenden Verfahren beigetreten. Bekanntlich hat der BMF in der Vergangenheit die Auffassung eingenommen, daß die Entsorgungstätigkeit insgesamt als Betrieb gewerblicher Art angesehen werden muß. Dies gilt nicht nur für die durch das Verfahren konkret betroffene Abfallentsorgung, sondern darüber hinausgehend auch für die Abwasserentsorgung durch Körperschaften des öffentlichen Rechts.
In der 2. Februarhälfte 1996 hatte der BFH den Verfahrensbeteiligten einen Vorbescheid vom 16.11.1995 zugestellt. Dabei hatte der BFH - über die erstinstanzliche Entscheidung des FG Münster hinausgehend - nicht nur die in dem Müllheizkraftwerk produzierte Energie als Betrieb gewerblicher Art bewertet, sondern die Aufgabe der Abfallbeseitigung des betroffenen Kreises insgesamt. Maßgebliche Argumente waren insoweit:
- notwendige Wettbewerbsgleichheit zwischen privaten und öffentlichen Entsorgungsunternehmen,
- Vollzug der 6. Richtlinie des Europäischen Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern, wonach Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Steuerpflichtige behandelt werden müssen, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde,
- tatäschliche Entwicklung der Wettbewerbssituation von einem Hoheitsbetrieb hin zu einem Betrieb gewerblicher Art, insbesondere mit Rücksicht darauf, daß die Müllbeseitigung in privaten Haushalten zu 55 % von Privatunternehmen erbracht wird.
Zwar hatte das betroffene Finanzamt Iserlohn gegen diesen Vorbescheid mündliche Verhandlung beantragt, so daß der Vorbescheid als rechtlich nicht mehr existent anzusehen war. Dennoch durfte man wohl - ohne Spekulation - davon ausgehen, daß der BFH seinen bereits im Vorbescheid grundlegend gewählten Ansatz auch in einem etwaigen Urteil entsprechend bestätigt und noch vertieft hätte.
Den bislang bekanntgewordenen Erwägungen und Überlegungen des BFH kommt aus der Sicht gemeindlicher Selbstverwaltung eine weit über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zu. Dies betrifft zunächst sicherlich die Frage der steuerlichen Übertragbarkeit der Gedankenführung auf andere öffentliche Einrichtungen, namentlich die Abwasserbeseitigung, aber auch z. B. die Straßenreinigung, den Bauhof oder die Grünflächenpflege. Darüber hinaus sind aber auch grundsätzliche Fragen nach der zukünftigen Bewältigung kommunaler Aufgaben der Daseinsvorsorge und der Gemeinwohlorientierung, der wirtschaftlichen Betätigung der Städte und Gemeinden schlechthin sowie vielfältige Problemstellungen sachgerechter und effektiver diesbezüglicher Organisationsformen unter Wahrung größstmöglicher kommunaler Einflußmöglichkeiten aufgeworfen. Der BFH geht nämlich - im Anschluß an die in Bezug genommene EU-Vorgabe - von folgender Grundsatzposition aus: Falls Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Normen Tätigkeiten ausüben, die - im Wettbewerb mit ihnen - auch von Privaten ausgeübt werden können, richtet der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer das Gebot an die Mitgliedsstaaten, diese öffentlichen Einrichtungen als Steuerpflichtige zu behandeln. Allerdings bietet das Gemeinschaftsrecht keine quantitativen Grenzen für ihre Behandlung als Steuerpflichtige oder Nichtsteuerpflichtige.
III. Die bisherige Auffassung des DStGB
Die Diskussion einer zukünftigen Steuerpflicht der Entsorgung ist keineswegs neu. Bereits unter dem 22.03.1993 war der Bundesfinanzminister an die kommunalen Spitzenverbände mit der Bitte um Bewertung und Stellungnahme einer derartigen für die Städte und Gemeinden einschneidenden Weichenstellung herangetreten. Unter Zugrundelegung diesbezüglicher zweimaliger ausführlicher Beratungen der Gesamtproblematik im DStGB-Ausschuß für öffentliche Einrichtungen, Energie und Umwelt am 22.04./23.04.1993 bzw. 20./21.09.1993 hatte die Hauptgeschäftsstelle gegenüber dem BMF eine erste umfangreiche Stellungnahme zur zukünftigen steuerrechtlichen Behandlung der Abfall- und Abwasserentsorgung abgegeben (vgl. grundlegend: Cronauge/Dedy, Verheerende Kostenexplosion oder sinnvolle Innovation?, Stadt und Gemeinde 1993, S. 313; dies.: Die Stadt, der Müll und das Steuerrecht, Der Gemeindehaushalt 1994, S. 97).
Im Unterschied zum Deutschen Landkreistag und auch zum Deutschen Städtetag hatte sich dabei der DStGB nicht grundsätzlich gegen die Überlegungen gewandt, die Abwasser- und Abfallentsorgung zukünftig als Wirtschaftsunternehmen zu behandeln und der Steuerpflicht (Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, Vermögensteuer) zu unterwerfen; verbandsseitig war allerdings zugleich der Blick - über den speziellen Steuerausschnitt hinausgehend - auf die mit der Einführung einer Steuerpflicht verbundene Vielzahl gewichtiger und weitreichender Problemstellungen im Gesamtrechtssystem des Bundes und auch der Länder gerichtet und die grundsätzlich diskussionsfähige Einführung der Steuerpflicht für die Entsorgung an drei zentrale Voraussetzungen geknüpft worden:
1. Keine Vermengung mit Privatisierungsdiskussion
Soweit sich der steuerrechtliche Vorstoß aus der Sicht der Bundesregierung offensichtlich als wesentlicher Bestandteil der bereits in der Vergangenheit betriebenen Privatisierungsdiskussion darstellt, wird eine derartige steuerliche Schieflage nachdrücklich abgelehnt. Die gerade in der Entsorgung verfassungsrechtlich abgesicherten und seit Jahrzehnten in der Praxis bewährten Selbstverwaltungsrechte der Städte und Gemeinde sollten nicht aus vordergründigen politischen Erwägungen zur Disposition gestellt werden.
2. Absage an steuerrechtlichen Alleingang
Die Behandlung der Entsorgung als Hoheitsbetrieb und kommunale Pflichtaufgabe liegt dem derzeitigen gesamten Rechtssystem auf Bundes- und Landesebene zugrunde. Es verbietet sich daher ein steuerlicher Alleingang; vielmehr ist eine eingehende Auseinandersetzung mit sämtlichen betroffenen Rahmenbedingungen auf Bundes- und Landesebene geboten. Angesprochen sind insoweit eine Fülle gemeindeverfassungsrechtlicher, fachgesetzlicher, kartellrechtlicher, steuerlicher, finanzwirtschaft-
licher und organisatorischer Fragestellungen.
3. Belastungsneutrale Lösung für den Bürger
Eine weitere zusätzliche Gebührenbelastung für den Bürger durch die Steuerpflicht und die damit angestrebte Förderung privatwirtschaftlicher Unternehmen ist unzumutbar. Notwendig ist eine für den Bürger weitestgehend belastungsneutrale Lösung, die durch folgende Maßnahmen gewährleistet werden kann:
- Erstreckung des bereits für die Wasserversorgung gültigen ermäßigten Umsatzsteuersatzes von 7 % auf die Entsorgung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des vollen Steuersatzes für den Vorsteuerabzug,
- Befreiung dieser der Gesundheitspflege dienenden Einrichtungen von der Vermögensteuerpflicht,
- Übergangsregelung für Altinvestitionen zur Vermeidung eines volkswirtschaftlich schädlichen Investitionsstaus und zur Verhinderung von Doppelbesteuerungen.
Insgesamt hatte der DStGB nachdrücklich für eine eingehende Auseinandersetzung mit sämtlichen Detailproblemen der komplexen Materie plädiert und seine diesbezügliche Gesprächsbereitschaft angeboten, ein Angebot, das allerdings nicht vom BMF aufgegriffen worden war.
Es bleibt abzuwarten, ob nunmehr seitens der Bundesregierung eine erneute politische Initiative zur Einführung der Steuerpflicht für die kommunale Entsorgungswirtschaft ergriffen werden wird.
Az.: V/2-810-05